Hat Amtsleiter Peter Wasem die Stellungnahme seines Amtes zu einem Antrag der Linksfraktion selbst geschrieben, oder hat er einen seiner amtlichen Bürokraten damit beauftragt, eine vier Seiten lange Ausrede zu formulieren, warum das Amt für Umweltschutz seine Ausnahmegenehmigungen für Verbotstatbestände nach Bundesnaturschutzgesetz statistisch nicht erfassen will? Wahrscheinlich ist die zweite Variante. Denn es ging überhaupt nicht um Mehrarbeit, wie Linke-Stadtrat Michael Neuhaus am 13. Dezember feststellte.
Nur um Transparenz. Wie lange dauert es eigentlich, vier Seiten mit lauter faulen Ausreden zu formulieren? Wurde der Mitarbeiter dafür extra von seinen sonstigen Tätigkeiten freigestellt? Oder macht der das immer so, sodass am Ende überhaupt kein Grund mehr vorliegt, irgendeinen Bauantrag abzulehnen, bloß weil dabei Ufer verbaut, Gehölze zerstört und Biotope vernichtet werden?
Oder mit den Worten von Michael Neuhaus: „Umweltschutz ist in Deutschland löchriger als ein Schweizer Käse.“
Jüngstes Beispiel: Die Vorgänge um den Bau des luxuriösen Wohnpalais Holbeinstraße 6a mit der nicht genehmigten Abholzung des gesamten Uferbaumbestandes Anfang Dezember.
Was sind eigentlich unbillige Härten?
Das Amt für Umweltschutz hatte schon 2022 ohne viel Federlesens eine Ausnahmegenehmigung für den Bau erteilt und eine „Befreiung von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen“ zugesagt. Etwas, was nach dem Sächsischen Wassergesetz gerade unterbunden werden sollte. Das Bauordnungsamt hatte argumentiert, mit der Bauerlaubnis wolle man dem Investor einfach eine unbillige Härte ersparen.
Womit, so Neuhaus, der Naturschutz komplett ausgehebelt wird und dem „Raubbau von Investoren“ Tür und Tor geöffnet sind.
Ins Bauverfahren eingreifen kann der Stadtrat nicht. Aber er kann die Ämter der Stadt zur Transparenz zwingen. Genau das hatte die Linksfraktion mit ihrem Antrag zum Thema gemacht:
„Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, ein digitales/computergestütztes, integriertes Fachverfahren für die Bearbeitung von naturschutzrechtlichen Belangen (Befreiung und Ausnahmen von Verbotstatbeständen) nach dem Bundesnaturschutzgesetz einzuführen, um Personalressourcen zu schonen, eine automatische Statistikerstellung zu ermöglichen und die Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben voranzutreiben.
Der Oberbürgermeister berichtet dem Stadtrat bis zum 3. Quartal 2024 über die Umsetzung des Beschlusses.“
Ahnungslose Ämter?
Eigentlich ein überfälliger Beschluss, denn schon in zwei zuvor erfolgten Antworten hatten sich die Ämter der Stadt geradezu unwillig gezeigt, irgendwelche Daten zum Umweltschutz herauszugeben.
„Um Naturschutz und Bautätigkeit in Einklang zu bringen, regelt das Bundesnaturschutzgesetz, welche Handlungen verboten sind und wie Ausnahmen von diesen Verbotstatbeständen erteilt werden können. Doch das Artensterben schreitet voran und in vielen Städten werden selbst sogenannte ‚Allerweltsarten‘, wie beispielsweise Spatzen, seltener.
Naturschützerinnen und Naturschützer haben die Ausnahmeregelungen unter Verdacht: sie kritisieren, dass der gesetzliche Raum für Ausnahmen zu groß sei. Wer eine Genehmigung will, der bekommt sie auch“, hatte die Linksfraktion festgestellt.
„In Anfragen 08738 und 08739 haben wir daher gefragt, wie viele Ausnahmegenehmigungen für Verbotstatbestände beantragt und genehmigt wurden. Außerdem wollten wir wissen, wofür die Ausnahmegenehmigungen beantragt und mit welcher Begründung sie genehmigt wurden. Doch da die Stadt Leipzig darüber keine Statistik führt, bleiben die Zahlen unbekannt.
Der vorliegende Antrag soll nun Licht ins Dunkel bringen.“
Amtliches Stöhnen
Nur: Der emsige Mitarbeiter im Amt für Umweltschutz wollte das nicht. Seine Haltung zu Transparenz machte er gleich in den ersten Zeilen seiner Ablehnung deutlich: „Der Vorschlag der Entwicklung, Einführung und Nutzung eines neuen, ämterübergreifenden Verfahrens im o. g. Sinne wird aktuell abgelehnt.
Zum einen besteht keine gesetzliche Pflicht, bei der Umsetzung der Weisungsaufgabe aus § 53 Abs. 3 SächsGemO eine derartige Statistik zu führen. Eine Planung, ämterübergreifende Abstimmung sowie insbesondere Umsetzung des Vorschlags würde zudem Kapazitäten in einem nicht nur unerheblichem Umfang binden, die dann für die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben nicht zur Verfügung stünden.
Hierdurch würde das Risiko vergrößert, dass insbesondere städtische oder private Großprojekte naturschutzfachlich und -rechtlich aufgrund fehlender personeller Kapazitäten nicht adäquat begleitet werden können und angreifbar sind bzw. sich erheblich verzögern.“
Und dann folgen vier Seiten Begründungen, warum es nicht geht.
Was aus der Sicht von Neuhaus einfach nur Unfug war. Denn dafür gibt es Software, die bestenfalls nur aufgespielt werden muss. Und dann kann für jedes Bauprojekt das entsprechende Kästchen angeklickt werden, warum es dafür welche naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung gab. Denn der ganze Sermon mit dem „dann schaffen wir unsere Arbeit nicht mehr“ ist nichts als eine Ausrede, denn für jede Ausnahmegenehmigung müssen sowieso entsprechende Formblätter ausgefüllt werden.
Die Arbeit zu solchen Ausnahmegenehmigungen hat das Amt sowieso. Die Mitarbeiter/-innen wissen also genau, welche Ausnahmetatbestände sie genehmigen. Das dann in einer Software entsprechend zu registrieren, ist der kleinste Teil der Mühe.
Investorenvorrecht oder Naturschutz?
Sodass die Abstimmung über den Antrag der Linksfraktion am 13. Dezember in der Ratsversammlung im Grunde eine Abstimmung darüber war, ob die Stadträtinnen und Stadträte tatsächlich einen modernen Umweltschutz wollen oder doch lieber die Interessen der Investoren hochhalten, die auf Umweltschutz keine Rücksicht nehmen wollen.
Klares Ergebnis: Der Linke-Antrag bekam eine deutliche Mehrheit von 38:15 Stimmen. Und auch Oberbürgermeister Burkhard Jung stimmte zu. Die Verwaltung muss jetzt also die nötige Software aufspielen, um die „Bearbeitung von naturschutzrechtlichen Belangen“ endlich zu digitalisieren und statistisch auswertbar zu machen.
Dann kann man wahrscheinlich auch den Mitarbeiter, der die ablehnende Stellungnahme verfasst hat, endlich mal in den Außendienst schicken. Bekommt er mal frische Luft und sieht ein bisschen von der Natur, die in Leipzig mit Ausnahmegenehmigungen so eifrig dezimiert wird.
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Wie doppelzüngig sind eigentlich die Antragsteller! Wegen der doppelten Innenentwicklung in der Holbeinstraße wird so viel Aufsehen erzeugt. Eine Nutzung von freien Flächen, wie in der Petition “Biotope aufwerten und erhalten” angestrebt wird, nimmt sich nicht einmal Die Linke an. Schaut z. B. nach Kassel und lernt daraus und versucht nicht den Fehler bei anderen zu suchen. https://www.hessenschau.de/tv-sendung/weitergedreht-urbane-wald-gaerten-in-hessen,video-183230.html