Das Geschehen rund um „Tag X“ hat am Mittwoch, dem 14. Juni, auch den Leipziger Stadtrat beschäftigt. Rund eine Stunde lang gaben Ordnungsbürgermeister Rosenthal und Vertreter*innen der Fraktionen ihre Sicht auf die Dinge wieder. Die Rollen waren dabei erwartungsgemäß verteilt.

Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) begründete zu Beginn, warum die Stadt Allgemeinverfügung und Versammlungsverbote ausgesprochen hatte. Seit rund einem Jahr habe es öffentliche Aufrufe zu Militanz gegeben, die Straftaten, einen unfriedlichen Demoverlauf und erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erwarten ließen.

Bei den Anmelder*innen der „Tag X“-Demo sei hinzugekommen, dass diese sich nicht ausreichend von Gewaltaufrufen abgegrenzt hätten. „Die Verwaltung ist sich des erheblichen Eingriffs in die Grundrechte bewusst“, so Rosenthal. Ein „milderes Mittel“ habe aber nicht zur Verfügung gestanden, um die Sicherheit zu gewährleisten. „Die tatsächlichen Abläufe bestätigen die Bedenken und Entscheidungen der Versammlungsbehörde.“

Rosenthal gab auch Einblick in die Schadensbilanz rund um „Tag X“. Die Stadt zählte 85 Einsätze der Branddirektion, 115 zerstörte Mülltonnen und knapp 100.000 Euro Schaden durch Brände. Vom vorher ausgerufenen Sachschaden in Höhe von einer Million Euro pro Jahr Freiheitsstrafe im „Antifa Ost“-Verfahren blieb man somit weit entfernt. Allerdings sind die Urteile ja auch noch nicht rechtskräftig.

Die folgenden Redebeiträge in der Ratsversammlung waren im Prinzip dreigeteilt. Grüne und Linke sprachen fast ausschließlich über das Verhalten von Versammlungsbehörde und Polizei. Zudem sei man über Äußerungen von Oberbürgermeister Jung und Stadtsprecher Hasberg empört, teilte Norman Volger (Grüne) mit. Diese hatten Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek scharf kritisiert, weil er für den 3. Juni eine Demonstration angemeldet hatte. Jung bezeichnete Kasek als „naiv“.

Sowohl die Allgemeinverfügung als auch der Polizeikessel seien strategische Fehler und rechtlich fragwürdig gewesen, so Volger. Er zitierte zudem eine Mitteilung von Amnesty International zum Geschehen in Leipzig. „Lassen Sie das mal sacken. Amnesty International kritisiert sonst autokratische Systeme und Diktaturen. Leipzig steht jetzt mit denen in einer Reihe.“

Juliane Nagel (Linke) sprach von einer „vollkommen überzogenen Gefahrenprognose“, die im Wesentlichen auf Online-Beiträgen und Twitter-Aufrufen basiere. Bezüglich der Ausschreitungen in der Südvorstadt sagte sie, dass sie gemeinsam mit Kasek und dem Landtagsabgeordneten Marco Böhme (Linke) argumentiert habe, dass ein Aufzug „Druck vom Kessel“ nehmen könne. Erst nachdem diese Vermittlung gescheitert war, sei es eskaliert.

Karsten Albrecht aus der CDU-Fraktion beklagte ein „Problem mit Linksextremismus“ in Leipzig. Von Martin Luther King bis zum heutigen Bundesjustizminister Buschmann zitierte er zahlreiche Personen, die Gewalt als Mittel der Politik ablehnen würden. Lediglich die Polizei sei dazu berechtigt.

Albrecht äußerte sich auch zu den Vorwürfen, dass Minderjährige im Kessel lange gefangen gehalten wurden. Wenn es um politische Teilhabe im Jugendparlament oder bei Wahlen gehe, seien Jugendliche schon reif genug. Dieser Maßstab müsse dann auch für solche Situationen gelten. „Wer den Platz trotz Aufforderung der Polizei nicht verlässt, hat eine Entscheidung getroffen“, so Albrecht.

Auch FDP-Stadtrat Sven Morlok argumentierte später, dass nach seiner Kenntnis ausreichend Zeit gewesen wäre, sich zu entfernen, um nicht in einer Polizeimaßnahme zu landen. Das widerspricht allerdings den Wahrnehmungen der LZ direkt vor Ort. Die Polizei hatte die Kundgebungsfläche sehr schnell mit massiven Kräften umschlossen, sodass nicht ersichtlich war, wohin sich Personen überhaupt hätten entfernen sollen.

Morlok ergänzte zudem, dass er bei Versammlungsverboten ein „ungutes Gefühl“ habe und mögliches Fehlverhalten der Polizei aufgearbeitet werden müsse. Gleichzeitig sei es nicht überraschend, dass es in Stresssituationen zu Fehlern komme, wenn mehrere tausend Polizist*innen im Einsatz sind. Das sei jedoch nur eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.

Christopher Zenker (SPD) dankte allen Einsatzkräften und allen, die vorab zur Deeskalation beigetragen hätten, und nannte dabei auch Linken-Stadträtin Nagel. Ausdrücklich ausgenommen von der Danksagung war Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU).

Zenker betonte, dass es wichtig sei, alle Aspekte des Geschehens zu hinterfragen: die Allgemeinverfügung, die Gewalt, den Polizeieinsatz. „Berichte über den Umgang mit Minderjährigen erwecken den Eindruck, dass es um Einschüchtern ging.“ Zenker richtete an die Polizei die Bitte, dort Verantwortung zu übernehmen, wo Fehler passiert seien. Anderenfalls könnten mehr Menschen das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren.

Zwischendurch ergriff auch AfD-Stadtrat Roland Ulbrich das Wort. Er beklagte „linken Straßenterror“ und schaffte es, in seiner Rede einen Bogen zu Corona und Impfungen zu schlagen.

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