Für gewöhnlich war der Februar vor einigen Jahren immer die Zeit, in der Oberbürgermeister Burkhard Jung ankündigte, wie viel die Stadt Leipzig im neuen Jahr alles würde bauen wollen. Aber dann kam ja bekanntlich Corona und sorgte für einige Sorgen um die Haushaltslage. Und so nutzte er diesmal am Freitag, 18. Februar, gemeinsam mit Finanzbürgermeister Torsten Bonew die Gelegenheit, die zwei zurückliegenden Jahre zu rekapitulieren. Denn im Frühjahr 2020 sah alles noch ganz anders aus. Und ganz und gar nicht rosig.
Denn mit dem Beginn der Pandemie und dem ersten Lockdown im März 2020 brachen sofort auch die Gewerbesteuereinnahmen ein. Fast 110 Millionen Euro nahm Leipzig hier am Jahresende weniger ein. Das ist für eine Stadt wie Leipzig eine Menge Geld. Denn im 2-Milliarden-Euro-Haushalt ist jeder Cent verplant. Und zwar größtenteils für Pflichtaufgaben, die Leipzig nicht zusammenstreichen kann.Gerade deshalb aber ging im Sommer 2021 das Kürzungsgespenst um, wurde von Konsolidierungshaushalten geredet. Denn im ersten Corona-Jahr hatten Bund und Land die Löcher in den Haushalten der Kommunen noch gestopft. Sachsen steuerte über 60 Millionen Euro bei, der Bund fast 50 Millionen, sodass Leipzig das Jahr ohne das befürchtete Riesenloch im Haushalt abschließen konnte.
Eine erstaunlich robuste Wirtschaft
Noch eher Bammel hatten Jung und Bonew vor dem zweiten Corona-Jahr. Denn da war längst klar, dass Bund und Land die Kommunen nicht weiter in solchen Größenordnungen würden retten können. Mit Bangen schauten nicht nur sie auf die Wirtschaftsentwicklung und die Gewerbesteuereinnahmen, das taten auch die finanzpolitischen Sprecher der Fraktionen im Stadtrat.
Fast monatlich traf sich der Erweiterte Finanzausschuss des Stadtrates und zog Bilanz. Immerhin ging es 2021 auch darum, zu entscheiden, wie der Doppelhaushalt 2021/2022 ausgestattet wird. Wird es der befürchtete Kürzungshaushalt mit harten Einschnitten an Stellen, an denen es richtig wehtut?
Oder bekommt die Stadt wieder Luft zum Planen?
Das war der Zeitpunkt, als OBM Burkhard Jung beschloss, den Doppelhaushalt ohne Einschnitte zu planen. Auch weil das erste Corona-Jahr eine wichtige Lehre gewesen war: Die Stadt spielt eine ganz zentrale Rolle dabei, für die Wirtschaft ein Motor und Stabilisator zu sein – auch und gerade in Krisenzeiten. Weshalb auch 2020 die Investitionstätigkeit nicht zurückgefahren wurde.
Ganz zu schweigen von der millionenschweren Unterstützung für die eigenen Betriebe.
No Panic
„Es war wichtig, die Nerven zu bewahren“, konstatiert Finanzbürgermeister Torsten Bonew. „Wir haben bewusst auf antizyklische Maßnahmen wie etwa die Verlustausgleiche für städtische Unternehmen, Eigenbetriebe, Stiftungen und Kultureinrichtungen oder die Aufstockung des Rathauspersonals gesetzt. Pandemiebedingte Schäden wurden mit einer Gesamtsumme von 67,58 Millionen Euro ausgeglichen.
Davon gingen zum Beispiel rund 30 Millionen Euro an die Leipziger Messe, etwa 19 Millionen an das St. Georg und 8,5 Millionen Euro an den Zoo Leipzig. 6,4 Millionen Euro stellten wir den Eigenbetrieben zur Verfügung und insgesamt 1,93 Millionen Euro für Stiftungen wie etwa das Bach-Archiv.“
Das Ergebnis der Gewerbesteuer 2020 verzeichnete pandemiebedingt einen erheblichen Rückgang.
Aber die Stützung der Wirtschaft hatte sich gelohnt. Auch in den IHK-Umfragen hellte sich die Stimmung nach dem März-Schrecken wieder auf. 2021 nahm Torsten Bonew dann auch für sich selbst überraschend 418 Millionen Euro an Gewerbesteuer ein. Geplant hatte er mit 272 Millionen. Ein Rekordergebnis auch gegenüber allen Vor-Corona-Jahren. Und – wie Burkhard Jung betonte – ein Zeichen für die Resilienz der Leipziger Wirtschaft.
70 Millionen Euro schreibt Bonew noch Nachholeffekten für 2020 zu, sodass er die tatsächlichen Gewerbesteuererlöse für 2021 auf bereinigte 350 Millionen beziffert. Die Prognose für 2022 liegt gemäß Vorlage „Sonderfinanzbericht 31.08.21 und aktuelle Prognose 2022“ bei 390 Millionen Euro. Das sieht schon fast wieder wie Übermut aus.
Aber um die Leipziger Wirtschaft hat Burkhard Jung dabei eher keine Bange. Die hat nach der Finanzkrise 2008/2009 Tritt gefasst. Es kommen ja sogar noch neue Ansiedlungen hinzu. Die Probleme entstehen an ganz anderer Stelle – bei den Energiepreisen, den zunehmenden Lieferengpässen weltweit und vor allem dem Fachkräftemangel, „der uns die nächsten zehn Jahre beschäftigen wird“, so Jung.
Ohne Zuwanderung fehlen Fachkräfte
Denn nach Rechnungen der Wirtschaftskammern braucht der Kammerbezirk Leipzig ab 2023 jedes Jahr 30.000 Fachkräfte. Und die kann er aus dem eigenen Nachwuchs nicht generieren. „Wir werden weiter dringend auf Zuzug angewiesen sein“, sagt Jung. „Und das weit über Deutschland hinaus.“
Was natürlich auch heißt: Es muss weiter gebaut werden – Schulen, Straßen, Brücken, Wohnungen.
Und Leipzig muss zwei Themen, die eigentlich nur „freiwillige Leistungen“ sind, ganz oben auf die Agenda setzen, quasi gleichauf mit den Pflichtaufgaben, wie Torsten Bonew betont: Klimaschutz und Mobilitätswende. Beide werden in den nächsten Jahren gewaltige Investitionen erzwingen. Und einen Großteil davon werden die Kommunalunternehmen stemmen müssen, die manchmal, so deuten Jung und Bonew an, auch von Stadträten gern als „Goldesel“ betrachtet werden.
Aber sie haben eher harte Zeiten vor sich: Die LVB müssen massiv in den Ausbau ihres Streckennetzes investieren und brauchen trotzdem – auch wegen gestiegener Kosten – wachsende Zuschüsse aus dem Mutterkonzern LVV. Und erwirtschaften müssen die Stadtwerke und Wasserwerke. Wobei die Stadtwerke jetzt schon mit massiv steigenden Einkaufspreisen bei Strom und Gas zu kämpfen haben. Und die Wasserwerke müssen ihre Infrastruktur so ausbauen, dass sie mit Starkregen genauso gut fertig werden wie mit lang anhaltenden Dürreperioden.
Leipzigs Investitionsstau
Aber da gibt es einen Engpass, den Leipzig nicht wirklich aufweiten kann, wie Torsten Bonew bestätigt. Er hatte sich zwar vorgenommen, den riesigen Berg an Investitionsstau („investive Haushaltsausgabenreste“) 2021 endlich abzubauen. „Aber das hat nicht so geklappt“, sagt er.
Zwar hat man fast so viel Geld investiert, wie Leipzig für 2021 geplant hatte – 252 von 256 Millionen Euro. Aber mehr war beim besten Willen nicht drin. Denn einerseits bremst die Vollauslastung sämtlicher Baubetriebe inzwischen die Wünsche der Stadt, noch mehr Baukapazität am Markt zu platzieren. Und zum anderen macht sich in der Verwaltung immer stärker auch jetzt schon der Personalmangel bemerkbar.
Allein was qualifizierte Bauingenieure betrifft, sind 20 Stellen nicht besetzt, so Jung. Und die Stadt stehe da in direkter Konkurrenz mit der privaten Bauwirtschaft. Ohne ein gezieltes Anwerbeprogramm werde die Stadt die nötigen Leute nicht bekommen.
Was eben auch heißt, dass der Fachkräftemangel nicht erst in der Zukunft ein Thema wird, sondern jetzt schon da ist. Fünf Prozent der geplanten Personalkosten konnten 2021 schlichtweg deshalb nicht ausgegeben werden, weil die Stellen überhaupt nicht oder erst mit Verspätung besetzt wurden, so Bonew.
„Unser Blick richtet sich trotz und gerade wegen der Corona-Pandemie immer nach vorn“, sagt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung.
„Unterstützen wollen wir eben nicht ausschließlich über Corona-Soforthilfen und die Aussetzung von Zahlterminen. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen Steuern und erwarten mit gutem Recht, dass wir vor allem weiter an der Zeit nach der Pandemie arbeiten. Für eine sichere Zukunft nehmen wir deshalb, trotz pandemiebedingter Zusatzkosten von rund 6 Millionen Euro in den vergangenen beiden Jahren, zusätzliche Planungsmittel von 15 Millionen Euro für künftige Investitionen in die Hand. Diese Richtung wollen wir unbedingt beibehalten.“
Haushaltsentwurf diesmal wieder im September
Die beiden Haushalte 2023/2024 will Torsten Bonew wieder mit jeweils 2 Milliarden Euro planen. Ohne Abstriche.
Aber eine gewisse Gefahr sieht er da heraufkommen, denn trotz steigender Beschäftigung und sinkender Arbeitslosigkeit steigen die Sozialkosten für die Stadt.
„Trotz positiver Tendenz gibt es für die nächsten Jahre noch keine Entwarnung der kommunalen Finanzen. So wird der Handlungsspielraum der Stadt Leipzig nicht nur durch die im Jahr 2023 um 65 Millionen Euro und im Jahr 2024 um 91 Millionen Euro erheblich steigenden Sozialausgaben eingeschränkt“, sagt Bonew.
„Auch der Fachkräftemangel, die Lieferengpässe und der Preisanstieg behindern den Konjunkturaufschwung. Trotz dieser schwierigen Voraussetzungen planen wir für den Doppelhaushalt 2023/2024 wiederholt keine Kürzungen, sondern die erneute Beschleunigung von Investitionen.“
Wie genau der Entwurf des Doppelhaushalts dann aussehen wird, erfahren die Leipziger/-innen im September. Bis dahin werde sich der Erweiterte Finanzausschuss noch fünfmal treffen und vorberaten, was alles drinstehen wird und was nicht. Für den Stadtrat – so Bonew – werde der Entwurf dann auf jeden Fall keine Überraschung.
Und man merkt auch, wie froh er darüber ist, dass es den Erweiterten Finanzausschuss als fest etabliertes Beratungsgremium gibt, obwohl – wie er selbst sagt – er anfangs dagegen war, ihn einzurichten. Aber so kann er sich mit den Finanzsprechern der Fraktionen schon Monate vor der Veröffentlichung des Entwurfs darüber verständigen, was geht und worauf Leipzig lieber (noch) verzichtet.
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