Städte sind Orte von Männern, für Männer. Das lässt sich an Straßennamen sehen, daran, wie Städte entworfen sind – dunkle Parks, Unterführungen, Sackgassen und Autoverkehr – und daran, wer sie erbaut hat, regiert und im Straßenbild präsent ist. An einigen Orten in Leipzig lässt sich jedoch auch die versteckte Historie der Frauengeschichte ablesen. In unregelmäßigen Abständen führt Kulturwissenschaftlerin Gerlinde Kämmerer von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft Gruppen durch die Stadt.

Trotz des kalten Wetters, kurz bevor Sachsen erneut in den Teilshutdown geht, sind mehr Interessierte gekommen als gedacht. Normalerweise sind die Führungen für maximal 20 Teilnehmende ausgelegt, am Anfang ist die Gruppe sicher doppelt so groß. Später wird sich das verlieren, da an den lauten Straßen kaum etwas zu verstehen ist.

Kämmerer zeigt sich trotzdem sehr erfreut darüber, denn als sie zu DDR-Zeiten und später nach der Wende begann, sich mit Frauengeschichte auseinanderzusetzen, interessierte sich die breitere Gesellschaft nicht dafür. Auch musste die bewusste Beschäftigung mit Frauengeschichte laut Kämmerer erst aus dem Westen in den Osten rüberschwappen, was auch für sie ein Startpunkt für die Führungen war. Nun gibt die Kulturwissenschaftlerin schon seit fast 30 Jahren Stadtführungen.

Das Publikum ist eher jung

Bei diesem Rundgang, fokussiert auf Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt und Auguste Schmidt, ist das Publikum eher jung. Kämmerer hebt hervor, dass „die neue Generation heute mehr Interesse am Feminismus mitbringt“. Dieser Austausch zwischen den Generationen macht die Führung besonders spannend, da man gemeinsam zurückschauen kann, was Frauen, weiblich gelesene Menschen, Aktivist/-innen und Vordenker/-innen bereits erreicht haben.

Treffpunkt sind die Grassi-Museen, knapp zwei Stunden wird es von da durch Leipzig gehen. Es ist kalt und wird bald zu dämmern beginnen, als Kämmerer in ruhiger Art und Weise die Anfänge der deutschen Frauenbewegung und des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, den Auguste Schmidt und Louise Otto-Peters 1865 gegründet haben, erklärt. Die drei Frauen, um die der Rundgang strukturiert ist, nennt Kämmerer oft nur liebevoll beim Vornamen. Es scheint, als habe sie über die Jahre der Forschung und Arbeit mit ihren Errungenschaften eine Bindung zu den Denkerinnen und Macherinnen aufgebaut.

Vom Eingang der Grassi-Museen führt Kämmerer zum heute verschlossenen Johannesfriedhof. Hier stehen die Grabmäler für Schmidt und Otto-Peters, begraben liegen sie jedoch woanders. Die Gruppe soll kurz innehalten und raten, wie viele Denkmäler es für wichtige Töchter der Stadt in Leipzig gibt.

Während wohl fast alle Leipziger/-innen wissen, wo das Denkmal für Schiller oder jene für Wagner und Goethe sind, ist das bei bekannten Frauen schon schwieriger. Jemand aus der Gruppe tippt, dass es 15 Denkmäler gibt. Kämmerer berichtigt: Es sind nur vier, darunter das für Clara Zetkin am Johannapark und Louise Otto-Peters am Spielplatz im Rosenthal.

Zu diesen Orten wird der Rundgang jedoch nicht führen. Weniger weit weg geht es weiter ins Grafische Viertel und in die Goldschmidtstraße, die nach der Frauenrechtlerin, Publizistin und Sozialpädagogin Henriette und nicht nach ihrem Mann, dem Rabbiner Abraham Meyer, benannt ist. Ein Detail, das schnell untergeht, da am Straßenschild keine Plakette angebracht ist. Solche können Initiativen oder Bürger/-innen der Stadt stiften, um auf den Namensursprung hinzuweisen.

Kämmerer weist außerdem darauf hin, dass früher Straßen oft den Vor- und Zunamen erhalten haben, während heute meist nur der Nachname gewählt wird. In Leipzig finden sich allerdings zahlreiche alte und neu benannte Straßen, die manchmal beide und manchmal nur den Nachnamen haben.

Dass die Benennung von Straßen aber über eine symbolische Kraft hinausgeht, betont Kämmerer, als sie auf die Arndtstraße zu sprechen kommt, die „ein Politikum“ sei. Zustimmendes Raunen geht durch die Menge.

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Die letzte LZ des Jahres 2021, Nr. 97 Titelblatt. Foto: Screen LZ

Unweit der Goldschmidtstraße befindet sich die Auguste-Schmidt-Straße. Schmidt war Lehrerin und Schriftstellerin und setzte sich wie Goldschmidt und Otto-Peters im Allgemeinen Deutschen Frauenverein für die Rechte und Bildung der Frauen ein.

Einen Ort der Bildung stellt auch eine weitere Station der Führung dar: die Henriette-Goldschmidt-Schule. Es ist eines der wenigen Gebäude, die von den Bomben der Alliierten verschont geblieben zu sein scheinen.
Eine emanzipierte Hochschule zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Nachdem Goldschmidt mit dem Erziehungskonzept von Friedrich Wilhelm August Fröbel in Kontakt kam und sie zusammen mit Schmidt eine Petition verfasst, die eine Kindergartenpflicht und ein einheitliches staatliches Erziehungssystem forderte, gründete sie 1911 mit der Hilfe von Henri Hinrichsen die Hochschule für Frauen zu Leipzig.

Goldschmidt vereinte in der Hochschule moderne Ansichten der Kindheit und Kindererziehung, ein emanzipiertes Frauenbild und die Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins.

Nachdem die Nationalsozialisten ihren Namen und ihre Ansichten ausradiert hatten, trägt das Gebäude seit 1945 wieder ihren Namen. Heute finden sich dort Gedenktafeln zu Goldschmidt sowie ein Stolperstein für Henri Hinrichsen, der maßgeblich die Gründung der Schule unterstützte und von den Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Hintergrunds ermordet wurde.

Gegen Ende führt Gerlinde Kämmerer die verbliebenen Teilnehmer/-innen in die Innenstadt, erst zum Mendebrunnen, benannt nach Marianne Pauline Mende, und schließlich zur Ritterstraße 12. Gegenüber der Nikolaikirche befindet sich dort am Gästehaus der Universität Leipzig eine Plakette zum Allgemeinen Deutschen Frauenverein, für die sich Kämmerer und die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft eingesetzt haben. An diesem Ort hielt Auguste Schmidt am 7. März 1865 einen Vortrag zur sogenannten Frauenfrage, auf den die Gründung des Frauenbildungsvereins am Tag darauf folgte.

Mit Glockenschlägen aus der Nikolaikirche verabschiedet Kämmerer die Gruppe in den Abend. Es folgt noch der Hinweis zur interaktiven Stadtkarte, die sich online bei der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft findet und mit welcher der Stadtrundgang auch auf eigene Faust begangen werden kann. Im winterlichen Shutdown ist das eine gute Möglichkeit, um neue Ecken und Geschichten zu entdecken, auch wenn man denkt, die Stadt schon gut zu kennen.

Für eine Zeit, in der Gruppenführungen wieder möglich sind, sei aber der Rundgang mit der erfahrenen Kulturwissenschaftlerin empfohlen, Kämmerer kann weit mehr berichten als Informationstafeln und Wikipedia.

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„Spaziergang mit Louise, Henriette und Auguste: Von der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins bis zur Hochschule für Frauen zu Leipzig“ erschien erstmals am 17. Dezember 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 97 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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