Am 6. November 2019 begann der Leipziger OBM-Wahlkampf. In Dresden. Im Raum der Landespressekonferenz im Sächsischen Landtag am Bernhard-von-Lindenau-Platz 1. Dorthin hatten Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) und Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) eingeladen, um „Maßnahmen im Kampf gegen linksextremistische Strukturen in Leipzig“ vorzustellen. Sie taten es nicht in Leipzig. Denn da wäre aufgefallen, dass einer in der Runde fehlte.

Nämlich der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Der Mann, auf den CDU-Politiker immer wieder mit dem Finger zeigen mit der Behauptung, der OBM sei für die Sicherheit in Leipzig zuständig. Und er tue nicht genug.

So wie am 3. Januar der CDU-Landtagsabgeordnete Rico Anton: „Was im Leipziger Stadtteil Connewitz in der Silvesternacht passierte, ist eine Eskalation linksextremistischer Gewalt, vor der wir als CDU seit Jahren den SPD-Oberbürgermeister Jung warnen! Seine Stadtverwaltung hat aber nur zugesehen, wie sich eine gewaltbereite Szene etablierte. Diese wurde als Teil der lokalen Folklore angesehen – damit muss Schluss sein.“

Das war nach den Silvesterereignissen, bei denen ein Polizist nach einem gewalttätigen Angriff verletzt worden war und nicht nur die Leipziger Polizei mit einer Meldung für Furore machte, bei der sich selbst die vor Ort anwesenden Journalisten fragten: Sind die jetzt völlig ausgetickt? Meldung und tatsächliche Ereignisse passten nicht zueinander.

Doch seitdem berichten Medien deutschlandweit über „Randale in Connewitz“. Connewitz wurde binnen Stunden zum neuen Synonym für linksextreme Krawalle – sorry: Seit dem Herbst heißt ja die neue Formel „Linksterrorismus.“

Am Freitag, 10. Januar, zitierte die „Zeit“, die sich zuvor schon mit einigen schrägen Geschichten über die Silvesterereignisse getummelt hatte, einen anonymen „Sprecher des Landeskriminalamts“ mit den Worten: „Was die Schädigung von Sachen betrifft, könnte man von Linksterrorismus sprechen.“

Das bezog sich auf die Anschläge auf Baustellen in Sachsen, deren Höhepunkt ja der Brandanschlag auf die Baustelle der CG Gruppe in der Prager Straße war.

Sachbeschädigung? Ja. Aber Terroranschlag?

Am 3. Oktober, dem Tag nach dem Anschlag, griff auch Burkhard Jung zu der Vokabel: „Wir sind konfrontiert mit einer massiven Gewalttat, bei der die Täter kaltblütig ohne Rücksicht auf das Leben der Nachbarn gehandelt haben. Die Polizei verdient jede Unterstützung, um die Hintergründe aufzuklären. Dies ist ein Terroranschlag, auf den der Staat mit ganzer Konsequenz antworten muss.“

Als dann auch noch ein paar Schläger eine Immobilienmaklerin in ihrer eigenen Wohnung angriffen, die mit einem Immobilienprojekt in Connewitz zu tun hat, sah die CDU ihre Gelegenheit gekommen, ihr Thema für den Leipziger OBM-Wahlkampf zu setzen: Sicherheit.

Zielrichtung: Genau jener OBM, der so bereitwillig das Wort Terror in die Welt gesetzt hatte.

Wenn man die Medien und die Öffentlichkeit dazu bringt, so wie die „Zeit“ zu denken, dann hat man einen Hebel, aus Angst Punkte für den OBM-Wahlkampf zu machen. Denn die meisten Wähler kommen nie nach Connewitz. Schon gar nicht zu Silvester. Sie glauben alles, was ihnen frei Haus erzählt wird. Auch das, wie die „Zeit” meldete: „Das Landeskriminalamt Sachsen sieht in den jüngsten Angriffen in Leipzig die Schwelle zum Terror erreicht.“

Noch einmal zurück zum Silvester am Connewitzer Kreuz: Selbst die Leipziger Polizei, die sich mit ihrer Pressemeldung so völlig vertan hatte, ging nach den Ereignissen von maximal 20 bis 30 gewaltbereiten Personen aus, die am Connewitzer Kreuz (möglicherweise) auf Zoff aus waren. Unter – geschätzten – 1.000 Connewitzern, die einfach nur feiern wollten.

Die Relationen stimmen nicht. Und zumindest bei der SPD hat man gemerkt, dass hier künstlich ein Ereignis geschaffen werden sollte, mit dem die am 2. Januar beginnende Plakatkampagne des nun zum OBM-Kandidaten mutierten ehemaligen Justizministers gepuscht werden sollte.

„Gerade weil Polizisten beim Einsatz in der Silvesternacht zu Schaden gekommen sind und es Verletzte gab, ist eine – auch parlamentarische – Aufarbeitung des Einsatzes geboten. Wenn es nach Aussagen des Polizeipräsidenten 20 bis 30 Personen gelang, zwei Hundertschaften der Polizei in Notsituationen zu bringen, sind dabei auch Fragen zur Einsatztaktik der Polizei legitim und notwendig. Unser Interesse zielt dabei auf den Schutz von Menschen und des Rechtsstaates“, kommentierte der Leipziger SPD-Vorsitzende Holger Mann am 5. Januar die nunmehr schon recht seltsamen Erklärungsversuche der Polizei und die scharfen Sprüche der CDU, die jetzt ihre wohl letzte Chance nutzen möchte, in Leipzig das OBM-Amt zu erobern, das seit 30 Jahren von der SPD besetzt wurde. Zum Beispiel mit dem Spruch: „Einer, der dafür sorgt: Sicheres Leipzig.“

Das ist wieder die geübte Spitze gegen den amtierenden OBM, dem die CDU immer wieder unterstellt, er wäre für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Was er nicht ist. Dafür sind die CDU-Innenminister zuständig, die aber lieber jahrelang die Polizei kaputtgespart haben.

Leipzig versucht ja seit Jahren die Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei. „Unter SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung wurde in der Stadt Leipzig der kriminalpräventive Rat einberufen. Polizei und städtisches Ordnungsamt arbeiten tagtäglich intensiv zusammen, zudem wurde das Ordnungsamt überdurchschnittlich ausgebaut und personell aufgestockt, um für mehr Ordnung in Leipzig zu sorgen“, zählt Holger Mann auf.

„Klar ist, dass die Stadt Leipzig nur begrenzte Möglichkeiten und Kompetenzen hat. Das anzuerkennen, anstatt mit Schuldzuweisungen von Verantwortlichkeiten abzulenken, ist ebenso Teil eines aufrichtigen, politischen Dialoges zur Vermeidung erneuter Vorfälle.“

Und das ist noch zahm formuliert.

Denn obwohl Sebastian Gemkow und Roland Wöller am 6. November mit viel Tamtam die Gründung der Soko LinX verkündet haben, sind die Ermittlungsergebnisse denkbar bescheiden.

„Gewalt gegen Menschen, Verwüstung von Baustellen und Aufruhr gegenüber der Staatsgewalt: Wir lassen es nicht zu, dass eine linksextremistische Szene den Rechtsstaat und seine Bürgerinnen und Bürger terrorisiert!“, tönte Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller am 6. November.

„Im engen Schulterschluss arbeiten Polizei und Justiz an der Aufklärung der begangenen Straftaten sowie der Aufdeckung und Zerschlagung krimineller Strukturen. Für mehr Effektivität in unserem Handeln bauen wir die bei der Polizei in Leipzig bestehenden Ermittlungseinheiten nun zur einer schlagkräftigen Soko LinX aus.“

Das ist Polit-Gedöns. Und ein Eingeständnis: Dass man nämlich auch das Landeskriminalamt über Jahre kurzgehalten hat. All diese Soko-Gründungen sind nichts als Umverteilungen: neue Büroräume mit neuer Aufschrift, in denen Kriminalbeamte, die vorher einfach in Dresden und Leipzig Fälle aufklärten, nun nach politischen Farben sortiert ermitteln sollen. Obwohl es in polizeilicher Ermittlungsarbeit immer nur um konkrete Straftaten geht.

Die Einordnung in „linksextrem“ oder auch „rechtsextrem“ treffen dann die Leute, die der Regierung hübsche Statistiken zu Politisch Motivierter Kriminalität (PMK) links / rechts zuarbeiten sollen.

So, wie die „Zeit“ gleich mal wieder ohne jeglichen Vergleich behauptet: „Leipzig sei laut dem Dokument ein ‚absoluter Brennpunkt‘ linker Übergriffe in Sachsen und mit mehr als 300 Straftaten im vergangenen Jahr der ‚Hotspot der linksautonomen Szene‘, die Szene stehe an der Schwelle zum Terrorismus.“

Das zitierte Dokument soll aus dem sächsischen LKA stammen.

Auf die „300 Straftaten“ kommen wir gleich noch.

Aber es passt in die Strategie hinter dem OBM-Wahlkampf des CDU-Kandidaten. Er will mit dem Thema „Sicherheit“ punkten. Und das gelingt nur, wenn es auch gelingt, den Leipziger Wählerinnen und Wählern die Angst einzuimpfen und den piefigen Ortsteil Connewitz zum Nest eines linken Terrorismus hochzuschreiben.

Unübersehbar ist der Versuch, die „Terrorismusgefahr“ in Leipzig zum beherrschenden Thema im OBM-Wahlkampf zu machen. Jede sachliche Analyse zu den Vorgängen in Connewitz zu Silvester fehlt. Selbst das LKA lässt sich instrumentalisieren und liefert (na hoppla, wie kam das Papier eigentlich zum „Spiegel“?) verbale Munition für eine Debatte über Leipziger Sicherheit, die längst so schrill ist, dass man als gewöhnlicher Leipziger seine eigene Stadt nicht wiedererkennt.

Der Tag: Connewitz – Merbitz soll für Aufklärung sorgen und neue Berichte über Polizeigewalt

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