Dieser Wechsel hat nicht geklappt. Im Mai kündigte das Dezernat Allgemeine Verwaltung an, dass nach zwei Jahren Vakanz endlich wieder ein neuer Amtsleiter für das Amt für Statistik und Wahlen gefunden worden sei. Aber der ausgewählte Fachmann, der bislang in Rostock tätige Soziologe und Demograph Dr. Christian Schmitt, würde seine Stelle frühestens zum 1. September antreten. Schon in April befürchteten Leipzigs Statistiker, dass es 2019 in ihrer Arbeit gewaltig rumpeln würde.
Da freilich waren noch die anstehenden Wahlen der mögliche Grund, dass die gewohnte Berichterstattung mit dem verfügbaren Personal nicht mehr zu bewältigen sein würde. Immerhin standen im Mai die Stadtrats-, Europa- und Ortschaftsratswahlen an. Im September folgten die Landtagswahlen. Und bald war auch klar, dass gleich nach dem Jahreswechsel die Oberbürgermeisterwahlen folgen würden.
Das bindet im Amt sämtliche Kräfte. Da bleibt kaum noch Zeit für die statistische Berichterstattung, sodass die Interimsleitung schon mal vorsorglich ankündigte, dass es die vollständige Auswertung der Bürgerumfrage erst im Herbst geben würde und den nächste Quartalsbericht wohl nur als Zahlenblatt – ohne die bekannten Analysen zu wichtigen Stadtthemen.
Aber nichts davon kam.
Auch das eigentlich im Oktober fällige „Statistische Jahrbuch 2019“ nicht.
Schon bei der für das Frühjahr angekündigten Bevölkerungsprognose zeichnete sich ab, dass verwaltungsintern der Wurm drin war. Statt zum 1. Quartal, wie auch dem Stadtrat angekündigt, gab es diese neue Hochrechnung, die die viel zu optimistischen Zahlen von 2016 korrigierte, erst im November.
Die Auswertung der Bürgerumfrage blieb vollends im Verfahren stecken, obwohl diese Umfrage auch für die Verwaltung eine elementare Orientierung ist, wo man bei wichtigen Leipziger Entwicklungen eigentlich steht.
Oberbürgermeister Burkhard Jung hat zwar, um das 2018 in Kraft getretene „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ (INSEK) mit belastbaren Messwerten zu untersetzen, extra ein neues Indikatorenset aufgelegt, das mit steigenden oder fallenden Kurven zeigen soll, ob Leipzig seine selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele tatsächlich erreicht (und tatsächlich wird Leipzig 2020 keines der Ziele erreichen).
Aber die Ergebnisse der Bürgerumfrage sind im Grunde deutlich aussagekräftiger. Zumindest, wenn man sie ernst nimmt und auch genau analysiert. Sie haben in den vergangenen Jahren auch stets Entwicklungen frühzeitig sichtbar gemacht, die im Verwaltungshandeln meist erst mit jahrelanger Verzögerung auch in eine Kurskorrektur mündeten.
Leipzig hat aufgehört, eine schnelle Stadt zu sein.
Was auch an dem rigiden, seit 2006 durchgezogenen Sparkurs beim Personal zu tun hat. Einstellungen fanden nur verzögert statt. Ganze Ämter mussten über Jahre mit Unterbesetzung arbeiten. Der Stau wurde besonders im Investitionsprogramm der Stadt sichtbar.
Und dazu kam in den letzten Jahren, dass langgediente Amtsleiterinnen und Amtsleiter, die oft schon in den 1990er Jahren auf den Posten gekommen waren, reihenweise in Ruhestand gingen. Und die Stadt tat sich unheimlich schwer, die frei werdenden Stellen zeitnah und ohne Kontroversen neu zu besetzen.
Das erwischte auch die Amtsleiterstelle im Amt für Statistik und Wahlen. Daran, das sich nicht genug fachkundige Bewerber/-innen fanden, lag es nicht. Aber da auch Vertreter der Ratsfraktionen in der Auswahlkommission ein Wörtchen mitzureden hatten, wurden immer mehr Stellenbesetzungen zum Politikum. Aussichtsreiche Kandidat/-innen gerieten öffentlich ins Kreuzfeuer, zogen ihre Bewerbung zurück, Verfahren wurden abgebrochen.
Zu einem echten Politikum wurden die Stellenbesetzungen im Amt für Wirtschaftsförderung und im Stadtplanungsamt, beides übrigens sehr einflussreiche Positionen.
Aber die Unstimmigkeiten sorgten auch dafür, dass die Verfahren zur Besetzung der Amtsleiterstellen im Amt für Umweltschutz, im Brandschutzamt und im Amt für Statistik und Wahlen ergebnislos abgebrochen worden waren und erst Anfang 2019 wieder neu aufgesetzt wurden.
Dass das wirklich nichts mit der Bewerberlage zu tun hatte, zeigen allein die Bewerberzahlen zur Amtsleiterstelle Statistik und Wahlen: Aus 34 Bewerbungen aus der ganzen Republik konnte die Auswahlkommission neun Kandidat/-innen herausfiltern, die die richtigen Kompetenzen für die Leitung des Amtes mitbrachten, die dann auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.
Im Juni konnte der Stadtrat dann die Wiederbesetzung der Stelle mit Dr. Christian Schmitt beschließen. Und eigentlich hätte man jetzt erwartet, dass das Amt ab September zwar noch die Landtagswahl absichern musste, ab Oktober aber die ausstehenden Berichte veröffentlichen würde.
Doch nichts davon ist passiert. Es wirkt geradeso, als habe das Amt sogar seine Arbeit eingestellt, denn auch die Veröffentlichungen auf der Website des Amtes waren völlig zum Erliegen gekommen. Nur die Wahlergebnisse wurden noch veröffentlicht. Alle anderen Daten zur Bevölkerung, zur Wirtschaft, zum Verkehr, zur Bildung usw. blieben im Dezember 2018 hängen. Ganz so, als hätte Leipzig das Atmen eingestellt.
Oder ein völlig unterschätzter Umzug hätte dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter fortan nur noch mit dem Verladen von Akten zu tun hatten.
Denn am 4. Dezember vermeldete das völlig in Schweigen verfallene Amt dann auf einmal:
„Das Amt für Statistik und Wahlen ist zum 4. Dezember 2019 vom Stadthaus in die Thomasiusstraße 1 in Zentrum-West umgezogen. Dort laufen derzeit die Vorbereitungen zur Oberbürgermeisterwahl.
Alle Bürgerinnen und Bürger können ab sofort unter der neuen Adresse auf die Dienste des Amtes zurückgreifen. Dazu gehören unter anderem die Hausnummernvergabe, die Nutzung der statistischen Fachbibliothek sowie die Annahme von Wahlvorschlägen für künftige Wahlen.
Die Telefonnummern, Öffnungs- und Sprechzeiten sowie die E-Mail-Adressen haben unverändert Bestand. Ebenfalls gleich bleibt die postalische Erreichbarkeit des Amtes für Statistik und Wahlen unter 04092 Leipzig (ohne Angabe eines Straßennamens).“
Nur ein Dienst ist nun seit Monaten völlig out of order: Die Versorgung der Stadt mit aktuellen statistischen Daten.
Weshalb wir selbst zur möglichen Einwohnerzahl zum Jahresende nur vage schätzen können. Aber wir versuchen es trotzdem gleich an dieser Stelle.
Die größten Probleme Leipzigs aus Sicht der befragten Bürger
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