Nicht nur in Leipzig durchwühlen Menschen Supermarktcontainer, um entsorgte, aber noch genießbare Lebensmittel vor der Müllhalde zu retten. Wer beim „Containern“ erwischt wird, gerät in Sachsen aller Kritik zum Trotz immer noch in die Mühlen der Justiz. Der Leipziger Rechtsanwalt Max Malkus hat sich auf die Vertretung von Container-Aktivisten spezialisiert. Ausgerechnet im erzkonservativen Freistaat Bayern kämpft er gerade für eine Mandantin um einen Freispruch. Notfalls möchte er den Fall der Studentin bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Mit der LEIPZIGER ZEITUNG hat sich der Jurist über die staatliche Verfolgung von Lebensmittelrettern unterhalten.
Herr Malkus, halten Sie Containern für strafbar?
Wenn Sie mit „Containern“ meinen, dass ich es für eine Eigentumsverletzung halte, die strafrechtlich als Diebstahl verfolgt werden darf, wenn jemand Lebensmittel aus einem Container für Abfälle nimmt: Definitiv nein.
Warum wird Containern dann staatlicherseits so eifrig verfolgt?
Es gab jedenfalls bis vor Kurzem einen über hundertjährigen Konsens in der deutschen Rechtsgeschichte, dass Lebensmittel aus dem Müll selbstverständlich kein Diebstahlsgegenstand im Sinne des Strafrechts sind. In Preußen wollte man auch das Wegwerfen reglementieren. Das hatte sicherlich Gründe, aber in der heutigen Zeit sehe ich angesichts eines so modernen Phänomens wie dem der Lebensmittelverschwendung absolut keinen rechtfertigenden Grund, warum das Retten von Lebensmitteln verfolgt werden sollte.
Seien wir doch mal ehrlich. Wer Lebensmittel rettet, verlässt den „Tatort“ sauber und niemand ist geschädigt. Ein paar Menschen essen etwas Leckeres.
Sind in der Verfolgungspraxis regionale Unterschiede auszumachen?
Ja, definitiv. Es kann sein, dass Sie von der Polizei angefeuert und von den Ladeninhabern ermutigt werden, oder eben, dass Sie mit Blaulicht auf die Polizeiwache verbracht werden. Das ist völlig absurd. Am Ende läuft es in vielen Verfahren auf eine Einstellung hinaus, weil die Staatsanwaltschaften vor einer absurden Frage stehen und sich wahrscheinlich im Alltag nicht tiefer damit beschäftigen wollen.
In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck wurde Ihre Mandantin erstinstanzlich verurteilt. Wie geht es jetzt weiter?
Tatsächlich hat sich der Richter nicht zu einem Freispruch durchringen können, und die Staatsanwaltschaft bis zuletzt an der Verfolgung aus einem von ihr statuiertem öffentlichen Interesse festgehalten. Der Richter hat sich interessanterweise mehrfach freundlich zum angeblichen Verhalten meiner Mandantin geäußert, dann aber gemeint, an Lebensmitteln, die durch irgendjemanden im Rahmen des Supermarktbetriebes in einem öffentlich zugänglichen Abfallcontainer geworfen wurden – wir wissen bis heute nicht, wer die Lebensmittel weggeschmissen hat – bestünde das Eigentumsrecht des Supermarktbesitzers fort.
Dies wirke so stark, dass das Strafrecht dieses Verhalten sanktionieren müsse. Er hat in seiner Begründung gesagt, dass ihm trotz entgegenstehender Meinung keine andere Wahl bliebe. Gegen diese Entscheidung haben wir Sprungrevision zum Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt.
Wie haben Sie Ihre Sprungrevision begründet?
Relativ einfach. Ich gehe sogar davon aus, dass wir der herrschenden Rechtsmeinung folgen, wenn man sich die Rechtsfrage genauer anschaut. Ich gehe davon aus, dass die im bürgerlichen Recht formulierte Eigentumsaufgabe spätestens dann verwirklicht ist, wenn der ehemalige Eigentümer eines Lebensmittels dieses von seinem Verwertungsbereich abtrennt und in einen Container oder Mülleimer zum Abfall gibt. Es geht ja hier explizit nicht um einen wirtschaftlichen Schaden oder Hausfriedensbruch.
Auf das Strafrecht übertragen, müssen wir uns auch fragen, ob im Angesicht unserer Verfassung, insbesondere ob der Wertungsentscheidungen, etwa Artikel 20 a des Grundgesetzes überhaupt legitim ist, hier den strafrechtlichen Apparat in dieser Art und Weise überhaupt in Bewegung zu setzen. Es ist ja nicht so, dass wirklich schwere Verbrechen, die uns alle betreffen, etwa im Bereich der Steuerhinterziehung, von den Staatsanwaltschaften wegen Überlastung nicht mehr bearbeitet werden könnten.
Wie sollten wir mit dem Phänomen des Containerns stattdessen umgehen?
Ich finde, Containern sollte, wenn eben Polizei und Staatsanwaltschaften teilweise die Strafbarkeit im Rahmen der Ermittlungsverfahren annehmen, vom Gesetzgeber explizit als straffrei herausgestellt werden. Vielleicht kann man bei dieser Gelegenheit die Steuerhinterziehung bei Konzernen in den Blick nehmen, anstatt den Supermarktbesitzer wegen einer vermeintlichen Schenkungssteuer oder Spendenformularen für die Abgabe von Lebensmitteln an die Tafel mit Bürokratie zu beladen.
Schaut man sich in Europa um, dann geht das in Tschechien, Frankreich und Schweden auch. Dort bestehen Abgabepflichten von noch verwertbaren Lebensmitteln bei großen Supermärkten und Lebensmittelretterinnen sind de facto entkriminalisiert. So weit könnten wir in Deutschland auch sein.
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