VideoBislang plätschert er irgendwie ein wenig, dieser aktuelle Stadtratswahlkampf. Verstehbar vielleicht, weil längst Prognosen zur sächsischen Landtagswahl am 1. September 2019 und erste Scharmützel dazu die Öffentlichkeit bestimmen. Dennoch kommt es einer echten Unterschätzung der kommunalen Ebene gleich, den Entscheid am 26. Mai 2019 gerade in der größten Stadt Sachsens auf meist inhaltsarme Plakate zu beschränken. Vielen gilt Leipzig als die „rote Hochburg“ und noch haben Linke, Grüne und SPD im Stadtrat eine Mehrheit von 40 Sitzen bei 70 Abgeordneten. Das würden CDU, FDP und AfD gern ändern. Letztere mit der Hoffnung auf deutlich mehr Sitze. Am 2. Mai trafen Vertreter der Parteien beim Mephisto-Forum aufeinander.

Dass die Fraktionen im Stadtrat die jungen Leute bei Mephisto und die ebenso jungen Hörer und Wähler des studentischen Radios ernst nehmen, konnte man durchaus daran sehen, dass immerhin neben dem Sprecher der Leipziger CDU, Michael Weickert, mit Christopher Zenker (SPD) und Katharina Krefft (Grüne) gleich zwei Fraktionsführer und mit Franziska Riekewald die stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Leipziger Stadtrat zur Wahl-Debatte entsandt wurden.

Mit Stadtrat Sven Morlok (FDP) kam ein ehemaliger sächsischer Wirtschaftsminister. Ergänzt wurde die Runde um die derzeit einzige Stadtrats-Piratin Ute Elisabeth Gabelmann (ebenfalls Fraktionschefin der „Freibeuter“) und Christian Kriegel (Stadtrat, AfD).

Die Ausgangslage

Derzeit gibt es mit insgesamt 40 Sitzen von 70 eine rot-rot-grüne Mehrheit im Leipziger Stadtrat. Was die CDU mit ihren 19 Sitzen zwar zur größten Fraktion macht, aber dennoch eine Art Oppositionsrolle zuweist. Bislang gilt aber, im Gegensatz zur Regierungspolitik der CDU auf Landesebene, wo sachliche Oppositionsanträge der Grünen und Linken grundsätzlich abgelehnt werden, dass im Stadtrat noch nach Sachfragen entschieden wird und auch CDU-Anträge in der auslaufenden Legislatur angenommen wurden.

So wurde beispielsweise die Straßenausbausatzung auf Betreiben der CDU gemeinsam beschlossen, um vor allem den Hausbesitzern an der Leipziger Peripherie die hohen Pro-Kopf-Zuzahlungen bei Straßensanierungen zu ersparen. Diese übernimmt nun die Stadt Leipzig, wie auch die höheren Zuzahlungen an die LVB, da die Linke gemeinsam mit der CDU das Tarifmoratorium durch den Rat brachte und so für 2019 und 2020 die Fahrpreise auf dem heutigen Stand einfror.

Wie es aus Sicht der CDU im ÖPNV weitergehen soll, versuchte am 2. Mai Michael Weickert in der Debatte zu erläutern. Der umstrittenste Punkt der Diskussion war dabei wohl für alle das sogenannte „365-Euro-Ticket“, bei welchem längst das große Rätselraten über die Umsetzung und Finanzierung begonnen hat – zumindest für die progressiven Kräfte im Rat.

Wo sich also die rot-rot-grüne Mehrheit im Leipziger Stadtrat bis zum 26. Mai 2019 durchaus kompromissbereit zeigt, könnte sich – mit Blick auf Dresden, wo mittlerweile CDU, AfD und FDP nach einem Zerfall der SPD-Fraktion gemeinsam im Stadtrat Radwege verhindern oder Kulturetats zusammenkürzen – nach der Wahl am 26. Mai 2019 die Lage auch in der 600.000-Einwohnerstadt Leipzig ändern. Nicht grundlos war im November 2018 aus der Landeshauptstadt zu vermelden „Dresden kippt“, seit die CDU hier mit der AfD teils gemeinsame Sache macht und die FDP mitzieht.

Was aktuell zu einer Leipziger Kampagne „Leipzig kippt nicht“ geführt hat, welche in den verbleibenden Wochen für den Erhalt der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse werben möchte.

Denn die bislang im Leipziger Parlament eher wirkungslos gebliebene AfD (4 Sitze) wird, nimmt man die 18,3 Prozent Zustimmung in der Messestadt bei der Bundestagswahl 2017 in den Blick, derzeit unter der Hand auf gut 8 bis 10 Sitze (ca. 12-14 Prozent) im neuen Rat geschätzt, während die CDU ebenso Abwanderungsbewegungen fürchtet wie die Linke und die SPD. Die SPD hat den Ruf offenbar gehört, immerhin hat sie bei ihrer Stadtratskandidatenkür stark darauf geachtet, sich zu verjüngen, was gleichzeitig zu einer gewissen Neupositionierung im Stadtrat unter Fraktionsführer Christopher Zenker führen dürfte.

Rechnet man den derzeitigen Auftrieb der Grünen auch in Leipzig ein, könnte es am 26. Mai bei der Frage zukünftiger Mehrheiten überaus spannend werden. Zumal mittlerweile praktisch keine Partei außerhalb der AfD den Einfluss der Menschen auf das Klima mehr leugnet und sich derzeit nahezu alle politischen Kräfte umweltbewusst geben.

Die NPD tritt mangels Kandidaten in Leipzig nicht an (was wohl mehr Zustimmung für die AfD bedeuten dürfte), die Piraten (mit Ute Elisabeth Gabelmann 1 Sitz) haben derzeit den bundesweiten Schwung von 2014 verloren und Alexej Danckwardt (ehemals Linke, nun parteilos) verabschiedete sich bereits in der Aprilsitzung vorsorglich selbst schon mal aus dem Stadtrat.

Für Anhänger der jetzigen eher links-liberalen Stadtpolitik in Leipzig dürfte sich also die Frage stellen, was aus den Grundmehrheiten dieser Konstellation nach dem 26. Mai 2019 wird: die Linke (17 Sitze), B90/Die Grünen (12 Sitze), SPD (11 Sitze), AfD (4 Sitze), Freibeuter (3 x FDP, 1 x Piraten, 4 Sitze) und drei fraktionslose Stadträte.

Da die Freibeuterfraktion bislang durch Stadträte wie Sven Morlok, Naomi-Pia Witte, René Hobusch (FDP) und Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) konstruktiv mitarbeitete, könnte man schätzungsweise bei gleichzeitiger Schwächung von CDU und SPD und Zuwachs bei den Grünen wohl am 26. Mai von einer Verschiebung innerhalb der Lager ausgehen. Was Leipzig erneut von „Dresdner Zuständen“ trennen würde und die Mehrheit von 35 Sitzen für zukunftsfähige Lösungen auch beim Erstarken der AfD erhalten könnte.

Packt man die Glaskugel wieder ein, bleibt bislang nur eines sicher: gelingt es den linksliberalen Kräften in Leipzig nicht, vor allem junge Wähler zur Kommunalwahl aufzurufen, könnten sich die vorrangig älteren Wähler der CDU und AfD deutlich mehr Einfluss im Rat verschaffen. So gesehen war der Mephisto-Abend eine Gelegenheit, vor allem jüngeres Klientel zur Wahlurne zu rufen.

Die Debatte am 2. Mai 2019

In der Debatte wurde beim zweiten großen Thema – Mieten, Wohnen, Bauen – sehr schnell klar, wo die Frontlinien zukünftig verlaufen werden. Während CDU und FDP den Slogan „Bauen, bauen, bauen“ ausgegeben haben und die Abschreckung privater Bauinvestoren durch Enteignungsdebatten fürchten, wollen Linke, SPD und Grüne neben der Einsicht der Notwendigkeit auch privater Investoren und Bauherren in Leipzig vor allem die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB und genossenschaftliche Modelle stärken.

Mit dem mittlerweile anstehenden Kauf von Bauland und anschließende soziale Bebauung durch die Kommune, dem Ratsbeschluss zum Beschneiden von illegal zu Hotels umgewandelten Wohnungen und eine geplante und beschlossene Sicherung des Marktanteils der LWB von 10 Prozent und mehr am Gesamtwohnungsmarkt in einer wachsenden Stadt führte Christopher Zenker (SPD) die bislang eingeleiteten Schritte aus. Besonders der anstehende Landkauf von Bundesgrundstücken zum Verkehrswert könnte dabei helfen, wieder mehr Steuerungselemente als Stadt in die Hand zu bekommen.

Wie komplex alle angedeuteten Wege dennoch bleiben werden, wurde auch in der weitgehend sachlich und unaufgeregt geführten Debatte deutlich: die Baukosten sind ebenso dramatisch gestiegen, wie auch die Kosten für Grund und Boden. Die beiden wichtigsten Faktoren für Neubau in Leipzig sind also teurer geworden, was sich bereits in steigenden Neubaumieten von 8,50 Euro und mehr niederschlägt, auch für die städtischen Wohnungsbauer. Was längste den Ruf nach deutlich mehr Wohnungsbauförderung vom Land Sachsen in Leipzig und längere Miet-Bindungsfristen für Sozialwohnungen von bis zu 30 Jahren haben aufkommen lassen, um zumindest dauerhaft ab 6,50 Euro neue Wohnungen bereitstellen zu können.

Hinzu kommt der längst manifeste Fachkräftemangel in immer mehr Branchen in Leipzig, was die Bauwirtschaft als eine Art durchlaufendes Mega-Thema auch über Bildung, Schule und Löhne hinweg leider von den Moderatoren etwas unbemerkt mit der ÖPNV-Debatte am gestrigen Abend verband. Denn wo die Menschen fehlen, kann – ganz unabhängig vom jeweiligen Lohnniveau – nichts mehr ausgebaut, aufgebaut oder verlässlich betrieben werden. Wo ein neuer Bus ohne Fahrer herumsteht, werden keine neuen Linien möglich sein.

Denn richtig waren hier gleich mehrere Anmerkungen aus der Runde. Was nützt ein gut aufgestellter ÖPNV mit hohen Taktraten in einer nun vielleicht doch nur auf 640.000 Einwohner wachsenden Stadt, wenn ihn sich keiner mehr leisten kann?, warb Franziska Riekewald (Linke) für das 365-Euro-Ticket. Bei welchem die Linke SPD und Grüne längst im Boot weiß und nun auf einen ersten Kalkulationsvorschlag aus der Stadtverwaltung wartet.

Was Ute Elisabeth Gabelmann mit Kritik auch an der LVB flankierte: diese habe es ja „verkackt“, sich frühzeitig auch auf mehr Fahrpersonal einzustellen, welches nun fehlt, um den ÖPNV auszubauen. Selbst aktuelle Linien können derzeit nicht mehr verlässlich angeboten werden, weil das (noch immer zu schlecht bezahlte) Personal fehlt. Womit das Bild des in den vergangenen Jahren durch Land und Kommune zusammengesparten Leipziger ÖPNV rund wurde: am Ende fehlt bis heute das Geld, um neue Fahrer an sich zu binden. Welche bereits jetzt in der gerade einmal 30 Minuten Arbeitsweg entfernten Nachbarstadt Halle rund 300 Euro mehr verdienen, wie Riekewald anfügte.

Auszüge aus der Debatte am 2. Mai 2019

Video: L-IZ.de, 1:21 Stunde, rund 900 MB

Dass dieser Befund zudem nicht mit der immer noch bei rund 10 Prozent verharrenden Schulabbrecherquote in Leipzig (und dennoch eher ein Landesthema in den Bereichen Lehrerpersonal, Jugendhilfeförderung) ebenso wenig zusammenpasst, wie der seit heute bekannte gegen Zuwanderung gerichtete Wahlslogan der AfD „Leipziger zuerst“, erschließt sich da logisch. Nicht grundlos sucht die LVB längst in ganz Europa nach neuen Mitarbeitern, während sich Linke, Grüne und SPD für längeres gemeinsames Lernen an den Schulen in ganz Sachsen stark machen.

Ein Thema, was vor allem die CDU immer wieder vor allem aus ideologischen Gründen abschmetterte, da man hier die Wiederkehr der DDR und nicht eine höhere soziale Bindung junger Menschen und somit eine Stärkung des gemeinsamen Lernerfolges an den Grundschulen wittert. Apropos Zukunft: Beim Thema Kita-Bauten hoffte Christopher Zenker (SPD), dass man ab etwa 2021 wieder wegkommen könne, riesige Kitakapazitäten auf einmal schaffen zu müssen und dann wieder kleinere Einheiten planen könne.

Ein Thema, bei welchem sich also ein gewisser Stauabbau langsam abzeichnet, nachdem man in der auslaufenden Legislatur quasi im Akkord Großkitas in den Leipziger Geburtenanstieg und Zuzug hineinbauen musste. Was dennoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass fehlender Wohnungsleerstand und das mühsam gebändigte Kita-Chaos der vergangenen Jahre dennoch längst zu ersten Abwanderungsbewegungen gerade Leipziger Familien führt.

Kritik zur Debatte

Zwei ältere Herren standen am Ende der Veranstaltung vor dem Zeitgeschichtlichen Forum und vermissten ein Thema. Gewalt in Leipzig treibe beide um, extremistische besonders, dies habe in der Debatte gefehlt. Auf Nachfrage sind beide der AfD sehr zugetan, etwas, was man von den rund 200 vorrangig jungen Besuchern des Debattenabends eines Studentensenders eher nicht behaupten konnte. Die wollten lieber über inhaltliche Fragen debattieren, die der Leipziger Stadtrat wirklich maßgeblich beeinflussen kann und weniger über fehlende Personalstellen bei der Kriminalpolizei in Sachsen.

Ein Thema, was dann jedoch vor der Sachsenwahl am 1. September 2019 anstehen dürfte, da diese Personalplanungen, wie auch bei Richtern, Staatsanwälten und Lehrern, eben Landessache und keine Kommunalpolitik sind: noch immer bleiben trotz rückläufiger Kriminalitätszahlen in Sachsen zu viele Fälle bei Gewaltdelikten unaufgeklärt liegen.

Man ahnt, woran es liegt – die gute alte Personalfrage … Sven Morlok (FDP) übertrug dieses Problem dann auch auf die Leipziger Verwaltung, welche nicht funktioniere. Immer zu spät, mit „Task-Forces“ arbeitend und dies unter einem Oberbürgermeister Burkhard Jung, welcher dafür verantwortlich sei, kritisierte Morlok die oft zu langsame Umsetzung von Ratsbeschlüssen durch die Stadt. Diese sucht unterdessen permanent Fachkräfte …

Sachlicher Austausch über rund 2 Stunden hinweg in einem vollen Saal. Foto: L-IZ.de
Sachlicher Austausch über rund 2 Stunden hinweg in einem vollen Saal. Foto: L-IZ.de

Was beiden Moderatorinnen weniger auffiel, war die teils deutlich höhere Einräumung von Redezeit an den AfD-Stadtrat Christian Kriegel durch die Moderation und fehlende Konfrontation mit der bisherigen Arbeit seiner Fraktion auch der anderen Kandidaten.

Dieser hatte zwar angesichts des jungen Publikums deutlich den Kreideanteil in seinen Aussagen erhöht (Aussagen, wie bereits im Stadtrat gefallen, es wehe hier bald ein anderer Wind, unterblieben dieses Mal). Dafür zeigte er ein ums andere Mal, wie sehr er selbst die Markthörigkeit der vergangenen Jahre in CDU, FDP und Teilen der SPD auch für seine AfD reklamierte. Gleichzeitig nimmt seine Partei derzeit zunehmend Anleihen bei sozialen Ideen, wenn sie sich dadurch vor allem im Billiglohnland Sachsen höhere Wahlerfolge erhofft. So gab Kriegel an dem Abend die CDU 2, während Michael Weickert eher auf seine Ambitionen auf ein Mandat im Sächsischen Landtag hinwies.

Was zumindest eine Sache verdeutlichte. Wer der Meinung ist, „der Markt regelt alles“, kann am 26. Mai also auch eine bislang doch recht muntere Wirkungs-, Steuerungs- und Reaktionsfähigkeit in der Leipziger Kommunalpolitik abwählen. Denn „der Markt“ stellt sich bekanntlich nicht zur Wahl, er schickt aber offenbar mit der AfD eine weitere wirtschaftshörige Kraft mit einem Familienbild aus den 60er Jahren ins Rennen. Demgegenüber zeigt sich die SPD zunehmend aufgeschlossener gegenüber neuen Ideen, während es zumindest am 2. Mai Teile der Grünen sind, die sich betont locker geben angesichts der derzeitigen Wahlprognosen. Franziska Riekewald hingegen versuchte es mal mit der Taktik, auf die Beiträge Kriegels mit einem Kopfschütteln gar nicht erst einzugehen und blieb, wie all anderen Teilnehmer, lieber bei der eigenen Linie.

So blieb es alles in allem erstaunlich sachlich an einem, auch dank der straffen Themenordnung der Mephisto-Redaktion dennoch munteren Debattenabend, der es so schaffte, einige grundsätzliche Unterschiede im Leipziger Parlament herauszuarbeiten.

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