WahlumfrageLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Keine 20 Tage mehr und die Leipzigerinnen gehen wählen. Also die, die es wichtig finden, neben der Europawahl auch ihre kommunale Politik im Auge zu behalten. Denn dann werden die 70 neuen Stadträte und Stadträtinnen ermittelt, die in den kommenden fünf Jahren die Geschicke Leipzigs mitbestimmen sollen. Apropos gehen: tatsächlich erreichen die meisten Wähler ihre meist in Schulen angesiedelten Wahlbüros zu Fuß. Bertram Weisshaar vom FUSS e.V. hat genau dazu Vorschläge, worauf sich das kommende Kommunalparlament beim Thema Verkehr konzentrieren sollte.

In einem Punkt ist es ganz egal, auf welche Art von Fahrzeugen jemand „abfährt“ – ohne das Gehen geht dabei doch gar nichts: Jeder zurückgelegte Weg besteht letztlich immer auch zu einem Teil aus einer Etappe, die zu Fuß zurückgelegt wird. Nicht wenige Leipziger Stadträte haben sich an das Gehen als unsere grundlegende Basis-Mobilität bzw. Mobilitätsbasis erinnert und eine deutlich stärkere Förderung des Fußverkehrs als wichtige Politikaufgabe erkannt.

Ein bedeutender und auch überregional positiv beachteter Schritt in diese Richtung war der Stadtratsbeschluss zur Einstellung eines Fußwegeverantwortlichen. Seit etwas mehr als einem Jahr ist diese neu geschaffene Rolle inzwischen in der Leipziger Verkehrsplanung wirksam. Erste strukturelle Verbesserungen in den Planungsabläufen und Verkehrsplänen sind bereits erkennbar.

Hingegen blieben die in Haushaltsberatungen beschlossenen Aufstockungen der Finanzen zur Instandsetzung der Gehwege eher symbolischer Natur: Die Abarbeitung des gewaltigen stadtweiten Gehwegsanierungsstaus könnte leicht einen Zeitraum von zwei oder drei Jahrzehnten benötigen. Dies stellt die Stadträte somit vor eine Aufgabe, die eben nicht innerhalb der nächsten Legislaturperiode erledigt werden kann. Ein rasch vorzeigbarer Politikerfolg ist bei dieser Herausforderung nicht zu erwarten – vielleicht blieb sie eben deswegen so lange so sträflich vernachlässigt seitens der Stadtpolitik.

Anstatt sich etwa für fragwürdige Wasserstraßenverbindungen zu engagieren, gilt es um vieles dringlicher, den Fußgängern barrierefreie und adäquate Wege zu breiten. Denn was nutzt den Bürgern der Stadt eine mit Motorbooten befahrbare Rinne am Stadtrand, wenn sie zugleich tagtäglich auf den Gehwegen vor ihrer Haustür mit zahlreichen Stolperfallen konfrontiert sind?

Bertram Weisshaar. Foto: Thomas Eichler
Bertram Weisshaar Foto: Thomas Eichler

Der Klimaschutz und damit einhergehend die Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid wie auch all der weiteren Schadstoffe insgesamt, ist inzwischen breiter Konsens in der Leipziger Stadtgesellschaft wie auch bei den Leipziger Stadträten. (Allein von randständigen Personen wird diese zentrale Aufgabe gelegentlich infrage gestellt.) Doch während in beinahe allen Gesellschaftsfeldern und allen Wirtschaftsbereichen in den letzten Jahren in diese Richtung Fortschritte erzielt wurden, stieg allein im Verkehrssektor der CO2-Ausstoß weiter an.

Allein schon dieser Umstand verdeutlicht, dass eine Verkehrswende zu den dringlichsten Aufgaben des neuen Stadtrates gehören wird. Das bedeutet gleichwohl deutlich mehr als das Aufstellen einiger Fahrradstraßenschilder oder ein, zwei Prozent weniger Verkehrsanteil des motorisierten Individualverkehrs. Die Verkehrswende muss sich deutlich erkennbar im Straßenbild unmittelbar abzeichnen: weniger Lärm, weniger Schadstoffe, weniger Fahrzeuge, weniger Unfälle. Oder anders formuliert: gesündere Luft, gesündere Fortbewegung, qualitätsvolleren öffentlichen Raum, mehr Rücksichtnahme, mehr Begegnungen und Miteinander.

Diese Veränderung zu erzielen ist eine sehr große Aufgabe, mag dem einen oder der anderen gar als utopisch erscheinen – es liegt aber sehr wohl im Bereich des Machbaren!

Einige Indizien hierzu sind offensichtlich

So werden beispielsweise diejenigen Schüler, die heute für ihre zukunftsfähige Zukunft streiken, in den nächsten vier Jahren kaum weitere Stellplätze wünschen, ganz sicher aber einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr und gute Bedingungen für die Nahmobilität fordern.

Eine geradezu verbriefte Chance zur Verkehrswende ist unmittelbar in die derzeit auf den Leipziger Straßen fahrenden Autos „eingebaut“: Ein bedeutender Anteil der Pkws ist über Leasing finanziert, ein weiterer wesentlicher Prozentsatz wird aufgrund dessen Abnutzung ausgesondert werden. Innerhalb der anstehenden Legislaturperiode wird also schätzungsweise jeder dritte oder gar jeder zweite Autofahrer unumgänglich sein jetziges Auto abstoßen – und sich mit der Frage seiner zukünftigen Mobilität ganz persönlich auseinandersetzen.

Die Stadtpolitik muss in diesen Momenten jeweils wirksam und präsent sein – mit Argumenten für nachhaltige Mobilität, mit guten Angeboten des Umweltverbundes, mit überzeugenden Schritten zur Förderung des Nahverkehrs und zugleich mit absehbaren Restriktionen gegen nicht an die Stadt angepasste Fahrzeuge. Zu betonen ist dabei, dass sich diese notwendigen Restriktionen gegen unpassende Fahrzeuge richten – nicht gegen die Bürger der Stadt.

In der wachsenden Stadt Leipzig werden mehr und mehr Flächen bebaut. Damit einhergehend nimmt der Nutzungsdruck auf die Freiflächen, die Stadtparks und Innenhöfe zu. Zentrale Antworten hierauf, wie sie etwa gegenwärtig mit dem Masterplan Grün vorbereitet werden, muss die Stadtpolitik dringend verabschieden.

Die Sicherung wohnortnaher Freiflächen in allen Stadtquartieren ist ebenfalls eine der dringlichsten Aufgabenstellungen – die zudem eng mit der Gestaltung der Mobilität einhergeht: Eine gelingende Verkehrswende schafft die Möglichkeit, die Stellplätze aus den Innenhöfen der Gründerzeitquartiere zu verbannen, um dort Raum für Entspannung, Spielflächen und Lebensmittelanbau zurückzugewinnen.

Der FUSS e.V. Deutschland / Regionalseite Leipzig im Netz

Die Überlegungen und Forderungen finden sich zunehmend unter l-iz.de/tag/umfrage

Die bisherige Arbeit der Parteien in ihren Fraktionen im Stadtrat, Videos und Artikel finden sich unter l-iz.de/tag/stadtrat

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Leipzig hat einen FußVERKEHRSverantwortlichen eingestellt. Einen Fußwegeverantwortlichen gibt es im Prinzip schon immer. Das Besondere am FußVERKEHRSverantwortlichen ist, dass er einen ganzheitlichen Blick auf die Entwicklung des Fußverkehrs legt und sich nicht um Pfützen auf Gehwegen kümmert.

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