Es kommt selten vor, dass sich im Leipziger Stadtrat gleich vier Fraktionen zusammentun, um einen Änderungsantrag einzubringen. Da die vier schon die Mehrheit sind im Stadtrat, ist er quasi schon beschlossen, auch wenn die Vorlage des Kulturdezernats „Veranstaltungen zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution 9. Oktober 2019“ erst nach der Sommerpause zum Beschluss ansteht. Aber der öffentlich ausgetragene Streit im Frühjahr hat gezeigt, dass man nicht einfach immer so weitermachen kann. Und so schon gar nicht.

Denn der Änderungsantrag, den die Grünen, die CDU, die SPD und die Freibeuter am Freitag, 6. Juli, gemeinsam einbrachten, richtet sich vor allem gegen zwei Punkte in der Verwaltungsvorlage, die explizit zeigen, warum das Lichtfest derartig in die Kritik geraten ist, die Initiativgruppe „Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober“ zerstritten ist und die Ratsfraktionen zu Recht befürchten, dass Leipzigs wichtigster Feiertag Akzeptanz und Zuspruch verliert und sich in inhaltloser Beliebigkeit auflöst.

Denn das, was viele Besucher schon ab 2016 kritisierten, überzeugt längst auch Katharina Krefft (Grüne), Frank Tornau (CDU), Axel Dyck (SPD) und René Hobusch (Freibeuter, FDP), dass der Stadtrat handeln und mehr Verantwortung übernehmen muss.

Einig ist man sich in der Einschätzung, dass insbesondere das Lichtfest in den letzten Jahren eine unheimliche Richtung eingeschlagen hat. Es fallen beim gemeinsamen Pressegespräch Stichworte wie Eventisierung, touristische Fixierung und „verkommerzialisiert“.

Es ist nicht mehr unser Fest, hätten alle vier sagen können. Sagten sie aber nicht, denn dazu ist ihnen das Lichtfest zu wichtig. 2019 wird es zehn Jahre alt. Und eigentlich hat es sich seitdem in den Herzen der Leipziger verankert. Besonders lieben sie es, wenn das Fest mit einem Umzug um den Innenstadtring verbunden ist – so wie 2009 und 2014. Da ist die Erinnerung an den Herbst 1989 am stärksten und am schönsten. Das könnte eigentlich jedes Jahr so sein, findet Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Es ist wirklich Zeit, darüber nachzudenken.

Und auch über die Tatsache, dass der 9. Oktober ein vom Freistaat Sachsen unterstützter Feiertag ist in Leipzig. Wovon man wenig merkt. Man stand die letzten Jahre eher etwas befremdet auf dem Augustusplatz und ließ sich von berühmten Fernsehnasen, die mit dem Herbst 1989 nun wirklich nichts zu tun hatten, erklären, wie man die Erinnerung an die Friedliche Revolution aufzufassen habe.

Was auch René Hobusch, dem Fraktionsvorsitzenden der Freibeuter, gegen den Strich geht. Er empfindet das als einen Versuch „eine Deutungshoheit zu beginnen“, die überhaupt noch nicht dran ist. Künftige Historiker, da ist er sich sicher, werden dem 9. Oktober 1989 schon eine wichtige Rolle zuweisen – nämlich als Tag des Endes der alten Bipolarität der Systeme. „Heute bekommen wir ja eine neue, andere Bipolarität“, sagt er noch. Dieser Herbst 1989 ist also überhaupt nicht so vergangen und abgehakt, wie mancher meint. Und eine Ikone fürs Heiligenkabinett ist es auch nicht. Darf es nicht sein. Da sind sich alle vier Fraktionen einig.

Aber wie schreibt man so etwas in einen Antrag, mit dem die Verwaltung jetzt gern schon den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution im Jahr 2019 vorbereitet hätte?

Man ändert die beiden Punkte, an denen einem die Schnapsideen der Verwaltung so richtig ins Auge springen. Denn diese beiden Punkte zeigen eigentlich, warum die Sache schiefzugehen droht und warum es den Streit in der Initiativgruppe tatsächlich gibt. Ungelöst bis heute.

Wer sich nicht mit den Ursachen für den Streit beschäftigt, der merkt auch nicht, dass es diese Punkte sind, an denen es knirscht.

Der eine ist Beschlusspunkt Nr. 2: „Die inhaltliche Verantwortung für die thematischen Schwerpunkte des Lichtfestes sowie der begleitenden Programme obliegt der Initiativgruppe ‚Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989‘.“

Wie kann man einer Initiativgruppe die inhaltliche Verantwortung überlassen, wenn sie sichtlich so tief zerstritten ist?

Und sie ist tiefer zerstritten, als es die öffentliche Kritik Uwe Schwabes, der die Gruppe mit Krach verlassen hat, deutlich gemacht hat. Nur halten sich all jene, die für die “zunehmende Kommerzialisierung des Lichtfestes” (René Hobusch) verantwortlich sind, ganz stille zurück. Sie lassen sich auf öffentliche Debatten über die Inhalte des Lichtfestes nicht ein. Für sie ist das entweder nur Marketing oder Geschäft. Oder beides. Mit Inhalt haben sie nichts zu tun.

Und genau das ist es ja, was dieses Ereignis auf dem Augustusplatz zu herzlos und unlebendig gemacht hat. Etwas, was Katharina Krefft zutiefst empfunden hat: Ihr ist die Lebendigkeit dieser ganz eigenen Leipziger Erinnerung wichtig. Und die muss zurückgewonnen werden.

Aber wie ändert man dann diesen Punkt Nr. 2?

So soll er jetzt lauten: „Die inhaltliche Verantwortung für die thematischen Schwerpunkte des Lichtfestes sowie der begleitenden Programme obliegt dem ‚Kuratorium Friedliche Revolution 1989‘. Die organisatorische Verantwortung trägt die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH.“

Das ist das, was Axel Dyck meint, wenn er sagt: „Wir als Stadträte müssen wieder Verantwortung übernehmen.“ Nämlich für die inhaltliche Schwerpunktsetzung des Lichtfestes. Das kann man nicht Vermarktern und Touristikern überlassen.

Die Gründung eines solchen Kuratoriums hatte die Verwaltung selbst vorgeschlagen. Aber nicht mit dieser Schwerpunktsetzung und auch nicht in dieser Zusammensetzung. Und darüber hat sich SPD-Stadtrat Axel Dyck erst so richtig geärgert: „Was hat denn der Polizeipräsident in so einem Gremium zu suchen? Und was, bitteschön, sollen da ausgerechnet die Vertreter der Sponsoren? Das finde ich einfach skurril.“

Der dritte Beschlusspunkt lautet tatsächlich so: „Es wird ein Kuratorium ‚Lichtfest‘ unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters berufen. Das Kuratorium berät die Initiative 89 und die LTM GmbH bei der Programmgestaltung. Das Kuratorium tagt mindestens zweimal (November 2018, II. Quartal 2019).

Dem Kuratorium sollten neben dem Oberbürgermeister angehören:
– die Beigeordnete für Kultur
– der Beigeordnete für Umwelt, Ordnung und Sport,
– je eine Vertreterin/ein Vertreter der Fraktionen im Leipziger Stadtrat
– der Polizeipräsident der Stadt Leipzig
– drei Vertreterinnen/Vertreter aus dem Bereich der Unterstützer/Sponsoren des Lichtfestes 2019.“

Das wäre der beste Weg, das Lichtfest genau zu dem Tourismus-Event zu machen, dem die Leipziger in den letzten beiden Jahren immer öfter den Rücken gekehrt haben.

Das Lichtfest (2015). Eher ein Erinnerungsfest, bei dem man den Kindern von 89 erzählt. Foto: L-IZ.de
Das Lichtfest (2015). Eher ein Erinnerungsfest, bei dem man den Kindern von 89 erzählt. Foto: L-IZ.de

Dass alle Fraktionen Vertreter in das Kuratorium entsenden, ist für die vier Stadträte selbstverständlich. Nur so wird das Gremium demokratischer und bekommt auch demokratisch legitimierten Streit. Deswegen haben dort Polizeipräsidenten und Sponsoren nichts zu suchen. Auch wenn Katharina Krefft noch nicht wirklich sagen kann, wie das Kuratorium am Ende wirklich besetzt wird.

Der Beschlusspunkt wird erst einmal nur eingedampft: „Es wird ein ‚Kuratorium Friedliche Revolution 1989‘ als Beirat gemäß § 47 SächsGemO berufen.“

Der Paragraph 47 definiert so einen Beirat zuallererst als Beirat für das Kommunalparlament, nicht für den Oberbürgermeister, wie es die Verwaltungsvorlage wollte. Vielleicht ist das Burkhard Jungs allergrößter Fehler: Dass er überall immer die erste Geige spielen will. Auch da, wo er gar nicht gebraucht wird.

In so einem Beirat sind zwar die Vertreter des Stadtrates vertreten – aber sie holen sich die beratende Kompetenz nicht unbedingt aus einer bürokratischen Verwaltung, sondern mit „sachkundigen Einwohnern“, wie es in der Gemeindeordnung heißt.

Und das sollen, so stellen es sich Hobusch, Tornau, Dyck und Krefft vor, vor allem Akteure sein, die sich eng mit dem Herbst 1989 verbinden. Das könnte auch wieder Uwe Schwabe sein, genauso wie andere Akteure aus dem Herbst 1989.

Wobei Dyck daran erinnert, dass die Friedliche Revolution ja bald 30 Jahre her ist. Die jüngeren Generationen seien ganz zwangsläufig auch einzubeziehen, wenn der 9. Oktober seinen Platz im Herzen der Leipziger behalten soll. Aber über die genaue Zusammensetzung des Kuratoriums muss der Stadtrat dann extra befinden.

Aber die gemeinsame Vorlage zeigt, wie wenig die vier Fraktion mit der Weiter-so-Mentalität des Oberbürgermeisters noch einverstanden sind.

Das wird auch in der Erläuterung deutlich: „Die von der Stadt jetzt vorgelegten Planungen zu den zentralen Veranstaltungen am 9. Oktober 2019 mit Staatsempfang, dem Friedensgebet und der ‚Rede zur Demokratie‘ in der Nikolaikirche, sowie das Lichtfest um den Innenstadtring zeigen, dass es keine selbstkritische Neureflexion des Themas, sondern lediglich ein ‚weiter so‘ geben soll. – Die derzeitigen Organisationsstrukturen, die sehr stark auf die Betonung des touristischen Mehrwertes ausgerichtet sind, tragen diesem Anliegen nicht mehr ausreichend Rechnung. – Auch die wahrnehmbaren Spannungen der zivilgesellschaftlichen Akteure in diesem Bereich können das Grundanliegen derzeit nicht mehr ausreichend umsetzen helfen.“

Logischer Schritt: Die demokratisch legitimierten Stadträte übernehmen die Verantwortung für die inhaltliche Schwerpunktsetzung. „Aus diesem Grund bedarf es einer engen Anbindung und der Steuerung durch den Stadtrat und die Verwaltungsspitze, was durch einen Beirat nach Sächsischer Gemeindeordnung am besten umzusetzen ist.“

Axel Dyck hofft zwar auf ein geglücktes Lichtfest 2018. Aber bis dahin wird das neu zu gründende Kuratorium noch nicht einmal getagt haben, geschweige denn inhaltliche Vorgaben gemacht haben. Aber eines geht jetzt auch als Botschaft an all die, die für “die Eventisierung des Lichtfestes” (so auch Katharina Krefft) die Hauptverantwortung tragen. „So geht das einfach nicht mehr“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Tornau.

Die Initiativgruppe fürs Lichtfest muss kleiner werden, damit sie wieder Profil bekommt

 

Die Initiativgruppe fürs Lichtfest muss kleiner werden, damit sie wieder Profil bekommt

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Hoffen wir das Beste.

Die “Fernsehnasen” 🙂 müssen per se nicht schlecht sein – es kommt auf das Konzept an.

Das letzte Mal bin ich nicht mehr gegangen – wegen der Erfahrungen aus den Vorjahren. Traurig.

Zu deutlich (und nervig) war die Handschrift von altkluger Belanglosigkeit, wichtigtuerischen Zeigefingerparabeln und eventtypischem Kommerz.

Dabei gab es in den ersten Jahren richtig gute Erlebnisse.

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