Das Leipziger Jobcenter ist eine Black Box. Halbjährlich liefert es zwar ein ganzes Paket mit Leistungs- und Erfolgszahlen. Aber wenn man das Papier genauer betrachtet, zeigt es nichts anderes als die Selbstbeschäftigung eines völlig introvertierten Amtes. Was – frei nach Helmut Kohl – am Ende dabei rauskommt, kommt gar nicht drin vor. Jeder monatliche Arbeitsmarktbericht zeigt, wie wenig die verwalteten Objekte davon haben.
Beschäftigungsobjekte. Im realen Leben meist Menschen mit dutzendfach gebrochener Berufskarriere, vielen Erfahrungen in der Hölle der Wartezimmer, Adventskranz- und Holzmichelbasteleien. Viele Ältere, viele mit haufenweise Lebensproblemen am Hals, viele Alleinerziehende und Kinder darunter. Jedes vierte Leipziger Kind lebt in einer „Bedarfsgemeinschaft“.
Damit ist Leipzig zwar nicht mehr die deutschlandweite Nr. 1 unter den Großstädten – Essen, Duisburg, Dortmund, Berlin und Bremen sind mittlerweile vorbeigezogen. Aber nur zur Erinnerung: Die offizielle Arbeitslosenquote in Leipzig liegt bei 7,8 Prozent.
Die SGB-II-Quote bei Kindern aber bei 23,1 Prozent.
Das passt hinten und vorne nicht zusammen und erzählt natürlich davon, dass Kinder in Leipzig (und ganz Deutschland) nach wie vor ein Armutsrisiko sind.
Das ist schizophren. Und hängt mit dem zusammen, was die deutschen Jobcenter seit 2005 veranstalten. Denn das, wofür sie ursprünglich mal gedacht waren, können sie alle nicht. Haben sie nicht gelernt. Sie verwalten nur. Von Integration und Türenöffnen in den sogenannten Ersten Arbeitsmarkt haben sie nicht viel Ahnung.
Ergebnis: Sie stopfen die Betroffenen in lauter sinnlose Beschäftigungsmaßnahmen. Und mehr ist es wirklich nicht. Das hat jetzt sogar die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat mitbekommen. Denn das, was sie jetzt als Antrag eingereicht hat, ist quasi zum ersten Mal eine kleine, freundliche Kritik an einem Amt, das nicht das leistet, was es immer behauptet zu tun: Es integriert nicht. Es jongliert nur mit Zahlen. Und es quält Menschen, die eh schon zu kämpfen haben, mit „Maßnahmen“, die es an Sinnlosigkeit mit Dantes Hölle aufnehmen können.
Das klingt im Begründungstext der SPD-Fraktion jetzt so: „Der Sektor der öffentlich geförderten Beschäftigung in Leipzig ist überschaubar. Dies hängt auch damit zusammen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in unserer Stadt in den vergangenen Jahren überaus positiv war und die Arbeitslosigkeitsquote nunmehr bei 7,8 % und somit auf einem langjährigen Tiefstand ist. Gleichzeitig gibt es noch immer mehrere tausend Langzeitarbeitslose, deren berufliche Wiedereingliederung erstrebenswert ist. Dazu können die Maßnahmen im Bereich der ögB ein wichtiger Baustein sein.“
Und dann werden die Genossen ein bisschen kritischer: „In vielen Jobcentern gibt es eine grundlegende Übereinkunft, welche Ziele mit der ögB erreicht werden sollen und welche Mittel sich dafür eignen. In den Unterlagen des Leipziger Jobcenters fehlt eine Grunddefinition allerdings völlig.“
Da wundert sich natürlich nicht nur die SPD-Fraktion nicht, dass diese „öffentlich“ beschäftigten Menschen im ersten Arbeitsmarkt nie ankommen. Ist ja nicht das Ziel.
Ist wirklich nicht das Ziel des Leipziger Jobcenters. Denn das denkt und handelt wie eine Behörde, die ihrem Auftraggeber aller halben Jahre Zahlen liefern soll. Schöne, positive Zahlen darüber, was man alles gemaßnahmt und abgerechnet hat. Der Wirtschaftsbürgermeister ist jedes Mal aus dem Häuschen vor Freude.
Dass die Leute trotzdem keine irgendwie menschenwürdige Arbeit bekommen, interessiert in diesem Schönheitstanz nicht die Bohne.
Im Gegenteil: Man hat ja vorgesorgt.
Oder im Text des SPD-Antrags: „Ungeachtet dessen gibt es einen umfangreichen Katalog an Einschränkungen und Vorgaben für die Träger der ögB-Maßnahmen, die eine Erwirtschaftung von Eigenanteilen zur Finanzierung der Maßnahmen erheblich erschweren und die Heranführung der Arbeitslosen an den ersten Arbeitsmarkt behindern, da sie oft nur realitätsfremde Tätigkeit in eingeschränktem Maß übernehmen dürfen.“
Schöner hat im Leipziger Stadtrat noch niemand erklärt, was mit „öffentlich geförderter Beschäftigung“ eigentlich gemeint ist: „realitätsfremde Tätigkeit in eingeschränktem Maß“.
Allein dafür muss man die Genossen lieben, die sichtlich so langsam die Nase voll haben von diesem sozialistischen Wettbewerb auf den Rücken von Menschen, die das Unglück haben, auf die Hilfe dieses Amtes angewiesen zu sein.
Das wird nämlich hier hörbar: „Mit diesen Vorgaben geht das Jobcenter weit über die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (Januar 2017) und vergleichbarer Jobcenter hinaus. Das Jobcenter Leipzig schränkt damit die geschäftlichen Aktivitäten der Träger deutlich und über das Maß des Nötigen zur Einhaltung der Wettbewerbsneutralität ein.“
Die Wettbewerbsneutralität haben früher mal die Wirtschaftskammern ins Gespräch gebracht. Das war noch zu Zeiten des Betriebs für Beschäftigungsförderung (bfb) seligen Angedenkens, der tatsächlich massiv auf Gebiete vorpreschte, die eigentlich vom hiesigen Handwerk und anderen Dienstleistern privatwirtschaftlich abgesichert werden können.
Aber statt überhaupt einmal zu klären, wo es Beschäftigung für Menschen mit „Vermittlungshemmnissen“ gibt und sie für diese Branchen tatsächlich fit zu machen, schottet man sie in Bastelrunden und immer neuen Belehrungskursen ab.
Den ersten Arbeitsmarkt – oder auch nur den zweiten – bekommen diese Menschen gar nicht zu sehen. Die SPD-Fraktion nimmt zumindest an, dass die Aufgabenträger diese Nähe zur Realität vielleicht herstellen könnten – wenn sie denn nicht ständig in der Zwickmühle steckten, dass sich die noch möglichen „Tätigkeiten“ überhaupt noch rechnen.
Denn eigentlich zahlen sie zu. Irgendwann ist der Markt für weihnachtliche Holzbasteleien einfach gedeckt.
„Zur Finanzierung der Maßnahmen tragen neben dem Jobcenter auch die Träger selbst bei, wozu es zwingend notwendig ist, dass Eigenmittel erwirtschaftet werden“, schreibt die SPD-Fraktion dazu. „Dies ist aber nicht möglich, wenn der Kundenkreis und die Preisgestaltungsmöglichkeiten weiterhin so eingeschränkt bleiben, wie bisher. Die Erwirtschaftung von Gewinnen ist auch gemeinnützigen Trägern erlaubt, sofern diese beim Träger für die satzungsgemäßen Zwecke verbleiben. Durch die Vorgaben zur Preisgestaltung wird die Möglichkeit der Gewinnerzielung allerdings erheblich gemindert, was zu Finanzierungslücken führen kann.“
Womit das ganze Dilemma eigentlich beschrieben ist.
Im Antrag wird dann aufgezählt, wo alles die Leipziger Menschenverwalter ihre bürokratische Kontrollpflicht überzogen haben. Das würde – wenn dieser Kontrollzwang zumindest abgeschafft würde – wenigstens den Maßnahmenträgern die Arbeit etwas erleichtern. Den „Beschäftigten“ noch nicht wirklich.
Aber man freut sich ja in Leipzig schon, wenn jemand den Mut findet, die Jobcenter-Politik als das zu bezeichnen, was sie ist: „realitätsfremd“ und „übermäßig bürokratisch“.
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