Dass Leipzigs Verkehrsdiskussion jetzt solche Wellen schlägt, hat auch mit dem verwirrenden Denken zu tun, das seit 2003 in Leipzigs Verwaltung eingezogen ist. Zur Erinnerung: Damals gab es in Sachsen eine Vollbremsung in der Finanzpolitik. Die Kommunen wurden dazu verdonnert, das Schuldenmachen zu beenden und ihre Schulden abzubauen. Seitdem hat Leipzig lauter Sparhaushalte. Und besonders gespart hat man beim Personal. Und in der Verkehrspolitik wird das spürbar, stellt Daniel von der Heide fest.
Denn wenn man auch noch die Planungsabteilungen im Rathaus ausdünnt und nur noch das Allernötigste planerisch umsetzt, dann geht zuallererst das verloren, was eine wachsende Stadt dringend braucht: strategische Planungen für den absehbaren Bedarf.
Und das ploppt bei einem Thema nach dem anderen hoch. Seit 2008 sorgt die viel zu spät gestartete Kita-Planung für Ärger, seit drei Jahren merken auch Eltern und Schüler, dass Leipzig beim Schulenbauen keinen Vorlauf hat. Keine Überraschung also, dass jetzt gerade die Berufstätigen im täglichen Gedrängel merken, dass auch die Verkehrsentwicklung in Leipzig auf dem Level von 2003 stagniert.
Nur zur Erinnerung: Selbst im Luftreinhalteplan 2009 stand als eine wichtige Lösung für das Luftschadstoffproblem in Leipzig ein „weiterer Ausbau des ÖPNV-Netzes“. Ausbau. Nicht nur Sanierung, Reparatur und neue Fahrzeuge. Neue, tragfähige Entlastungsstrecken für die Straßenbahnen müssten längst geplant, beschlossen und beantragt sein.
Und Grund dafür, dass der Planungsvorlauf fehlt, der seit diesem Jahr zu Recht auch die Wirtschaft besorgt macht, ist auch die Abschaffung der Abteilung „Strategische Planung“ im Verkehrs- und Tiefbauamt. In einem der vielen Konsolidierungshaushalte, die Leipzig seit 2003 der Landesdirektion vorlegen musste, müssen die Planstellen aus dieser Abteilung gestanden haben. Und kein Verantwortlicher hat protestiert, als sie mit einem Federstreich einfach verschwanden.
Doch: einige wirklich aufmerksame Stadträte haben es sich gemerkt. Dass Leipzig auch in einem großen Planungsdilemma steckt, war 2016 laut genug Thema. Eigentlich hätte OBM Burkhard Jung selbst handeln und die so sang- und klanglos aufgelöste Abteilung wieder in Gang bringen müssen. Er kennt doch die Wachstumszahlen der Stadt. Dass ihm erst die IHK vorrechnen muss, was das auch für den Berufs- und Wirtschaftsverkehr bedeutet, ist schon frappierend genug.
Und dass er jetzt gegenüber der LVZ von einer „Stabsstelle“ orakelt, die er einrichten will, findet Daniel von der Heide, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, nur noch obskur.
„Ich muss schon schmunzeln, wer diese Stellen jetzt alles gutheißt oder als eigenen Erfolg verkauft. Immerhin hatten die Fraktionen SPD, Linke und Bündnisgrüne im Haushalt zusätzliche Stellen fürs Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) beantragt, teilweise explizit mit dem Argument der Notwendigkeit strategischer Planung und waren teilweise auch erfolgreich damit. Vier zusätzliche Stellen konnten so im Vergleich zum Haushaltsplanentwurf der Verwaltung geschaffen werden, im Übrigen trotz durchweg negativer Verwaltungsstandpunkte“, sagt von der Heide.
Leipzigs Verwaltungsspitze steckt also immer noch im Denken des Jahres 2003 und versucht jedes Ärgernis mit der strengen Landesdirektion zu vermeiden, wo man natürlich erst recht die Austreritätsmaßstäbe von (Noch-)Finanzminister Georg Unland anlegt: Sachsens Kommunen sollen keine Verschwender sein.
Dass man freilich planen und investieren muss, wenn eine Stadt so rasant wächst, ist augenscheinlich nicht vermittelbar.
„Wenn OBM Jung nun vier zusätzliche Stellen schafft, ist dieser Sinneswandel definitiv zu begrüßen“, sagt von der Heide. „Zu bedauern ist, dass damit ein Jahr verloren wurde. Von den vier oben benannten Stellen ist bis heute gerade einmal eine besetzt, die anderen Besetzungsverfahren laufen aber immerhin. Bei den nun zusätzlichen Stellen wird ein Besetzungsverfahren vermutlich gerade erst vorbereitet. Von daher ist nicht davon auszugehen, dass die Stellen vor Mitte 2018 tatsächlich besetzt werden können.“
Aber dann wird es schon schwieriger. Denn das mit der „Stabsstelle“ ist nur Gemunkel. Es gibt noch keine klare Anweisung, die Abteilung für strategische Planung in irgendeiner Weise wieder einzurichten, unterzubringen und auszufinanzieren. Dabei ist Burkhard Jung so stolz darauf, dass Leipzig wächst. So etwas lenkt man nicht aus dem OBM-Büro. Dafür schafft man Strukturen, die genau dieses Wachstum auch mit Planungen untersetzen und auch öffentlich zeigen, wo es hingehen soll.
„Es gehört zum manchmal reichlich intransparenten Verwaltungshandeln von Herrn Jung, dass es bis heute keine offizielle Stellungnahme der Stadt gibt, wie diese Stellen im laufenden Haushaltsplan eigentlich geschaffen bzw. finanziert werden sollen, ob sie beim OBM oder im VTA angesiedelt werden und insbesondere, womit sie sich eigentlich beschäftigen sollen“, sagt Daniel von der Heide. „Der Neubau von Straßen und Brücken ist so eindeutig Aufgabe der Verkehrsplanung, wie die Aussage von OBM Jung uneindeutig und nichts aussagend ist. Wir als Grüne meinen, es ist keine Abkehr vom STEP Verkehr und öffentlicher Raum (STEP VöR) oder dem Radverkehrsentwicklungskonzept erforderlich. Und wir wundern uns darüber, was nun alles als Aufgaben für die neue Abteilung gefordert wird. Wir fordern Herrn Jung auf, Farbe zu bekennen: Die wachsende Stadt muss das höhere Verkehrsaufkommen auf die Verkehrsträger anders verteilen, als dies heute der Fall ist und dafür die Bedingungen schaffen. Hierfür braucht es mehr Stellen für Verkehrsplanung, aber nicht um den aussichtslosen Kampf zu kämpfen, die Verkehrsprobleme durch ein mehr an Straßen bewältigen zu wollen.“
Was alles auch nicht neu ist. Man kann immer wieder nur auf den Luftreinhalteplan von 2009 verweisen: Seit damals ist klar, dass Leipzig seinen ÖPNV deutlich ausbauen muss. Aber wenn man nach den strategischen Planungen dafür fragt, herrscht Schweigen im Wald. Acht Jahre mittlerweile ziemlich peinliches Schweigen.
Augenscheinlich ist man so emsig mit Sparen beschäftigt, dass man für Zukunftsstrategien keinen Nerv mehr hat.
„Es wäre hilfreich, wenn Herr Jung deutlich und konkret macht, welche Prioritäten er für die neue Abteilung definiert – handelt es sich dabei tatsächlich um die längst überfällige Neubildung der im Zuge der schrumpfenden Stadt vor Jahren aufgelösten Abteilung ‚Strategische Verkehrsplanung‘ oder doch nur um eine im Nirvana schwebende Stabsstelle?“, fragt Daniel von der Heide. „Viele Planungen und Baumaßnahmen, wie die Dieskaustraße oder der Bayrische Platz, werden Jahr für Jahr verschoben, insbesondere wegen fehlender Planungsgrundlagen. Was sind die Stellschrauben, an denen mit Hilfe dieser neuen Stellen gedreht werden soll? Bekennt sich der OBM zu den Zielen, die im STEP VöR definiert sind?“
Aber auch wegen fehlender Fördergelder wird Projekt um Projekt verschoben. Das kommt noch dazu. Denn für eine Stadt dieser Größe investiert Leipzig seit 15 Jahren zu wenig.
Was man auch in Dresden weiß. Vielleicht nicht gerade im Finanzministerium, aber im Haushaltsausschuss, wie Dirk Panter, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, berichtet.
„Geld ist genug da“, sagt er. „Aber wir im Finanzausschuss können nur Druck machen, wenn die Kommunen auch entsprechende Anträge stellen. Und für Anträge braucht man Planungen.“ Die Kommunen sollen ihre Planungen forcieren. Dann werde der Haushaltsausschuss des Landtags schon dafür sorgen, dass sie dafür benötigte Gelder bekommen.
Aber schafft es Leipzigs Verwaltung auch, aus dem seit 14 Jahren praktizierten Spar-Denken herauszukommen?
Daniel von der Heide: „Es steht jedenfalls zu hoffen, dass durch neue Stellen die verkehrspolitischen Maßnahmen schneller umgesetzt werden. Und das fertige Planungen der Kommune als gutes Argument gegenüber dem Freistaat verwendet werden, um auch eine entsprechende Förderung für die Baumaßnahmen zur Verfügung zu stellen.“
Ohne bessere Förderung vom Land bekommt Leipzig seine Verkehrspläne nicht an den Baustart
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