Als zum Jahresübergang 2015 zu 2016 erstmals ein allgemeines Versammlungsverbot für das Connewitzer Kreuz und die umliegenden Straßen erlassen wurde, gab es heftige Debatten darüber in der Stadtgesellschaft Leipzigs. Parteien versandten Pressemitteilungen, von einer Diskriminierung eines ganzen Stadtviertels war zu lesen, Skizzen mit den „Sonderzonen“ machten die Runde. "Gefahrenabwehr" riefen hingegen die, welche oft selbst gar nicht vor Ort lebten oder Connewitz schon politisch gesehen bis heute für die Ausgeburt des Bösen halten.
Die Begründungen für das Verbot, sich spontan am Kreuz zu versammeln, waren einst im Kern nicht etwa Vorfälle, die sich im Jahr oder im Jahr noch zuvor in der Silvesternacht am Kreuz ereignet hätten. Sondern eher allgemeine Verweise auf Straftaten, die an anderen Orten oder zu anderen Zeiten in Leipzig stattfanden. Überfälle auf Polizeistationen, sonstige Krawalle oder Demonstrationen im Leipziger Zentrum dienten als Grundlage für die Stigmatisierung eines Viertels mit knapp 30.000 Einwohnern. Heute weiß man, es hätten auch der Leipziger Osten oder Plagwitz sein können. Doch hier werden die Einsatzeinheiten fehlen.
Doch auch in diesem Jahr wird „das Kreuz“ per „Allgemeinverfügung“ in eine grundgesetzfreie Zone verwandelt. Und man hat sich bereits irgendwie daran gewöhnt.
So lautet auch für das diesjährige Silvester die Ankündigung des Leipziger Ordnungsamtes, die Gegend mit einem ganzen Strauß an Maßnahmen zu überziehen, welche für andere Orte und Viertel Leipzigs nicht gelten. Übrigens auch nicht für Städte wie Freital, Heidenau oder Dresden-Prohlis, obwohl da offenkundig jede Menge kriminelle Energie und “Knallwerkzeug” vorhanden ist.
Kein Alkoholausschank auf der Straße, gut. Man kann sicherlich wie an jedem anderen Ort Leipzigs erwarten, dass dies am Ende Wenige stören dürfte – der meiste Alkohol wird zur Jahreswende bei den meisten Menschen privat eingekauft, mitgebracht und konsumiert. Teils natürlich mit schlimmen Folgen für Trinkende und Betroffene des Suffs anderer. Auch wäre es vielleicht letztlich – wie in den Jahren vor dem Verbot – eine Randnotiz, wenn sich tatsächlich 200 bis 400 Menschen zu einer Spontandemonstration zusammenfänden und mal kurz böllernd und skandierend die Karli hinunterliefen. Ein Farbtupfer für Medienleute, nicht mehr.
Was schon vor dem Verbot eher weniger geschah, die Demonstrationsfreude zu Silvester war eher lahm. Die Lage hatte sich nach und nach entspannt, seit die Einsatzeinheiten der Polizei noch unter Polizeipräsident Horst Wawrzynski (bis 2012 im Amt) begonnen hatten, statt am Connewitzer Kreuz wie eine Armee aufzumarschieren, einfach weniger eskalativ in Seitenstraßen herumzustehen. Selbst so war das Connewitzer Kreuz wahrscheinlich die bestbewachteste Zone in ganz Deutschland – wenn man die Kölner Domplatte im vergangenen Jahr (aus gänzlich anderen Gründen quasi zur Stadionzone erklärt) nicht mitrechnet.
Ein Problem, welches wohl nie eins war, aber der Belzebub funktioniert
Zum Jahreswechsel galt es auch in den Jahren davor so oder so als eine eher randständige Betätigung politischer Art, eine Demonstration ausgerechnet zum Jahreswechsel und mit meist alkoholisierten Teilnehmern zu veranstalten. Meist war es eh ein Spiel gegen Polizeiwillkür genau zu Silvester zu demonstrieren – weil sie genau da auch stattfand. Gegenstand und Widerspruch auf einem Platz.
In der Spitze fanden sich maximal 500 Menschen, die sich im Pulk für eine gute Stunde einmal hin- und zurückbewegten. Selbst eine angezündete Mülltonne (natürlich von allen Seiten von wartenden Fotojournalisten groß abgelichtet) war am Ende nie ein Motiv, welches die Demokratie, den Rechtsstaat und auch das Vertrauen der Bürger in ihn zum Einsturz bringen konnte. Das waren ganz andere Dinge im Lauf der letzten Jahre – vielleicht auch das Fehlen der strammen Einsatzbeamten, wenn gerade nicht Silvester war?
Silvester selbst war letztlich am Kreuz meist friedlich. Es sei denn, man konnte so überhaupt nicht verstehen, dass es einen Menschen gibt, der sich mit einem gestohlenen Einkaufswagen über die Kreuzung schieben lässt. Oder man war Einsatzbeamter, der dann natürlich jeder Straftat (also hier ein gestohlener Einkaufswagen von REWE) nachgehen muss. Der normale Irrsinn einer Silvesternacht in einer Großstadt – behandelt wie ein Angriff auf den Rechtsstaat.
Die komplett Hackedichten fing die Polizei in diesen Nächten eh ein und transportierte sie ab, um sie am nächsten Morgen – aus der Schlafzelle kommend – verkatert einfach wieder zu entlassen. In jedem anderen Leipziger Viertel dürfte zu Silvester Ähnliches geschehen, wenn man die Gehwege mit Polizeibeamten zustellte. Wie man das dann bei den Menschen selbst in den anderen Vierteln Leipzigs aufnehmen würde, die entgegen des allgemeinen Trends überhaupt noch zum Ballern auf die Straße gehen, ist offen. Man stelle sich vor, dass jede betrunkene Albernheit zu Silvester in Haft endete.
Trotz alldem ist bei einigen Ordnungsfanatikern bis heute die Alarmglocke auf Dauerton, wenn sie nur das Wort „Connewitz“ zumal in Verbindung mit “Silvester” hören. Doch war es noch nie vernünftig, den Hysterikern zu folgen. Die Immobilienpreise im Leipziger Süden jedenfalls tun es nicht, die Feiernden im Werk 2 ebensowenig und die vielen friedlichen Silvesterbegehenden am Kreuz schon gar nicht.
Es sind längst die Bilder im Kopf, die die Realität verdrängt haben
Eine ressourcenbedingt kurze Schneeballschlacht am 10. Dezember 2017 ist denen, die diese inneren (Medien)Bilder nicht mehr loswerden, Grund genug, das Verbot eines grundgesetzlich verbrieften Versammlungsrechtes einfach hinzunehmen. Mehr noch – es ist kein Thema mehr. Vier angebrannte Mülltonnen und fliegende Flaschen auf Feuerwehrleute und Polizeibeamte müssen schon innerlich genügen, um ein Grundrecht außer Kraft zu setzen.
Nein – die fliegenden Flaschen und die dahinter wohnende Aggression sind nicht Ausdruck „linker Haltung“, sondern eher das Überreizen einer an sich witzigen anarchistisch, ja fast kindlichen Aktion namens „Schneeballschlacht am Kreuz“. Zu welcher ja auch immer – aufgrund der wegen fliegender Schneebälle über die Straße hinweg eintretenden „Verkehrsstörung“ – die Polizei und damit „der Feind“ kommt.
Räuber und Gendarm – ein Spiel, welches schon unter Kindern durchaus Gewalt auslösen kann, da Gruppendynamiken menschliche Grundeigenschaften prägen. 2017 verlief sich das Geschehen rascher und gewaltfreier als je zuvor, Festnahmen gab es keine und die genau vier brennenden Plastiktonnen gaben auch medial nicht mehr viel her.
Demonstrationen trotz Demonstrationsverbot
Auch 2017 zu 2018 wird es kleinere Demonstrationen geben, letztlich eher minder denn mehr politisch gemeint. Die eine von der Partei Die PARTEI angemeldete, wird erneut tatsächlich weltverbessernd „Bier statt Böller“ fordern. Im Aufruf heißt es: „Die PARTEI Leipzig lädt zur traditionellen Großkundgebung ans Connewitzer Kreuz! Ein letztes Mal in diesem Jahr politisch aktiv! Trinkt, was und wieviel ihr wollt! Das Original! Mehr Spaß, mehr Zaungäste, mehr Trittbrettfahrer!“. Traditionell ab 23 Uhr am Connewitzer Kreuz.
Die Initiative „Für das Politische“ ist da nach all den Jahren etwas forscher: „Silvester endlich ohne Polizei feiern!“ heißt es hier. Letztlich etwas, was man auch den Polizisten selbst wünschen könnte. Doch statt selbst entspannt feiern zu können, werden sie in den nächsten Einsatz geschickt – nicht nur am Kreuz.
Hier jedoch beschreibt die Initiative „Für das Politische“ eigene Erfahrungen so: „`Mit aller Härte` gegen `Chaoten vorgehen` und endlich mal aufräumen – das kündigt die Polizei jedes Jahr vor Silvester an. Das heißt dann meist, dass betrunkene Jugendliche und feiernde Anwohner*innen von knüppelnden Polizist*innen den Schlagstock zu spüren bekommen. Andere Menschen werden nebenbei auch schon mal von Polizist*innen rassistisch beschimpft und Umstehenden wird von vorbeigehenden Cops mal eben Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Die Situation zu Silvester am Kreuz in Connewitz findet sich so bundesweit in der Form fast nirgendwo und zeigt deutlich, wie der Staat mit einem alternativen Stadtteil verfährt.“
Ob es auch in diesem Jahr zu solchen Situationen kommen wird, schauen wir uns von der L-IZ.de mal genauer an. Natürlich nicht nur am Kreuz. Interessant wird es auch sein, sich mal vergleichsweise am Augustusplatz umzuschauen. Da, wo die „normalen Leipziger“ feiern und ein Feuerwerk der Stadt Leipzig veranstaltet wird. Also eine “Versammlung” stattfindet. Auch hier wurden nun bereits Betonsperren errichtet, um “Ausschreitungen zu verhindern”.
Mal sehen, wie “brav” diejenigen sind, die sich so gern von Fotos beeindrucken lassen und stets meinen, in Connewitz sei die Hölle aufgegangen.
Keine Kommentare bisher
Ich wünsch meinem allerliebsten Zeitungsteam ein fröhliches, glückliches, friedlich-verrücktes 2018. Fühlt euch mal alle gedrückt, ich freu mich schon auf 365 weitere Lesetage. Und danke für die letzten 365. (Und hier fehlt doch ein Herzchen-Smilie^^)