Wenn die Sachsen alle so standorttreu wären, wie sich das die regierende CDU immer wünscht, gäbe es natürlich kein Wohnungsproblem. Der Zuzug in die Großstädte wäre geringer. Preiswerter Wohnraum würde nicht zur Mangelware. Aber dann wäre Sachsen auch ein kleines Agrarland, das von irgendeiner Art Fortschritt nicht mal träumen könnte. Dass heute Sozialwohnungen in Leipzig und Dresden fehlen, ist eigentlich ein positives Zeichen. Das der zuständige Innenminister bis 2016 konsequent ignoriert hat.

Denn Wohnungsbauförderung gehört in Sachsen ins Ressort des Innenministers. Fördergeld vom Bund gab es jedes Jahr. Doch bis 2016 weigerte sich der Innenminister, den Bedarf in den wachsenden Großstädten überhaupt anzuerkennen. Was damit zu tun hat, dass Sachsens Regierung nicht einmal eine Vorstellung davon hat, welche Kraft die sächsischen Wanderungsprozesse eigentlich antreibt und warum sich das Wirtschaftswachstum genauso wie das Bevölkerungswachstum derart auf die Großstädte konzentriert.

In anderen Bundesländern laufen übrigens genau dieselben Prozesse ab. Mit dem Unterschied, dass die dortigen Landesregierungen das Geld für den sozialen Wohnungsbau auch tatsächlich an die bedürftigen Kommunen weiterreichen. Länder wie Bayern, Hessen oder NRW fördern jedes Jahr den Neubau von tausenden Sozialwohnungen – nicht genug, wie man immer wieder in der Presse lesen kann. Aber längst mit deutlichen Steigerungsraten, weil das Problem fehlenden Wohnraums mit Mietpreisbindung gerade in den Wachstumszentren akut ist.

In seinem Beitrag „Streitfall Sozialwohnungen“ im neuen Heft „Immobilien aktuell“ hat Christian Hunziker die Zahlen für 2015 und 2016 einmal aufbereitet. Auch wenn dann doch wieder die Immobilienbranche mit sich selbst diskutierte und das Ganze wieder in die branchenspezifische Aussage mündete: „Doch ob das reicht, um Investoren für Sozialwohnungen zu begeistern, ist bundesweit umstritten.“

Oh ja, wenn es ums Streiten geht, sind die Deutschen gut.

Aber diese immer wieder neue Diskussion der Marktteilnehmer verwischt das Problem. Denn natürlich kann man mit sozialem Wohnungsbau keine (großen) Renditen erwirtschaften. Dafür ist er ja nicht da. Er soll Wohnraum schaffen, den auch Geringverdiener sich leisten können und der nun einmal nicht noch ein kleines Extraverdienst obendrauf hat. Dafür ist der Staat nicht zuständig.

Wäre der freie Wohnungsmarkt in der Lage, ganz selbstverständlich Sozialwohnungen zu bauen, bräuchte es keine Förderung.

Die Diskussion ist also völlig schräg. Investoren, die eine Stadt als Gesamtheit denken, kommen trotzdem auf das Thema sozialer Wohnungsbau. Denn der Bedarf ist da. Und er wächst. Auch wenn die Bundesländer Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt 2016 alle damit auffielen, dass sie keine einzige Sozialwohnung förderten. Was bei Saarland und Sachsen-Anhalt noch verständlich ist: Sie haben (noch) nicht die Großstädte, in denen der Bedarf an preiswerten Wohnungen so deutlich gewachsen ist wie in Sachsen.

Sachsen hatte den Bedarf – und hat die Gelder bis 2016 trotzdem nicht bereitgestellt. Ab 2017 ist das anders. Aber die bereitgestellten Gelder sind trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein und dem Bedarf nicht angemessen. 1.200 bis 1.300 Wohnungen mit Mietpreisbindungen könnten von den bereitgestellten Geldern jährlich gefördert werden. Das ist aber der Bedarf, der allein in Leipzig gebaut werden müsste. OBM Burkhard Jung sprach sogar von 1.500 – also der Hälfte der insgesamt 3.000 neuen Wohnungen, die Leipzig beim derzeitigen Bevölkerungswachstum jährlich braucht.

Da ist die Frage: Hat die Staatsregierung davon überhaupt ein Bild? Liegen ihr die Bedarfsanmeldungen in dieser Größenordnung auf dem Tisch?

Wolfram Günther, Landtagsabgeordneter der Grünen, hat sich dafür einmal näher interessiert und die Staatsregierung angefragt. Mit zwei durchaus nachdenklich stimmenden Ergebnissen.

Die eine ist: Bis auf Dresden hat praktisch keine sächsische Kommune mehr einen nennenswerten Bestand an Wohnungen mit Mietpreisbindung. Von den 11.629 im Jahr 2016 noch gezählten Sozialwohnungen lagen allein 10.234 in Dresden. Leipzig hatte nur noch 330 solcher Wohnungen. Was nicht heißt, dass diese Wohnungen dann gleich teurer wurden. Meist bleiben sie auch nach Auslaufen der Mietpreisbindung im niedrigen Mietpreissegment, auch weil diese Wohnungen sich zumeist im Bestand der städtischen LWB oder diverser Genossenschaften befinden. Die kennen die Leistungskraft ihrer Mieter.

Aber darum geht es ja bei der Wohnraumförderung nicht. Da geht es um das Abdecken des neu entstehenden Bedarfs an preisgünstigem Wohnraum. Bei einem Bevölkerungswachstum um die 12.000 Einwohner pro Jahr braucht Leipzig rechnerisch 3.000 neue Wohnungen jährlich. Burkhard Jung geht davon aus, dass allein schon aufgrund der Einkommenssituation in Leipzig die Hälfte dieser Wohnungen im preisgestützten Segment liegen muss. Macht 1.500.

Und da wird der zweite Teil der Anfrage interessant: Was hat Leipzig eigentlich als Bedarf angemeldet? Und da stutzt man, denn da stehen nur 850 Wohnungen mit Mietpreisbindung. Eine Zahl, auf die man kommt, wenn man die 1.500 Wohnungen, die Burkhard Jung als Bedarf sieht, halbiert und davon ausgeht, dass der restliche Wohnungsmarkt gnädigerweise auch noch 850 preiswerte Wohnungen bereitstellt.

Dresden hat seine Zahlen nicht als Jahresscheibe benannt, sondern seinen Komplettbedarf gemeldet: 12.000 preisgestützte Wohnungen.

Das ist eine völlig andere Marke. Auf zehn Jahre gerechnet sind das 1.200 Wohnungen im Jahr. Was wohl eher der Realität entspricht als die 850 in Leipzig.

Es sieht eben doch so aus, als hätte Leipzig bei seiner Meldung ans Innenministerium unnötigerweise tiefgestapelt und damit wieder signalisiert, dass der Bedarf hier eben doch nicht so hoch ist. Und das bei einer Staatsregierung, die ihrerseits gern die Bedarfe kleiner rechnet als sie sind. Das könnte ziemlich schnell in eine Sackgasse führen, die vor allem die zu spüren bekommen, deren Einkommen nur für eine sehr preisgünstige Wohnung reicht.

Die Anfrage von Wolfram Günther zu Wohnungen mit Mietpreisbindung. Drs. 10624

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