Dass eine Leipziger Stadtratsfraktion gegen den Oberbürgermeister klagt, ist zumindest ungewöhnlich. Dass es mit dem vom OBM aus dem Verfahren gekegelten Antrag der Grünen „Transparentes Verwaltungshandeln“ zu tun hat, darüber haben wir geschrieben. Aber auch der Antrag war schon ungewöhnlich. Denn er mahnt etwas an, was in Leipzig über Jahre eigentlich (fast) selbstverständlich war.

Nach der Sächsischen Gemeindeordnung sind die Rollen von (Ober-)Bürgermeister und Gemeinderat (Ratsversammlung) sauber austariert. Der eine kann nicht regieren, wenn der andere seinen Vorlagen nicht zustimmt. Und der Gemeinderat ist dringend darauf angewiesen, dass er mit der Entscheidungsvorlage auch alle relevanten Unterlagen bekommt, die ihn dazu befähigen, eine vernünftige und sachgerechte Entscheidung zu fällen.

Das war Leipzigs erstem Nach“wende“-OBM Hinrich Lehmann-Grube so sonnenklar, dass er diese Interpretation der Gemeindeordnung in Leipzig einführte. Er nahm das, was die Leipziger in der Friedlichen Revolution und an den Runden Tischen getan hatten, ernst: Er traute auch den gewählten Stadträten zu, dass sie mit den umfassenden Informationen zu jeder Entscheidung klug umgehen und ausgewogen entscheiden würden. Und wenn es doch einmal Dissonanzen gab, dann war der Ältestenrat das Gremium, in dem das ausgehandelt wurde.

Der Ältestenrat ist die Gruppe der Vorsitzenden der Fraktionen. Da ist der Kreis kleiner und man kommt schneller zu einer einvernehmlichen Lösung. Lehmann-Grube hat das Gremium oft und gern genutzt, denn wenn sich die Fraktionen mit ihren unterschiedlichen Positionen dort schon einmal zusammenrauften, gingen die Entscheidungen im Stadtrat schneller und einvernehmlicher.

Die Nachfolger von Lehmann-Grube nutzten das Gremium dann nicht mehr so oft.

Das liegt nicht nur am unterschiedlichen Führungsstil. Es liegt auch an der unterschiedlichen Einstellung zur Macht. Denn wenn der jeweilige Oberbürgermeister seine Rolle als stärker und wichtiger ansieht als die der Ratsversammlung, dann neigt er dazu, auch Entscheidungen gegen die Ratsfraktionen durchdrücken zu wollen, Politik quasi auf der Königsebene zu machen.

Dazu hat es in der Regierungszeit von Burkhard Jung schon mehrfach gerasselt. Aber so richtig zum Ärgernis wurde es 2016, als Burkhard Jung den Entwurf zum neuen Doppelhaushalt 2017/2018 vorlegte. Der war zuvor in allen Fraktionen emsig diskutiert worden, vor allem auch, weil alle wussten, dass es jetzt um wichtige Entscheidungen für eine Stadt ging, die bis 2030 auf über 700.000 Einwohner wachsen soll. Das muss man gestalten. So etwas muss sich auch im Haushalt abbilden. Deswegen schrieben die meisten Fraktionen eine Menge Änderungsanträge. Und zwar – gerade von Linken und Grünen betont – weil sie sich auch das Gestaltungsrecht über den Leipziger Haushalt zurückholen wollten.

Denn nach zehn Jahren, in denen immer wieder die finanziellen Probleme der Stadt als Begründung dafür herhalten mussten, dass der Stadtrat keine finanziellen „Wünsche“ anmelden durfte, war nach den Jahresabschlüssen 2014 und 2015 klar, dass Leipzig eigentlich wieder finanzielle Gestaltungsspielräume hat. Nicht viel, aber genug, um auch wieder wichtige Themen wie Kinder, Jugend, LVB oder Radwege zu bedenken. Alles ordentlich begründet und eingereicht.

Und dann kam es im Dezember 2016 zum Eklat, als der Oberbürgermeister sämtliche Anträge einfach vom Tisch wischte und der Finanzbürgermeister in der Stellungnahme der Verwaltung lakonisch erklärte, dass es für Anträge aus dem Stadtrat keine Spielräume gäbe. Das empfanden nicht nur die Grünen als Aushebelung des Haushaltsrechts, das eindeutig dem Stadtrat zusteht. Wenn der OBM seinen Haushalt bestätigt haben will, braucht er das Okay des Stadtrates.

Oberbürgermeister Burkhard Jung. Foto: L-IZ.de
Oberbürgermeister Burkhard Jung. Foto: L-IZ.de

Was ihm dann die Stadträte auch entsprechend deutlich machten. Am Ende fanden sich sogar die nötigen finanziellen Spielräume und ein Großteil der Änderungsanträge wurde problemlos mit eingearbeitet in den Doppelhaushalt 2017/2018 und dann auch so beschlossen.

Aber die Grünen ärgerten sich nicht nur über die Unverfrorenheit der ersten Ablehnung, sie ärgerten sich auch über die Erläuterungen zur Ablehnung – die nichts erläuterten. Summarisch waren alle Änderungsanträge abgelehnt worden. Wieso und warum genau, das erfuhren die Stadträte nicht.

Und seither, so bilanzieren die Grünen, landen immer mehr Vorlagen des Oberbürgermeisters zur Entscheidung in den Fraktionen, denen wichtige Unterlagen und Erläuterungen fehlen. Deswegen sprechen sie in ihrem Antrag explizit die Dienstberatung an, in der OBM Burkhard Jung mit den Bürgermeistern zusammensitzt und zu jeder Vorlage und jedem Antrag eine Position sucht.

In vorigen Jahren war es üblich, dass wichtige Bedenken einzelner Dezernate, die in der Dienstberatung geäußert wurden, sich dann auch in der Vorlage für die Ratsversammlung wiederfanden. Wenn der Finanzbürgermeister finanzielle Bedenken hatte, stand das genauso drin wie die Bedenken des Wirtschaftsbürgermeisters, wenn es um Unternehmen und Arbeitsplätze ging. Die Stadträte konnten einschätzen, welche Folgen ihre Zustimmung oder Ablehnung haben würde.

Aber das hat sich geändert. Die meisten Vorlagen des OBM beinhalten nur noch einen Standpunkt – in der Regel den des OBM. Alles andere ist aus den Vorlagen verschwunden. Auch wichtige Verwaltungsvorlagen, die die Aufträge des Stadtrates widerspiegeln, wurden schon kassiert und nach Einspruch des OBM umgeschrieben.

Und zu wichtigen Entscheidungen wurden notwendige Dokumente der Stadt nicht mitgeliefert, waren nicht im Ratsinformationssystem zu finden oder wurden dort erst so spät veröffentlicht, dass sich niemand mehr vor der Ratsversammlung ein fundiertes Urteil bilden konnte.

Freilich war der Vorgang um den Doppelhaushalt nur der Kulminationspunkt. Schon 2014 hatte der Stadtrat einen Antrag „Transparenz in Verwaltungsentscheidungen“ beschlossen. Als Aufforderung an den OBM, also als Appell. Und den hatte Burkhard Jung damals durchaus ernst genommen und dem Stadtrat auch versprochen, entsprechende Modalitäten zu entwickeln, die den Wunsch des Stadtrats mit Leben erfüllten.

Aber umgesetzt sei das bis heute nicht, kritisiert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft.

Augenscheinlich tut sich Burkhard Jung eben doch schwer damit, den Leipziger Stadtrat als ebenbürtiges Gegenüber zu akzeptieren und seine Entscheidungsfindungen für die Stadträte (und die Bürger) möglichst transparent zu machen.

Also möglichst alle Dokumente zugänglich zu machen, die für eine gute Sachentscheidung notwendig sind.

Wir hatten schon darüber geschrieben, dass es bei Transparenz eben nicht nur um Sichtbarmachung von politischen Entscheidungswegen geht. Es geht auch um das, was vielen Bürgern immer mehr fehlt in der heutigen Politik: Vertrauen.

Denn wer die Gründe für politische Entscheidungen vor Abgeordneten und Bürgern versteckt (und so erscheinen diese Vorgänge nun einmal), der signalisiert selbst Misstrauen. Der traut weder den Stadträten über den Weg noch dem Bürger zu, dass er Entscheidungsgründe versteht, wenn man sie ihm sichtbar macht.

Das Wort, das dafür klassischerweise gilt, lautet: Geheimpolitik.

Dumm nur, dass sie die Grundlage für Gemunkel und Gerüchte abgibt. Denn wenn sich politische Entscheider nicht mehr in die Karten gucken lassen wollen, wächst logischerweise auch beim Bürger das Misstrauen, entsteht das Gefühl, dass „die da oben sowieso machen was sie wollen“.

Oder mal so formuliert: Transparenz ist das Lebenselixier der Demokratie. Nur wenn Politik so transparent wie möglich ist und mit offenen Karten spielt, behält sie das Vertrauen der Wahlbürger.

Und da war man im Leipziger Stadtrat eindeutig schon mal weiter.

Schon dass die Grünen überhaupt einen zweiten (und nunmehr dritten) Antrag zum Thema Transparenz stellen mussten, erzählt von recht beachtlichen Unwuchten zwischen OBM und Ratsversammlung. Man kann nur spekulieren darüber, warum Burkhard Jung lieber hinter verschlossenen Türen regiert und die Ratsversammlung bei wichtigen Fragen lieber außen vor lassen will.

Ansonsten seien doch Beschlussvorlagen „ohnehin schon im Ratsinformationssystem veröffentlicht“, schrieb er den Grünen im April.

Aber halt nicht alle, die gebraucht werden. Und viele Vorlagen und Anträge tauchen dort gar nicht auf. Auch aus anderen Fraktionen nicht, deren Anträge dann einfach im Nirwana verschwinden. Was dann auch der CDU, der Linken und den Freibeutern schon passiert ist.

So gesehen ist das, was auf Antrag der Grünen jetzt das Verwaltungsgericht entscheiden soll, auch eine Grundsatzentscheidung: Darf ein Gemeinderat an den eigenen OBM appellieren, mehr Transparenz in seiner Arbeit herzustellen? Oder ist so ein moralischer Appell nicht gestattet, weil er in die Kompetenz des gewählten Bürgermeisters eingreift, also quasi den allein souveränen ersten Bürger der Stadt in seiner Dienstauffassung irgendwie beschneidet?

Eine gute Frage.

Die man am besten transparent beantwortet. Dann wissen auch die Bürger, woran sie sind.

Der Grünen-Antrag „Transparentes Verwaltungshandeln“.

Auf L-IZ.de: Die Freibeuter stellen sich hinter die Klage und rufen den ganzen Stadtrat dazu auf

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Mit “Geheimpolitik” gießt man hektoliterweise Wasser auf die Mühlen der Antidemokraten, auf die Mühlen derer, die sich unverstanden, abgehängt, alleingelassen fühlen. Man treibt diese Menschen förmlich in die Arme von “Alternativen” für die Demokratie. Sollte er eigentlich wissen. Lange genug ist er in der (Lokal)Politik. Und wenn er es weiß, warum tut er es dann? Fragen über Fragen. Auf die wir wohl nie Antworten bekommen werden, transparente schon mal gar nicht. Vermutlich.

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