Was war da los in der Leipziger Verwaltungsspitze, dass sich Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning am 10. Juli genötigt sah, eine Art Verhaltenskodex zu veröffentlichen: „Neutralitätspflicht in Wahlkampfzeiten für das Wahljahr 2017“? Ein Papier, das es so in der Leipziger Geschichte seit 1990 noch nicht gab. Selbst in den Fraktionen fiel man aus allen Wolken, denn auch ihnen wurde nun auf einmal Zurückhaltung im Wahlkampf gepredigt.

Dabei berief sich Hörning vor allem auf die Neutralitätspflicht, die für sächsische Gemeindemitarbeiter gilt. „Diese Neutralitätsverpflichtung gilt insbesondere auch für die Teilnahme von städtischen Mitarbeitern an Veranstaltungen (z. B. Wahlveranstaltungen u. ä., Einladungen von Parteien etc.). In Zweifelsfällen ist die Entscheidung durch den Vorgesetzten (gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem Rechtsamt) zu treffen“, heißt es in der Vorlage.

Augenscheinlich ging im Rathaus die Furcht um, einige Rathausmitarbeiter würden sich im Bundeswahlkampf exponieren und ihre Prominenz als städtischer Mitarbeiter auch dazu nutzen, für eine Partei Wahlkampf zu machen.

Das ginge gar nicht. Gerade in der heißen Wahlkampfphase sechs Wochen vor dem Wahltermin nicht.

So weit, so verständlich. Aber für Verblüffung sorgte, dass auch den Stadtratsfraktionen auf einmal ein Maulkorb verpasst werden sollte, obwohl die ja nun von Natur aus parteiisch sind und gerade die örtlichen Kreisverbände einige ihrer prominentesten Leute in den Fraktionen sitzen haben.

Erstaunlich also, dass der Verwaltungsbürgermeister erst einen ganzen Passus zu den Fraktionen schreiben ließ, der dann in Leipziger Zeitungen auch als Maulkorb verstanden wurde. Man nahm es dort als gegeben, dass sich Fraktionen nach sächsischer Rechtslage sechs Wochen vor der Wahl mit Veröffentlichungen nicht politisch positionieren dürfen.

Der Passus in der Vorlage lautete: „Entsprechend § 35 a Abs. 2 SächsGemO dürfen die Fraktionen ihre Auffassungen öffentlich darstellen. Auch bisher gilt, dass die Außendarstellung aber immer im Zusammenhang mit der Fraktionstätigkeit stehen muss und sich nicht auf allgemeine parteipolitische Arbeit erstreckt werden darf.“

Aber dann kam der entscheidende Passus: „Das Gebot der äußersten Zurückhaltung erfordert auch von den Fraktionen in der ‚heißen Wahlkampfphase‘ – sechs Wochen vor dem Wahltag – ein Verzicht auf jegliche Öffentlichkeit in der Form sog. Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichte. Darüber hinaus sind die Fraktionen auch in der Vorwahlzeit – sechs Monate vor dem Wahltag – daran gebunden, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit sich im Rahmen des Aufgaben und Zuständigkeitsbereiches der Gemeinde bewegt und sich jeder offenen oder versteckten Werbung für die eine oder andere Seite der miteinander konkurrierenden politische Kräfte enthalten muss.“

Ein seltsamer Passus, vor allem, weil er auch noch falsch begründet wurde: Mit einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes Kassel aus dem Jahr 1992: „… Aus der Verpflichtung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folge das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebenen Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten. Denn in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ gewönnen solche Veröffentlichungen in aller Regel den Charakter parteiischer Werbemittel in der Wahlauseinandersetzung, in die einzugreifen der Regierung verfassungskräftig versagt sei.“

Aber das Urteil bezog sich eindeutig auf eine Regierungsveröffentlichung, also eindeutig auf Regierungshandeln. Grundtenor: Regierungsbehörden haben sich in Wahlkampfzeiten mit Veröffentlichungen, die ihre Arbeit als besonders erfolgreich herausstellen, zurückzuhalten.

Auch das zweite Urteil, das der gebürtige Hesse Hörning erwähnt, stammt vom Verwaltungsgerichtshof Kassel, diesmal aus dem Jahr 1991 – und auch das beschäftigt sich mit einer Verlautbarung einer Behörde, diesmal eines Magistrats. Aus dem Urteil zitiert Hörning: „1. Es ist den Amtsträgern einer Gemeinde verwehrt, in ihrer amtlichen Eigenschaft während der ‚heißen Phase‘ des Kommunalwahlkampfes Erfolgsberichte an wahlberechtigte Bürger zu versenden (im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02.März 1977- 2 BvE 1/76-BverfGE 44,125,138 ff). 2. Kann sich diese verbotene amtliche Wahlwerbung auf die Sitzverteilung in der Gemeindevertretung ausgewirkt haben, so muss die Wahl zur Gemeindevertretung wiederholt werden‘.“

Es geht also um den (möglichen) Missbrauch eines Amtes, um eine Wahl im Sinne des Amtsinhabers zu beeinflussen.

So hat es dann auch die Sächsische Regierung 2014 sinngemäß in ihre Verwaltungsvorschrift zur Öffentlichkeitsarbeit übernommen. Auch dort findet sich kein Passus, der Fraktionen untersagt, sich in der Wahlkampfzeit mit jeglicher Veröffentlichung zurückzuhalten. Das macht auch keinen Sinn, denn wie sollen sie sonst für ihre Arbeit Öffentlichkeit herstellen, wenn sie das nicht darstellen dürfen? Erst recht, wenn es nicht mal eine Kommunalwahl ist, sondern eine Bundestagswahl. Aber in Leipzig geht auch das politische Leben weiter, die nächste Stadtratssitzung kommt.

Und zumindest in Teilen haben die Fraktionen ihre Schreckstarre nach Hörnings Vorlage verloren und wieder einzelne Pressemiteilungen herausgegeben.

Der Hebel, mit dem der Verwaltungsbürgermeister die Faktionen zur Neutralität bringen wollte, ist natürlich die Tatsache, dass die Fraktionsarbeit aus öffentlichen Geldern finanziert wird. Aber weder Landesvorschrift noch Gerichtsbeschlüsse haben auch nur einen Vorstoß gewagt, die ehrenamtlich tätigen Abgeordneten derart zur Neutralität zu verdonnern.

Was bleibt?

Eine weitere ironische Anfrage aus der Freibeuter-Fraktion, wo man über diverse verwaltungsängstliche Vorlagen mittlerweile nur noch den Kopf schüttelt.

Zur Ratsversammlung am 23. August möchte die jüngste Leipziger Ratsfraktion deswegen gern folgende Frage beantwortet bekommen: „Wie stellt der Oberbürgermeister während der sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2017 sicher, dass es keine Kritikpunkte gibt, die aufgrund einer möglichen öffentlichen Diskussion Einfluss auf das Wahlverhalten der Bürger haben können?“

Die Verwaltungsvorlage.

Die Sächsische Verwaltungsvorschrift zur Öffentlichkeitsarbeit.

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In Sachsen sind die Bürgermeister gleichzeitig Chef des Stadt- oder Gemeinderates. Da kann man schon mal auf verquere Ideen kommen. (Anerkannt ist, daß sich Bürgermeister bei Wahlen zu diesem Amt der Hilfe der Verwaltung, Amtsblatt und Ähnlichem zu enthalten haben/nicht nutzen dürfen.)

Angebrachter wäre, die Bürgermeister zur Einhaltung der Gesetze zu “bewegen” – wenn man denn beispielsweise an die Gewässernutzung denkt.

Ansonsten kann man jedoch auch hier wieder feststellen: Zustände, wie in der DäDäDärä.
Und man kann auch an diesem Beispiel feststellen: Menschen sind alle gleich. Gib ihnen nur ein Zipfelchen “Macht” in die Hand. Hörning kennt DäDäRä ja wohl nur vom Hörensagen.

Falls die Fraktionen tatsächlich erst mal inne gehalten haben, wäre das nicht nur peinlich.

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