Am 14. Juli hat Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal den neuesten Bereicht zur Umsetzung der Projekte „Europäische Energie und Klimaschutzkommune“ vorgestellt. Eigentlich ist es der Bericht eines Scheiterns. Was sich schon 2015 abgezeichnet hat, als Leipzig seine Träume vom „European Energy Award“ in Gold begraben hat. Und wirklich ambitioniert ist auch das Klimaschutzprogramm nicht.

Was Gründe hat. Da helfen alle Anstrengungen nichts. Auch wenn Heiko Rosenthal versucht, die Bemühungen schön zu reden: „Der Bericht zeigt, dass die Stadt Leipzig große Anstrengungen im Klimaschutz unternimmt, um klimabewusst zu handeln“, sagte er. Punkt.

Anstrengungen.

Und dann kam er lieber auf viele kleine Vorzeigeprojekte zu sprechen, die es ja tatsächlich gibt in Leipzig. Von der ersten Passivhausschule (ein Projekt, von dem man aus Kostengründen bei anderen Schulbauten wieder abgerückt ist) über die Mobilitätsstationen der LVB und die Kooperationsverträge mit IHK und Handwerkskammer bis hin zu den vier Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen, „die im Jahr 2012 allein 18 GWh Strom produzierten. Insgesamt wurden für die Stromproduktion von Photovoltaik-Anlagen über 9 Millionen Euro an Einspeisevergütung (EEG) ausgezahlt, die auch der lokalen Wertschöpfung zugute kommen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Schlüsselstein, um das selbst verpflichtende Ziel, die Senkung der Treibhausgasemissionen auf 2,5 Tonnen pro Einwohner und Jahr bis 2050, zu erreichen. Ein leichter Rückgang der einwohnerbezogenen CO2-Emissionen in den letzten beiden Bilanzjahren wird im Umsetzungsbericht bereits erkennbar.“

2015 hing das ganze Projekt noch daran, dass noch immer kein Klimaschutzmanager eingestellt worden war, der die 105 von der Stadt aufgelisteten Maßnahmen irgendwie steuert und voranbringt. Die Stelle wurde erst Anfang 2016 besetzt. Heiko Rosenthal: „Für eine weitere zielgerichtete Umsetzung des Energie- und Klimaschutzprogramms wurde zu Beginn des Jahres die Klimaschutzleitstelle eingerichtet, die von nun an den Klimaschutzprozess koordiniert. Sie ist Ansprechpartner für Bürger, Bauherren und Unternehmen und forciert unter anderem die Vernetzung aller Akteure im Klimaschutz.“

Wie sehr die Stadt mit dem Programm hinterherhinkt, zeigt die Jahreszahl auf dem jetzt vorgelegten Bericht: Er beschreibt das Jahr 2014.

Wer dann die Umsetzungsliste für die 105 städtischen Maßnahmen liest, sieht, dass viele bis heute nicht angepackt und umgesetzt sind. Und da dürften Stadträte in fast allen Fraktionen mit den Ohren schlackern.

Ein „Fußwegeverkehrsentwicklungskonzept“? Nicht mal am Horizont zu sehen, obwohl es bis 2016 umgesetzt sein sollte. Einrichtung der Stelle eines Mobilitätsmanagers bis 2014? Der Mann ist wahrscheinlich noch nicht mal geboren. „Verbesserung der Radwegesituation im Winter“? Zum Glück gab’s ja seitdem keinen Winter mehr. „Solaroptimierung von kommunalen Gebäuden“? Bis 2014 sollte das eigentlich passiert sein. Und es passiert nicht. Stellen werden nicht besetzt, Gelder stehen nicht zur Verfügung. Die Programme bleiben im Verwaltungsgeschehen hängen.

Aber das ist eigentlich nicht das Wesentliche. Denn auch wenn 105 Maßnahmen richtig eindrucksvoll klingen, haben sie nur sehr geringen Einfluss auf die Klimabilanz der Stadt. Nicht mal die „Überarbeitung des Stadtentwicklungsplanes Verkehr und öffentlicher Raum“, der  2015 tatsächlich zum Abschluss kam und eine deutliche Steigerung des Umweltverbundes (Radverkehr, ÖPNV, Fußwege) vorsieht, ändert etwas.

Man kann auch beschließen, dass der Himmel bei Regen blau bleibt. Es ändert sich nichts, wenn man nicht den Mut hat, die Weichen wirklich herumzulegen. Denn alle 105 Maßnahmen betreffen entweder nur die Verwaltung, die Beratung von Eigentümern oder sie setzen auf den Appell an die Einwohner. Was aber nichts bringt, wenn die Bürger gar nicht wählen können. Zum Beispiel zwischen Autowohnen und „Autoarmes Wohnen“. Der Punkt wurde nicht mal angedacht, weil die gesamte Verwaltung schon bei der Erwähnung des Verzichts auf Autostrukturen in einem neuen Wohnquartier in Schockstarre verfällt. Nur ja nicht dran rühren.
Man kann eigentlich heute schon sagen, was der dann amtierende Umweltbürgermeister 2020 (oder wahrscheinlich erst 2024) sagen wird: Leipzig hat seine Klimaschutzziele für das Jahr 2020 meilenweit verfehlt.

Das Jahr 2024 deshalb, weil es immer wieder satte vier Jahre dauert, bis die neuen Emissionszahlen für CO2 endlich berechnet sind.

Anteil der Verkehrsarten am CO2-Ausstoß in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Umsetzungsbericht
Anteil der Verkehrsarten am CO2-Ausstoß in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Umsetzungsbericht

Grundlage sind die konkreten Energieverbräuche in der Stadt. Und da man zu jedem Energieträger den CO2-Ausstoß kennt, kann man aufs Gramm genau berechnen, wie stark die Leipziger das Klima mit CO2 belasten. Und weil die meisten Energieverbräuche in Leipzig auf fossilen Energieträgern beruhen, ist die Klimabilanz der Leipziger entsprechend schlecht.

Auch Leipzigs Stadtspitze verweist gern (genauso, wie es die Landes- und die Bundesregierung gern tun) auf die enorme Senkung des CO2-Austoßes seit 1990. Aber dahinter steckte ja niemals ein Klimaschutzprogramm im engeren Sinn, sondern die Ablösung der völlig ineffizienten Kohleverbrennung in den Haushalten genauso wie in der Industrie, gekoppelt mit der Deindustrialisierung des Landes. Darauf kann sich eigentlich kein Politiker berufen, wenn er heute Klimaschutzbemühungen begründen will. Was zählt, sind bestenfalls die Zahlen der vergangenen 15 Jahre. Aber selbst im Klimaschutzbericht wird angedeutet, dass man eigentlich feststeckt und nicht mal davon träumen kann, im Jahr 2020 die angepeilte Menge von 4,47 Tonnen je Einwohner an CO2 zu erreichen. 2011 waren es 6,81 Tonnen, ein Jahr später dann 6,77.

„Ein vorsichtiger Trend lässt sich erst wieder ab dem Bilanzjahr 2011 ablesen. So ist ein leichter Rückgang der einwohnerbezogenen Energieverbräuche (2011: 21,47 MWh, 2012: 21,37 MWh) und CO₂-Emissionen zu verzeichnen“, heißt es im Bericht. „Im Bereich Verkehr sind die Emissionen fast identisch geblieben, bei den Haushalten gab es einen leichten Rückgang, im Bereich Wirtschaft dagegen einen leichten Anstieg der Emissionen.“

Es sind also nur die Leipziger selbst, die ernsthafte Sparanstrengungen im Haushalt schaffen – möglicherweise auch bedingt durch neue, energiesparende Generationen von Haushaltsgeräten.

Sonst ist – nichts passiert.

Dass die Wirtschaft mehr verbraucht, war zu erwarten. Vor allem braucht sie mehr Strom, der in Leipzig nach wie vor vor allem aus Kohlekraftwerken kommt. So wirklich üppig ist der Ausbau der Solarenergiegewinnung in Leipzig nicht vorangekommen. Auch wenn Rosenthal sich optimistisch gibt: Als erster Erfolg zeige sich, dass die Erzeugung von erneuerbarem Strom auch in Leipzig ab dem Jahr 2012 dynamisch zunahm. Bereits jetzt hätte man das Ziel für 2020 mit einer Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien von 97 GWh/a in Leipzig erreicht. Das reiche für 38.000 Haushalte.

Dieses Ziel war sichtlich zu niedrig angesetzt in einer Stadt, die problemlos Solarstrom für 300.000 Haushalte produzieren könnte. Aber sowohl das „Modellvorhaben klimagerechte Sanierung von Stadtquartieren“ steckt fest wie auch die „Solaroptimierung von kommunalen Gebäuden“. Da zeigt der Pfeil sogar nach unten.

Das Ziel wurde also völlig ohne städtischen Beitrag erreicht.

Und bei einem anderen Thema wird erst recht gemauert: beim Verkehr. Es wurde sich im Stadtrat zwar heftig gestritten darüber, welche Anteile die Verkehrsarten im neuen STEP Verkehr und öffentlicher Raum bekommen sollen. Die CDU war geradezu entsetzt davon, dass der Autoverkehr von 38 auf 25 Prozent sinken sollte. Am Ende wurden 30 Prozent draus. Und auch das wird so, wie Leipzigs Verkehrspolitik derzeit gestrickt ist, nie und nimmer erreicht.

Denn nicht nur Fußgänger und Radfahrer sind die Stiefkinder dieser Politik, die ÖPNV-Nutzer haben ja mittlerweile auch sehr deutlich gezeigt bekommen, dass sie ebenfalls zur Schmuddelgruppe gehören.

Obwohl die simple Statistik zeigt, dass die Leipziger ÖPNV-Ziele ohne eine deutliche Erhöhung des ÖPNV-Anteils nicht zu schaffen sind.

56 Prozent der Emissionen im Verkehr, der zu einem Drittel zum Gesamt-CO2-Ausstoß der Leipziger beiträgt, stammen von privaten Pkw und Motorrädern. Dabei werden mit diesen Spritschluckern nur 38 Prozent aller Wege zurückgelegt.

Da gehört der Leipziger Liefer- und Wirtschaftsverkehr noch gar nicht dazu. Der wird immer extra berechnet und steckt größtenteils mit in den 24 Prozent aus dem Güterverkehr. Die Überraschung gab es ja 2011, als die Stadt zum ersten Mal den Flugverkehr in die städtische Bilanz aufnahm: Mit seiner Kerosinverbrennung trägt er zu 15 Prozent zu den Verkehrsemissionen bei. Egal, ob die Flugzeugnutzer sich da durch irgendeine Klimaabgabe freizukaufen versuchen: Es bleibt die wohl umweltschädlichste Verkehrsart, die es derzeit im Leipziger Raum gibt.

Und gerade die Verkehrsart, die zu einer deutlichen Reduzierung der klimaschädlichen Abgase beitragen könnte, wird auf allen Ebenen kurz gehalten: der ÖPNV. Er trägt nur zu 4 Prozent zur Verkehrsemission bei. Der Schienenpersonennahverkehr bringt noch einmal 1 Prozent. Das war’s dann. Aber sie schaffen 17 Prozent der täglichen Transportwünsche der Leipziger.

Was natürlich heißt: Wenn Leipzig die Emissionen im Verkehr deutlich senken will, muss der ÖPNV zwingend deutlich ausgebaut werden. Aber wer die politischen Diskussionen verfolgt, sieht, dass man auch bei diesem Thema über das Zaudern und Zagen nicht hinauskommt, ganz zu schweigen von mutigen Ideen, wirklich mal eine gut durch ÖPNV erschlossene Stadt zu entwickeln. Nicht immer nur Flicken und Ausbessern. Und dieses vorsichtige Betteln um mehr Geld von den Bürgern. Wofür eigentlich, wenn es nicht mal eine Vision für ein besseres und leistungsfähigeres ÖPNV-System gibt?

Anders wird das selbsterklärte Ziel, den CO2-Austoß im Verkehr von 2,48 Tonnen je Einwohner im Jahr 2012 auf 0,95 Tonnen zu senken, nicht erreicht.

Die Bilanz für das, was Heiko Rosenthal da am 14. Juli vorgestellt hat: Leipzig steckt gerade in einer Sackgasse und der Versuch der Verwaltung, die Sache mit dem Klimaschutz mit einem 105-Punkte-Programm zu lösen, das niemanden wirklich zum Umdenken zwingt, ist eigentlich gescheitert. Man kann zwar – jetzt mit Klimamanager – vorsichtig weiterwursteln. Aber ohne Mut zu einer wirklich nachhaltigen Vision wird sich am Klein-Klein-Dilemma nichts ändern.

Der Umsetzungsbericht „Europäische Energie- und Klimaschutzkommune“ für das Jahr 2014.

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