Naivität kommt auch in Leipziger Zeitungen manchmal mit einer Selbstsicherheit daher, dass man nur staunen kann. Kann passieren, wenn man Stadtratsvorlagen nur flüchtig liest. Aber manchmal sind diese Vorlagen auch genau so angelegt. So wie die Vorlage zum „Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum (TWGK)“, die Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) jetzt vorgelegt hat.
Es war die „Bild“-Zeitung, die sich etwas flüchtig mit dieser Vorlage beschäftigt hat, mit der das Ordnungsdezernat dem Stadtrat das ziemlich fadenscheinige Konzept unterjubeln will. „595 Mio. Euro durch Wasser-Tourismus“, hatte die „Bild“ am Wochenende getitelt. Eine Zahl, bei der man natürlich staunt, denn davon ist im ganzen 300 Seiten dicken Papier nichts zu lesen. Auch nicht in der Kurzfassung, die das Dezernat den Stadträten nun mitgeliefert hat.
Die Zahl selbst kommt erst in den Erläuterungen zur Vorlage vor, auf Seite 2 ganz unten.
Da steht zu lesen: „Im Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept wurden für das Gesamtgebiet außerdem die regionalökonomischen Potenziale in der Perspektive bis 2030 beziffert, die durch die Umsetzung der Einzelmaßnahmen im Bereich des Wassertourismus entstehen können. So liegt das Potenzial des zusätzlichen regionalen Tourismusvolumens bei jährlich 2,5 Mio. Übernachtungsgästen und 8,1 Mio. Tagesreisenden. Die potenzielle zusätzliche Konsumnachfrage in der Region wird auf 595,2 Mio. Euro pro Jahr beziffert.”
So, wie es da steht, ist es natürlich nichts als eine ausgedachte Luftnummer.
Erste Annahme der Rechenkünstler: Der Gesamttourismus in der Region nimmt um 50 Prozent zu, von 6,6 Millionen Übernachtungen im Jahr 2012 auf 10,6 Millionen im Jahr 2030. Das haben die Studienersteller des TWGK einfach mal so angenommen. Kann man machen. Aber dann darf man nicht auf eine fiktiv angenommene Zahl weitere Annahmen stützen.
Dass 30 Prozent der Steigerung bei den Übernachtungen durch „Wassertourismus“ induziert werden, wird im „Gesamtkonzept“ nirgendwo fundiert erarbeitet. Es wird wirklich nur angenommen. So kommt man (im zweiten luftigen Rechenschritt) auf satte 1,2 Millionen Übernachtungsgäste, von denen man einfach annimmt, man würde sie durch Wassertourismus in die Region locken.
Um auf die Zahl von 2,5 Millionen zu kommen, haben die Luftrechner noch eine Annahme obendrauf gesetzt: 20 Prozent aller Übernachtungen würden erst durch Wassertourismus „gesichert“. Ganz so, als wenn jeder fünfte Besucher in der Region nur deshalb kommt, weil er hier Boot fahren kann. 1,2 und 1,3 Millionen ergeben die 2,5 Millionen zusätzlicher Übernachtungsgäste.
Man hat also einfach durch hypothetische Annahmen den Wassertourismus in der Region Mitteldeutschland von aktuell 0 Prozent auf 25 Prozent aufgeblasen.
Auf so einer „Rechen“-Grundlage sind natürlich auch 595 Millionen Euro „zusätzliche Umsätze durch Wasser-Tourismus“ eine Fiktion. Ein falsches Versprechen, aber eine Zahl, mit der man natürlich naive Stadträte ködern möchte, damit sie einem Konzept zustimmen, in dem zehn „Leuchtturmprojekte“ stecken, die in der Summe wahrscheinlich 400 Millionen Euro kosten – oder auch mehr.
2012 lag die gesamte Bruttowertschöpfung in der Tourismusregion um Halle und Leipzig übrigens bei 2,5 Milliarden Euro. Und den Löwenanteil haben dabei die beiden großen Städte Leipzig und Halle als Tourismusmagneten umgesetzt. Und zwar vor allem und fast allein durch Kultur- und Städtetourismus.
Was der Wassertourismus selbst jetzt schon umsetzt in der Region, ist in dem ganzen, 300 Seiten dicken Konzept nicht ausgearbeitet. Es kann schon sein, dass Bootsbauer, Yachthäfen, Bootsausstatter usw. einen gewissen Umsatz haben. Vielleicht liegen wir mit der Annahme, es gäbe gar keinen (null) Umsatz bei „Wassertouristik“ auch daneben. Kann sein. Vielleicht sind es 0,1 Prozent, vielleicht auch 1 Prozent. Aber man findet nicht einmal diese Zahlen, nur die oben aufgelistete Luftrechnung, bei der dann die Zahlen herauskommen, die die „Bild“ so fröhlich in die Welt posaunt hat.
Ernstzunehmende wirtschaftliche Berechnungen sehen anders aus.
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Die Formulierung “potenzielle zusätzliche Konsumnachfrage” ist zu beachten, insbesondere das erste der drei Wörter. Dann ist die Rechnung auch OK.
Unseriös ist lediglich die Angabe dieser lockeren Schätzung mit vier Dezimalstellen. Da nehme ich die Zahl dann auch nicht mehr ernst.