Es ist immer tragisch, wenn eine Partei nach fünf Jahren emsiger Arbeit ihren Fraktionsstatus verliert, so, wie es der FDP 2014 auch in Leipzig erging. Da muss nicht nur eine Geschäftsstelle geräumt werden, da enden auch Projekte erst einmal im Nichts, in die fünf Jahre Arbeit gesteckt wurde. "Die FDP-Fraktion sagt auf Wiedersehen!" heißt es nun auf der noch frisch fürs Weihnachtsfest fertiggestellten "Leipziger Liberalen Rathauszeitung".
Das Besondere daran ist nicht nur, dass René Hobusch, zuletzt Vorsitzender der vierköpfigen Fraktion, im Geleitwort noch einmal die Ärmel hochkrempelt und ankündigt: “Wir werden weiter machen und gestärkt wiederkommen: Als bürgerliches Gewissen und Stimme der wirtschaftlichen Vernunft in Leipzig!” So etwas erwartet man ja eigentlich von einer Partei, die sich die vergangenen Monate auch ein bisschen als Außenbordmotor der Leipziger Politik verstanden hat und auch wichtige Themen gesetzt und mitbegleitet hat – oft genug in Konkurrenz zu der ein oder anderen Fraktion. Aber zumeist bekommen Themen erst dann richtig Gewicht, wenn sich auch im Stadtrat darüber gestritten wird. Hobusch führt als Stichworte Transparenz, Konsequenz, Prioritätensetzung und Sanierungsstaus auf.
Sanierungsstaus in der Mehrzahl, denn gerade die letzten fünf Jahre haben ja gezeigt, dass in Leipzig nicht nur die Straßensanierung hinterher hinkt und die Gleiserneuerung der LVB um Jahre im Verzug ist, es gab auch endlich klare Zahlen zum Sanierungsstau an Schulen und Kulturbauten. Letzteres auch ein wichtiger Teilaspekt in der actori-Diskussion, in der die FDP klar Stellung bezog – und am Ende ebenso wie andere Teilnehmer der Diskussion frustriert war, als die Debatte 2013 kurzerhand beendet wurde. Auch das wird im Heft thematisiert.
Alle vier Mitglieder der FDP-Fraktion ziehen noch einmal Bilanz. Und Hobusch fühlt sich gerade durch das Thema “Herrenlose Häuser”, bei dem die FDP besonders hartnäckig nachfragte, bestätigt, dass Leipzig vor allem eins braucht: “Transparenz! Transparenz! Transparenz!”
Das steckte auch in einem der vielen Anträge, die die Fraktion gestellt hat – nämlich sämtliche Dokumente aus der Arbeit von Stadt und Fraktionen ohne Federlesens öffentlich zugänglich zu machen, die keinem Geheimnis-, Geschäfts- oder Persönlichkeitsschutz unterliegen. “Die Bürger haben ein Recht auf Informationen”, schreibt Hobusch. “Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was mit ihren Steuergeldern passiert, sie haben ein Recht darauf zu erfahren, wie sich ihre Stadt verändert, sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was nicht dem Datenschutz unterliegt!”
So etwas umzusetzen, ist schwierig, wenn andere Fraktionen nicht mitziehen. Woran das liegt, darüber kann man nur nachgrübeln. Was auch Reik Hesselbarth tut, der vor Hobusch die kleine Fraktion leitete: “Der Stadtrat hat sich in den vergangenen fünf Jahren sehr oft im Kleinen verloren und Einzelprojekte vorangetrieben. Die großen Weichenstellungen, zum Beispiel die Stadtentwicklungskonzepte oder die Strukturentscheidung für die Eigenbetriebe – nämlich nichts zu ändern – kommen aus der Verwaltung. Der Stadtrat feilt ein wenig und dann geht es durch.”
Dass das so ist, hat verschiedene Gründe. Einer ist natürlich, dass Stadtratsarbeit nach wie vor ehrenamtliche Arbeit ist. Es gibt eine kleine Aufwandsentschädigung, einige Stadträte verdienen sich auch als Aufsichtsratsmitglieder ein paar Kröten dazu. Aber die Regel ist, dass der Job des Stadtrates neben einer vollberuflichen Arbeit geschafft werden muss. Selbst Isabel Siebert, die in einer Landesbehörde arbeitet, sieht die Berge an Vorlagen, die jeder Stadtrat durchzuackern hat, als kaum bewältigbar. Und doch müsse es sein, betont sie. Denn worüber sollte ein gewählter Abgeordneter abstimmen, wenn er nicht mal weiß, was in den Vorlagen drin steht?
Wahrscheinlich wissen es auch viele gewählte Stadträte nicht und verlassen sich dann darauf, dass der Fraktionsvorsitzende oder der eigene Sprecher für das Fachthema es wissen. Zumindest sieht manche Stadtratsentscheidung genau so aus.Aber die FDP erlebte recht hautnah, wie schwer es als einzelne Fraktion ist, dem Informationsvorsprung einer großen Verwaltung hinterher zu hecheln.
Reik Hesselbarth: “Aber der Verwaltung weiterhin die Verantwortung zu überlassen heißt, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festzulegen. – Zu klein für diese große Stadt mit der großartigen Historie! Wenn der Stadtrat wieder als Sprachrohr für die Bevölkerung wahrgenommen und akzeptiert werden will, dann muss er zunächst bereit für die Verantwortung sein. Bereit mit einer Mehrheit FÜR etwas einzustehen und dieses auch durchzusetzen. Auch wenn das im Zweifel heißt Verwaltungshandeln zu ändern und die Verwaltung zu treiben. Doch derzeit treibt eher die Verwaltung den Rat.”
Dass Verwaltung nicht gleich Verwaltung ist, darauf geht Oliver Dorausch ein, der fünf Jahre lang die Fraktionsgeschäftsstelle betreute. Denn er habe viele Rathausmitarbeiter kennen gelernt, die sehr wohl Veränderungen und Neuerungen wünschten – und an den Strukturen scheiterten. “Da sind engagierte Leute mit einem Füllhorn an tollen Ideen für Veränderungen. Sie wollen dafür sogar persönlich Verantwortung übernehmen. Nur muss man sie auch mal lassen”, schreibt er in seinem Abschiedstext. Immerhin war das Ende der Fraktion auch das Ende seines Jobs in der Fraktionsgeschäftsstelle. Er ist dann in die freie Wirtschaft gewechselt.
Das Thema “Prioritäten”, das Hobusch angeschnitten hat, greift auch Dr. Arnd Besser in seinem Beitrag auf, wo er betont, dass es eben nicht reiche, ein Thema – wie den Ausbau der Kindertagesstätten – zur Priorität zu erklären und dann trotzdem weiter Geld für Prestigeobjekte wie den Durchstich vom Karl-Heine-Kanal zum Lindenauer Hafen auszugeben. “Prioritäten bedeuten immer auch Verzicht. Wenn uns Kitas und Schulen so wichtig sind, dann müssen wir auf andere Dinge verzichten.”
Dass das auch mit einer nicht wirklich kleinen Schuldenproblematik zu tun hat, darauf geht Reik Hesselbarth ausführlich ein. Zwar ist der Kernhaushalt der Stadt mittlerweile in den 600-Millionen-Euro-Bereich gesunken. Dafür schleppen die Eigenbetriebe der Stadt noch Verbindlichkeiten im Milliardenbereich mit sich. Und der Sanierungsstau steht nach wie vor bei rund 1,5 Milliarden Euro. Da ist nicht wirklich Spielraum für Prestigeobjekte.
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Im neuen Stadtrat ist die FDP nur noch mit zwei Stadträten vertreten: Sven Morlok, der von 2009 bis 2014 wegen seines Ministerpostens in Dresden nicht im Leipziger Stadtrat saß, und René Hobusch. Beide haben sich entschieden, sich keiner der anderen Fraktionen anzuschließen. Als das Heft erarbeitet wurde, hegte Hobusch noch die Hoffnung, es könnte gelingen, eine eigene Fraktion zu bilden. Also versuchen es René Hobusch und Sven Morlok erst mal allein. Die Themen sind ja nicht vom Tisch – von der Verwaltungsstrukturreform (für die sich auch die FDP-Fraktion vehement eingesetzt hat) bis hin zu wirklich offenen Formen der Bürgerbeteiligung und einer echten transparenten Informationspolitik.
Eines machen die FDP-Erfahrungen recht deutlich: Wenn die Fraktionen nicht wirklich bereit sind, die Kuschelecke “Leipziger Modell” zu verlassen, wird der Leipziger Stadtrat für die Leipziger nicht (wieder) das von den Bürgern akzeptierte Sprachrohr ihrer Interessen sein. Dann wird er auch nicht selbstständig im Sinne einer selbstformulierten Politik, sondern immer nur die Nr. 2 oder 3 bleiben – hinter dem meist sehr selbstbewusst auftretenden Oberbürgermeister und hinter der Verwaltung.
Irgendwie scheint sich zumindest Reik Hesselbarth schon auf 2019 zu freuen. Dann sind die nächsten Wahlen für den Leipziger Stadtrat.
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