Ein bisschen was ist da am 9. Oktober 2014 richtig schief gegangen. Man hatte zwar nicht ganz vergessen, dass es da am 9. Oktober 1989 die berühmten Leipziger Sechs gab, die gemeinsam den von Kurt Masur gelesenen Aufruf unterzeichnet hatten, der dann im Stadtfunk verlesen wurde. Aber zum Festakt 25 Jahre später hatte man zwar Kurt Masur und Bernd-Lutz Lange eingeladen, die drei ehemaligen SED-Funktionäre aber nicht. Grund genug für berechtigte Irritationen.

Der Kabarettist Bernd-Lutz Lange sagte die Einladung zum Festakt dann lieber ab. Denn wofür stehen die Leipziger Sechs überhaupt, wenn die Hälfte fehlt? – Matthias Malok nahm diesen offensichtlichen blinden Fleck in der Wahrnehmung des 9. Oktobers zum Anlass, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung über Abgeordnetenwatch am 10. Oktober direkt anzufragen. Sehr ausführlich. Denn so eine Nicht-Einladung sollte schon gut begründet sein.

Seine Frage:

“Sehr geehrter Herr Jung,

das diesjährige Lichtfest kann man für die Außenstehenden als einen großen Erfolg verbuchen. Ob nun 150 oder 200T Menschen da waren ist erst einmal Nebensache.

Dieser Aufruf der Leipziger Sechs, war m.M.n. das entscheidende Signal, dass alle friedlich verlief! Zitat:

‘Bürger! Professor Kurt Masur, Pfarrer Dr. Zimmermann, der Kabarettist Bernd-Lutz Lange und die Sekretäre der SED-Bezirksleitung Dr. Kurt Meyer, Jochen Pommert und Dr. Roland Wötzel wenden sich mit folgendem Aufruf an alle Leipziger:
Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.’
– Es sprach Kurt Masur

Siehe Beitrag LVZ Online bei 18 Uhr:

2014 hat wieder die Arroganz der Macht gewirkt hat und nicht alle ‘Leipziger Sechs’ eingeladen. Ohne der Vernunft und dem Willen dieser Leipziger wäre sicherlich manches anders gelaufen.
Dass von den Medien nur Kurt Masur hofiert wird und dass Bernd Lutz Lange seine Einladung aus Protest zurückgegeben hat, wird von den Medien nur beiläufig berichtet. Warum wohl!!!

Herr … ich bitte dich!
Nie wieder Lügner in politische Positionen!
(LVZ Beitrag +Hallo Leipzig+ von Björn Meine)

Nun meine Frage:
1. Warum haben Sie als ‘OBM von Leipzig!’ es zugelassen, dass die ehemaligen Sekretäre der SED Dr. Kurt Meyer, Jochen Pommert und Dr. Roland Wötzel nicht zu den Veranstaltungen eingeladen worden sind?

2. Können Sie es mit Ihrer angeblichen Liebe zu den Menschen von 89 vereinbaren, dass hier bewusst Geschichtsverfälschung betrieben wird?”Burkhard Jung hat – was auch auf Abgeordnetenwatch leider nicht immer die übliche Reaktion von Politikern ist – geantwortet. Am 21. Oktober, wohl auch nach reiflichem Nachdenken.

Die Antwort:

“Sehr geehrter Herr Malok,

zunächst einmal stimme ich Ihrer Einschätzung voll und ganz zu, dass das diesjährige Lichtfest zum 25-jährigen Jubiläum ein großer Erfolg war. Die Teilnahme hochrangiger internationaler Gäste hat uns genauso gefreut und stolz gemacht, wie die große Anteilnahme der Leipzigerinnen und Leipziger an den Veranstaltungen dieses Tages.

Wie Sie sich vorstellen können, bedurfte es im Vorfeld eines groß angelegten Abstimmungsprozesses, da die Stadt Leipzig nicht allein Ausrichter und Einlader zu diesen Veranstaltungen war. So mussten insbesondere die Sächsische Staatskanzlei wie auch verschiedene Institutionen der Bundesregierung ihrerseits alle Abläufe mitgestalten. Für die Einladung zum Festakt und ganz besonders auch zum gemeinsamen Essen danach war es die Intention, ganz gezielt die Protagonisten der Bürgerbewegung und ihre Angehörigen anzusprechen und zu ehren. Symbolisch sollten 89 von ihnen mit ihren Angehörigen gemeinsam mit den Staatspräsidenten aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarns und dem Bundespräsidenten eine gemeinsame festliche Veranstaltung erleben. Es war keine Entscheidung gegen jemanden, sondern eine ganz bewusste Entscheidung für einen Personenkreis.

Dass die Leipziger Sechs unzweifelhaft diejenigen waren, die mit ihrem mutigen Handeln am 9. Oktober 1989 einiges riskiert und damit den ersten Stein aus der Mauer in Bewegung gebracht haben, steht für mich und alle, die sich damit beschäftigen, fest. Da gibt es keine Geschichtsverfälschung, das sind klare Fakten.

Freundliche Grüße

Burkhard Jung”

Dabei hat er es nicht gelassen.

Am Donnerstag, 13. November, hat er alle sechs eingeladen. Ein kleines Treffen – ohne Blitzlichtgewitter. Tatsächlich gekommen sind vier: Bernd-Lutz Lange und die drei damaligen SED-Funktionäre Roland Wötzel, Jochen Pommert und Kurt Meyer.

Das kurze Fazit, das die Leipziger Stadtspitze nach dem Treffen zieht: “Oberbürgermeister Burkhard Jung hat sich heute mit Vertretern der sog. ‘Leipziger Sechs’ getroffen. Er sprach intensiv mit Roland Wötzel, Jochen Pommert, Bernd-Lutz Lange und Kurt Meyer über den 9. Oktober 1989 in Leipzig und dessen Bedeutung für die weiteren Ereignisse im Land.”

“Ich wollte wissen, was diese sechs Männer damals vor 25 Jahren angetrieben hat”, sagte Jung. “Die Rolle der damaligen SED-Bezirksleitung wurde und wird kaum diskutiert. Wie ist es zu bewerten, wenn hochrangige Mitglieder der SED-Bezirksleitung damals plötzlich nicht mehr loyal zu ihrem Staat standen, wie ist das einzuordnen im Verhältnis zu den Demonstranten, die ihre persönliche Freiheit aufs Spiel setzten?”

Womit er tatsächlich würdigt, dass auch für SED-Funktionäre, die damals bereit waren, den Dialog aufzunehmen, Courage dazu gehörte. Denn am 9. Oktober 89 galt nach wie vor der Honecker-Befehl, die Demonstrationen auch mit Gewalt zu unterbinden.

Jung sagte, dieses damalige zufällige und doch so folgenreiche Wirken der Sechs an diesem Tag verdiene großen Respekt.

Wer alles kompakt nachlesen möchte, dem sei auch noch einmal das von Thomas Ahbe, Michael Hofmann und Volker Stiehler herausgegebene Buch “Redefreiheit” empfohlen. Denn Wötzel, Pommert und Meyer beließen es ja nicht bei ihrer Unterstützung des Aufrufs am 9. Oktober, sie stellten sich ab dem 22. Oktober bei den Gesprächen im Gewandhaus auch der öffentlichen Diskussion.

Zum Nachlesen auf Abgeordnetenwatch: www.abgeordnetenwatch.de/burkhard_jung-642-45067–f426454.html#q426454

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