Nicht nur unsere Leser stöhnen. Wahlmarathon kann man das, was die Leipziger im Wahlkreis 9 in diesem Jahr mitmachen müssen, schon nicht mehr nennen. Eher ist es ein amtlich vollzogener Geistertanz, bei dem am Ende die rund 44.000 Wahlberechtigten im Wahlkreis 9 die Gelackmeierten sein werden. Tiefer hat in Sachsen noch niemand in das Wahlverfahren eingegriffen, als es die Landesdirektion Leipzig nach der Kommunalwahl vom 25. Mai getan hat.

Und ein Ergebnis steht jetzt schon fest: Die Zusammensetzung des Leipziger Stadtrats wird nach dieser neuangesetzten Teilwahl im Leipziger Norden noch fragwürdiger, als es aus Sicht der Landesdirektion nach dem 25. Mai gewesen wäre. Während die Annahme, die 1.600 Stimmen, die der nicht zur Wahl berechtigte Kandidat der NPD, Alexander K., am 25. Mai bekommen hat,wären zur CDU abgewandert, wenn der Mann nicht auf dem Wahlzettel gestanden hätte, eher Spekulation als berechtigte Annahme war, verschiebt das heutige Wahlergebnis in Gohlis, Eutritzsch, Wiederitzsch und Mockau die Zusammensetzung des Stadtrates deutlich.

Die Wahlbeteiligung ist mau. Noch weniger Leipziger als im Mai haben sich aufgerafft, um in den Wahllokalen ihre drei Kreuzchen zu machen. Um 16 Uhr waren gerade einmal 25,5 Prozent der Wahlberechtigten in den Wahllokalen. Das Geplänkel um den überflüssigen NPD-Kandidaten ging den meisten Leipzigern sowieso völlig ab. Sie haben gewählt. Und ein Bürger hat das Recht, dass seine Stimme auch anerkannt wird, wenn er zur Wahl geht, und nicht im juristischen Kleinklein negiert und umgedeutet wird. Selbst das sächsische Kommunalrecht sieht nicht vor, dass beim Auftauchen eines nicht wahlfähigen Kandidaten alle anderen Kandidaten gleich mit bestraft werden und eine teure Wahl – allein im WK 9 noch einmal 30.000 Euro – wiederholt wird.
Auch noch mit neuer Wählerzusammensetzung. Denn in Leipzig wird ja auch im Sommer fleißig umgezogen, Geburtstag gefeiert usw.

Wahlleiterin Dr. Ruth Schmidt in der Zeit, während die eher intime Runde im Rathaussaal auf die ersten Ergebnisse wartet: “Reichlich 100 Wahlberechtigte haben wir durch Umzüge mehr beim Nachwahlgang. Damit waren heute rund 44.100 Leipziger zur Nachwahl zum Stadtrat aufgerufen.”

Und das kleine Grüppchen, sichtlich geschlaucht schon von diesem Warten auf ein relevantes Ergebnis für die 2014er Stadtratswahl, wartet weiter. Auch um 18:50 Uhr tut sich noch nichts. Um 18 Uhr haben die Wahllokale geschlossen. Es wird noch gezählt.
19:00 Uhr: Die ersten Ergebnisse kleckern herein. Schön von außen nach innen, wie man das kennt. Die Wahlbezirke am Stadtrand mit ihren geringeren Wählerzahlen sind als erste fertig mit dem Zählen. Dort würde man CDU wählen zu 30 Prozent, Linke zu 25 Prozent, AfD zu 18 Prozent. Erst dahinter die SPD mit 14 und die Grünen mit 6 Prozent. Das wird so nicht bleiben. Aber es zeigt schon recht deutlich, wie gering die Rolle der anderen angetretenen Parteien und Wählergemeinschaften ist. Der Wählervereinigung Leipzig war für diesen Wahlgang schon gänzlich die Puste ausgegangen und sie war nicht einmal mehr mit Plakaten im Straßenraum präsent. Nicht viel anders die Piraten. Beide tauchen vorerst mit 1-Prozent-Werten auf, die NPD mit 3,7 Prozent. Auch das wird nichts ändern.
19:30 Uhr: Die AfD könnte wohl am Ende dieses Abends so eine Art zweistelliges Ergebnis feiern. Nicht leipzigweit, da wird sie über ihre 6 Prozent nicht hinauskommen. Aber vielleicht im WK 9. Sie hat die Tage vor der Wahl noch einmal sämtliche Straßen gepflastert mit ihren blauen Botschaften, oft doppelt- und dreifach. Das scheint bei einigen Wählern im Norden tatsächlich noch Reflexe auszulösen. Aber die niedrige Wahlbeteiligung bringt ihr keine weiteren Sitze im Stadtrat ein. Ein Viertel aller Wahlbezirke ist jetzt ausgezählt. Und man merkt, dass jetzt auch Teile von Gohlis und Eutritzsch geliefert haben. Die Grünen nähern sich der 10-Prozent-Marke. Was ein Achtungszeichen ist. Noch vor wenigen Jahren lagen ihre Hochburgen im Zentrum und im Süden Leipzigs, dann kam der Leipziger Westen hinzu. Und nun wird auch der Norden so langsam grünes Gebiet.

Zwischenstand: CDU 28, Linke 24, AfD 15, SPD 14 und Grüne knapp 10 Prozent. Das würde die im Mai festgestellte Verteilung im Stadtrat bestätigen.
19:45 Uhr: Die Hälfte der 39 Wahlbezirke im WK 9 ist ausgezählt. Das Grundbild verstetigt sich nun. Die CDU wird aktuell mit 30 Prozent gezählt – sie hatte als einzige Partei auch noch großformatige Plakate aufgestellt und auf Orange gemahnt: “Am 12. Oktober CDU wählen!” – Besonders leiden durch die neu angesetzte Wahl die kleinen Parteien: Piraten, Wählervereinigung, Neues Forum und nun – willkommen im Reigen – auch die FDP. Sie alle werden jetzt um die 1 Prozent gehandelt.

Zum großen Staubsauger der “Muss man ja mal wählen dürfen”-Stimmen wurde diesmal die AfD, die mit rund 15 Prozent gezählt wird. Sehr zum Ärger der SPD, die mit 14 Prozent dahinter liegt. So beweglich ist das Protestwählerpotenzial in Leipzig mittlerweile. Die etablierten Parteien können sich nicht wirklich ausruhen auf ihren Meriten. Außer ein Stück weit die CDU, die ihren Wählern gern das Gefühl gibt: Bei uns bleibt alles beim Gewohnten, wir experimentieren nicht.

Dumm nur, dass sich die Welt ständig verändert. Eine Stadt wie Leipzig sowieso. Nur tun Veränderungen manchmal weh. Oder sind ein bisschen verstörend, wenn man sich schon im Kleinhäuschen eingerichtet hat. Die Grünen holen einen Teil des jüngeren, noch veränderungswilligen Publikums ab: 10 Prozent derzeit. Die Linke liegt bei 22 Prozent.

19:50 Uhr:
Jetzt geht es flott voran in den Wahllokalen. Mittlerweile sind 25 von 39 Wahlbezirken ausgezählt, was schon fast zwei Dritteln entspricht. Und es sind schon etliche aus den zentrumsnäheren Wahlbezirken dabei. Das sieht man immer an den Grünen-Ergebnissen, die jetzt so langsam Richtung 12 Prozent tendieren. Ganz ähnlich bei der SPD, die sich so gern als Stadtpartei bezeichnet, weil ihre Wähler ein bisschen urbaner sind als die der CDU. Die CDU steht weiter bei 30 Prozent, die SPD hat sich über die 15 Prozent berappelt und damit tatsächlich die AfD (14 Prozent) überholt. Die Linke liegt bei 21,5 Prozent, weit hinter der CDU. Was freilich nicht heißt, dass sie es ist, die am Ende der ganzen Rechnerei einen Sitz abgeben muss.

Eher wandert ihr Mandat dann nach Grünau oder in den Süden. Das wird man erst am Ende des Abends wissen, wer nun doch wieder raus ist, obwohl er eigentlich am 25. Mai drin war. Jede Menge Stoff für Klagen gegen dieses Wahlergebnis.
20:00 Uhr: Wie viele Mandate wird der Wahlkreis 9 behalten? Drei? Vier? – Mehr werden es nicht sein bei dieser Wahlbeteiligung von unter 30 Prozent.

Mindestens drei Mandate wandern wohl in andere Leipziger Wahlkreise ab. Die Zählung der Stimmzettel nähert sich ihrem Ende, auch wenn in der Regel am Ende natürlich immer die dicksten Brocken kommen, die Wahllokale mit den meisten abgegebenen Stimmen. Das dauert logischerweise länger. Mittlerweile aber sind 90 Prozent der Wahlbezirke ausgezählt. Die CDU bleibt fest bei 30 Prozent. Im Ratssaal versucht das Amt für Statistik und Wahlen die Wahl vom 25. Mai mit der von heute zu vergleichen. Dabei fällt natürlich die AfD auf, die prozentual zugelegt hat. Aber was nutzt ihr das am Ende, wenn die Wahlbeteiligung noch einmal deutlich unter der vom 25. Mai war? – Derzeit rangiert sie knapp über 14 Prozent, die SPD hat sich Richtung 16 Prozent hochgearbeitet, die Linke hängt bei 21,5 Prozent fest und die Grünen sind bei 11,5 Prozent. Viel spannender ist wirklich die Frage: Wie viele von den im Mai errungenen 7 Mandaten bleiben im Wahlkreis 9? – Für einige, die jetzt rausfliegen, wird es Tränen geben.

20:15 Uhr: Wir sind auf der Zielgeraden. 95 Prozent sind ausgezählt. Aber selbst die Prozente, die jetzt bei jeder Partei aufleuchten, sind egal. Alles, was zählt, ist die Wahlbeteiligung. Und die ist dahin gerauscht, wo sie nach all der Erschöpfung wohl rauschen musste – von 39 Prozent im Mai auf (wenn diese Zahl so zutrifft) – 25,9 Prozent an diesem 12. Oktober. Das heißt: Statt über 17.000 gingen diesmal nur etwas über 11.000 Wahlberechtigte aus dem Norden zur Wahl. Damit liegt die Wahlbeteiligung selbst deutlich unter den eh schon niedrigen Quoten, die im Mai Grünau und der Leipziger Osten erreichten – das waren dort immer noch um die 35 Prozent gewesen.

Jetzt wird der Computer zwar fleißig ausrechnen, wer stattdessen die Mandate besetzen darf, die nun nicht mehr in den WK 9 gehen. Aber wenn das Sinn der Entscheidung der Landesdirektion war, dann dürfen sich heute eine Menge Leipziger verschaukelt fühlen.

Zwischenstand kurz vorm Ende: 30 Prozent CDU, 21,5 Prozent Linke, 15,5 Prozent SPD, 14,5 Prozent AfD, 11,5 Prozent Grüne.

Danach kommt lange nichts. Dann kommt die NPD mit 2,5 Prozent. Und dann Piraten und FDP mit 1,5 Prozent.
20:25 Uhr: Jetzt wird auch klar, was dieses Wahldebakel bedeutet. Denn die Düpierte ist – wie es Mancher schon erwartet hat – die SPD. Wie schon 2009, als ebenfalls eine Teilneuwahl das Ergebnis veränderte, würde sie einen Sitz gegenüber dem Ergebnis am 25. Mai einbüßen und hätte nur noch 13 Sitze im Stadtrat. Der Sitz käme der CDU zugute, die dann mit 19 Sitzen stärkste Fraktion wäre vor der Linken mit 18. Aber verglichen mit dem, was die Landesdirektion eigentlich “reparieren” wollte, ist das eine Tragödie.

Gerüchteweise hört man am Abend von der SPD, dass diese gegen diese Wahl klagen wird. Viel ändern wird sich nicht mehr, auch wenn die Verschiebungen in der Anzahl der Mandate pro Partei noch auf Messers Schneide steht. Alle 39 Wahlbezirke sind ausgezählt. Aber kommt dieser zusammengeschusterte Stadtrat je zum Arbeiten? Die Neuansetzung der Wahl im WK 9 hat die ganze Leipziger Kommunalwahl zur Farce gemacht.

Am Ende gingen von 44.100 Wahlberechtigten nur 12.768 zur Wahl – das sind 28,9 Prozent. Gewählt sind – nach den Rechnungen des Amtes für Statistik und Wahlen – Gerd Heinrich und Andrea Niermann für die CDU, William Grosser für die Linke, Claus Müller für die SPD und Holger Hentschel für die AfD. Alrun Tauché von den Grünen ist raus, was wohl auch heißen wird, dass auch die Grünen einen guten Grund zur Klage hätten, auch wenn dafür ein Kandidat aus einem anderen Wahlkreis in den Stadtrat rutscht. Am Abend bereits schlossen sie dies aus.

Zum Artikel vom 13. Oktober 2014 auf L-IZ.de

Stadtratswahl im Wahlkreis 9: Erste Wahlnachwehen und Gerüchte

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