Das "Leipziger Modell" im Stadtrat kann man auch als manifestierten Schwebezustand bezeichnen. Einst ausgerufen, um Sachlösungen für Leipzig ohne Partei- und Koalitionsbegrenzungen zu finden, trug es immer auch einen Hauch von fehlender Zugkraft für die Stadträte in sich. Und einen Vorteil für die Verwaltung und die Partei, welche den Oberbürgermeister stellt. Bekanntlich die SPD, mit 14 Sitzen im neuen Stadtrat zwar hinter CDU und Linken (je 18) und erneut nur knapp vor den Grünen mit 11 Räten landet. Und eben diese wollen einen Versuch unternehmen, der das "Leipziger Modell" beenden möchte. Eine feste Koalition mit anderen Parteien zu bilden.

Bislang kennt man das ritualisierte Prozedere eigentlich nur nach Bundes- und Landtagswahlen. Da wird sondiert, ausprobiert und anschließend koaliert. Regierungsparteien gegen die Opposition und umgekehrt. Da wird fast schon grundsätzlich jeder Vorschlag der Opposition niedergestimmt, egal ob er sinnvoll oder frei von Sinnen ist. Effekt dabei: die Koalitionäre haben die Möglichkeit eine Legislatur lang ihre Vorstellung von Politik umzusetzen oder es bleiben zu lassen.

Die Grünen haben diesen Versuch nun vor. Jens Reichmann, Geschäftsführer der Leipziger Grünen dazu: “Das Leipziger Modell, welches seine Berechtigung hatte, hat sich überlebt und führt dazu, dass für Fehler regelmäßig niemand die Verantwortung übernimmt und Beschlüsse der Ratsversammlung nicht umgesetzt werden. Der Stadtrat wird durch den OBM dominiert, der sich nach Belieben neue Bündnisse suchen kann. Das ewige Klein-Klein, ohne klare Ziel- und Prioritätensetzung bringt Leipzig nicht voran und erhöht auch nicht das Vertrauen der Menschen in einen Stadtrat, in dem Fehler abgewiegelt werden und eine klare Handschrift nicht zu erkennen ist.”

Die Leipziger Grünen würden also gern mehr konkrete Vorhaben durch den Stadtrat bringen und haben mal gerechnet. “Ohne uns Grüne wird es im Stadtrat künftig keine Mehrheiten geben.” Heißt es selbstbewusst im einstimmig gefassten Beschluss der Mitgliederversammlung des Stadtverbandes am 3. Juni.
“Bereits vor der Wahl haben wir deutlich gemacht, dass es ein Weiter so im Leipziger Modell nicht geben kann. Wir streben klare Verhältnisse an, die die Politik auch nachvollziehbar machen und Gestaltungswillen offenbaren”, so Petra Cagalj-Sejdi Vorstandssprecherin des Kreisverbandes. Gespräche mit allen Parteien außer der AfD und der NPD würden nun geführt werden, was den aufmerksamen Beobachter vergangener Jahre der Leipziger Kommunalpolitik auf ein einfaches Ergebnis bringt. Der grüne Wille zur Koalition ist eigentlich eine Anfrage bei der Leipziger SPD.

Denn die verjüngte Ratsfraktion der Grünen wird sich mit einer Hinwendung zur Leipziger CDU eher schwertun – zu gegensätzlich die in den letzten Jahren deutlich gewordenen Widersprüche bei den wichtigsten Themen wie Stadtentwicklung und ÖPNV-Finanzierung, dem Umweltschutz im Auwald oder den grundsätzlich verschiedenen Haltungen zum Umgang mit muslimischen Glaubensgemeinschaften und Flüchtlingen in der Messestadt. Wie man – quasi über den Floßgraben hinweg – hier zu gleichen Grundrichtungen kommen könnte, war und bleibt wohl fraglich.

Zudem riskierten die Grünen damit, auf einmal doch gemeinsam mit den vier AfD-Räten Seit an Seit abzustimmen, sogar das Hinzukommen der beiden FDP-Stadträte und dem verbliebenen WVL-Rat Deissler wären notwendig, um mit der CDU zum Preis der eigenen Unglaubwürdigkeit auf eine hauchdünne und somit wenig tragfähige Übermacht von 36 Stimmen bei 70 vergebenen Stühlen zu kommen.
Zu mehr würde es nicht reichen, denn die 18 Linken würden so einen Budenzauber garantiert nicht mittragen, die SPD hätte keine Veranlassung diesem Schabernack womöglich auch noch beizutreten.

Bleibt die andere Richtung und eine Gretchenfrage an die SPD. Denn obwohl man sich bei den Grünen (und auch bei der SPD und anderen) gerade ausgiebig mit dem neu gewählten Linken-Stadtrat Alexej Danckwardt über die (sich aktuell vorsichtig entspannende) Lage in der Ukraine streitet, dürfte die Leidenschaft für dieses Thema nicht ewig anhalten und eine Einigung durchaus möglich sein. Bleibt also mal wieder die SPD. Nur mit dieser gemeinsam erreicht die Grünenfraktion eine Mehrheit von 43 von 70 Stimmen, auch ein Zweierbündnis unter dem unwahrscheinlichen Hinzukommen der beiden FDP-Räte und je einmal Piraten und WVL würde mathematisch bei 33 Stimmen und damit nicht in der Mehrheit enden.

Zum Dreierbündnis mit der SPD benennen die Grünen das Hauptthema gleich mal selbst, um die Leipziger SPD anzustoßen: “Voraussetzung dafür ist, dass die SPD in Leipzig sich entscheidet, ob sie weiterhin nur Partei des Oberbürgermeisters sein will oder endlich selbständig gestaltende Kraft im Stadtrat.”.

Ob die Lust seitens der Leipziger SPD die für sie durchaus lukrative Situation als eigentliches Zentrum im Stadtrat aufzugeben sonderlich ausgeprägt ist, bleibt abzuwarten. Dabei auch noch dem Verwaltungschef aus der eigenen Partei in den kommenden fünf Jahren eine geschlossene Front mit Linken und Grünen entgegenzustellen, scheint unwahrscheinlich. Zudem könnte auch die SPD zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangen wie die Grünen. Auch ohne sie ist keine Mehrheit im Stadtrat möglich. Ob es also mehr Macht im Stadtrat gegenüber der Verwaltung für eigene Vorschläge einer Koalition geben könnte, hängt wohl an der Leipziger SPD. Ansonsten dürfte sich das “Leipziger Modell” erneut als die überlebensfähigste Variante erweisen.

Die (noch unbestätigte) Aufstellung im neuen Stadtrat von Leipzig
CDU 18, Linke 18, SPD 14, Grüne 11, AfD 4, FDP 2, WVL 1, Piraten 1, NPD 1

Der Beschluss der Leipziger Grünen zur Koalitionsbildung
http://www.gruene-leipzig.de/uploads/media/2014-06-03-Beschluss-Leipziger-Modell.pdf

Das Programm der Leipziger Grünen zur Kommunalwahl 2014

leipzig2014.antragsgruen.de

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