Die Wählervereinigung Leipzig (WVL) e. V. tritt mit offener Bürgerliste in allen zehn Wahlkreisen zur Kommunalwahl 2014 an. Die WVL sieht sich als als von Parteien unabhängige Kraft im aktuellen Leipziger Stadtrat und ist mit zwei Stadträten in zwei Fraktionen vertreten: Bert Sander (Wahlkreis 7) und Udo Berger (Wahlkreis 8). Die L-IZ sprach mit WVL-Vorstand Karsten Kietz und Stadtrat Bert Sander.
“Einmischen” lautet ein Slogan Ihrer Partei. Dem liegt zugrunde, dass Sie der Meinung sind, die etablierten Parteien beziehungsweise deren Vertreter seien zu weit vom Wähler und seinen eigentlichen Problemen weg. Sie treten zur nächsten Stadtratswahl an. Mit welchen Zielen, Hoffnungen, Wünschen?
Ernsthaftes Bürgerengagement bedeutet, verlangt auch, öffentlich Verantwortung zu übernehmen. Die WVL tritt deshalb zur Stadtratswahl mit einer offenen Bürgerliste an, auch deswegen, um zu signalisieren, dass die Bürgerbeteiligung bereits mit der Aufstellung der Kandidatenlisten beginnt. In Anlehnung an die berühmten Worte von Willy Brandt könnte man formulieren: “Mehr Bürgerbeteiligung wagen” – wohlwissend, dass mit einer tatsächlichen Bürgerbeteiligung das Regieren sehr viel schwieriger, umständlicher, ja zuweilen auch nervtötender wird. Aber nur deshalb, weil man während der öffentlichen Entscheidungsfindung auch auf anstrengende Leute trifft, wird diese Form öffentlicher Entscheidungsfindung noch lange nicht diskreditiert. Wirkliche Demokratie halst uns langwierige, aufwendige Prozeduren auf. Die Wählervereinigung Leipzig (WVL) ist keine Partei im tradierten Sinne, sondern ein eingetragener Verein, der sich mit kommunalen Themen auseinandersetzt. Uns geht es nicht vordergründig um Programme, Manifeste, Ideologien, sondern vielmehr um konkrete kommunale Probleme; uns interessiert, welche konkreten Anliegen, Interessen verfolgt der Kandidat. Die WVL setzt sich zur Kommunalwahl 2014 in Leipzig das Ziel, mit mindestens vier Abgeordneten in der Ratsversammlung einen eigenen Fraktionsstatus zu erreichen.
Der Stadtrat ist von seiner Funktion her näher am Bürger als viele andere politische Gremien. Wie will die WVL die Leipziger Bürger ansprechen, wenn, wie die WVL behauptet, die sogenannte Politik von oben mehr und mehr an Bodenhaftung verliert. Wie soll eine starke Politik “von unten” aussehen?
Politik, die vorwiegend über die Bundes- und Landes-Parteizentralen gelenkt, gesteuert wird, verliert allerdings die wirklichen Probleme, die vor Ort anstehen, aus den Augen. Nicht selten werden den Städten und Gemeinden Groß-/Prestigeprojekte geradezu aufoktroyiert – und dabei werden die brennendsten Probleme außer Acht gelassen (Beispiel Straßennetz/-ausbau: immer neue Trassen werden geschlagen, die finanziellen Mittel zum Erhalt der bereits vorhandenen Straßen [obwohl in einem bedauernswerten Zustand] fehlen aber. Nicht wenige Bürger sind der Meinung, dass peripher gelegene, eingemeindete Ortsteile im Vergleich zu den Aufwendungen für die zentrumsnahen Stadtteile vernachlässigt werden. Durch eine starke Vertretung im Stadtrat kann diese Entwicklung durchaus beeinflusst werden.
Welche Resonanz erfährt die WVL von Seiten der Leipziger Bürger? Wie sind Ihre Erfahrungen im Umgang mit ihnen und welche Sorgen, Nöte, Anregungen und Kritiken werden an Sie heran getragen?
Ein Beispiel: Wir arbeiten mittlerweile seit mehreren Jahren sehr eng mit Bürgerinitiativen beziehungsweise dem Netzwerk dieser BI’s zusammen, die sehr engagiert und vor allem verantwortungsbewusst um einen gerechten Ausgleich von Flughafenentwicklung und den legitimen Rechten der Anrainer ringen. Siehe dazu auch WVL unter zum Beispiel: Lärmkoordinator beziehungsweise Einrichtung einer städtischen Koordinierungsstelle Lärmvermeidung, Lärmaktionsplan, RADIO BLAU, Coppi-Schule, Darlehensrückzahlungen, über das Prekäre an der Niedriglöhnerei, Verkehrsberuhigung in Wohngebieten, Über Lichtverschmutzung etc..
Die WVL ruft Bürger zum kommunalpolitischen Engagement in den Fach- und Stadtbezirksbeiräten der Stadt Leipzig für die nächste Legislaturperiode zur Mitarbeit auf. Was erhoffen Sie sich davon, wie soll diese Mitarbeit Ihrer Meinung nach konkret aussehen?
Es ist doch nüchtern betrachtet leider so, dass der Bürger eigentlich nur zum jeweils bevorstehenden Wahltermin umworben wird, oder anders ausgedrückt, der Wähler gibt mit seiner Stimmabgabe zum Wahltermin sein Stimmrecht für eine Legislaturperiode von fünf Jahren ab. Dieses Problem ist nicht neu. Mit dem Slogan “Bürgerbeteiligung” versucht man diesem Problem zu begegnen. Wir sind allerdings der Meinung, dass Bürgerbeteiligung nicht einfach unverbindliche Beteiligung bedeuten darf. In der Demokratie ist die Politik darauf angewiesen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv an den politischen Auseinandersetzungen beteiligen, heißt, dass die Bürger nicht nur eventuelle Missstände monieren, sondern dagegen auch agieren.
Das weitverbreitete Schimpfen auf Politiker ist nicht nur langweilig, sondern vor allem folgenlos. Wer wirklich und verantwortungsbewusst mitgestalten will, kommt nicht umhin, sich selbst aktiv einzubringen, also selbst Hand anzulegen – und sich eben nicht auf das Tun der anderen zu verlassen. Die Ortschaftsräte und die Stadtbezirksbeiräte bieten erste Möglichkeiten sich in die Kommunalpolitik einzumischen/-bringen. Allerdings muss den Ortschafts- und den Stadtbezirksräten größeres politisches Gewicht eingeräumt werden, was auch bedeutet, diese Räte mit mehr administrativen und finanziellen Mitteln auszustatten. Dafür wird sich die WVL besonders einsetzen.
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Stadtratswahl 2014: SPD will die Leipziger in die Erarbeitung ihres Wahlprogramms einbinden
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Welches sind nach Meinung der WVL, die “heißesten Eisen”, die von Seiten der Stadtführung am dringendsten angepackt werden müssen?
Eigentlich wären anlässlich dieser Frage längere Ausführungen notwendig, weshalb ich, paradoxerweise, die Antworten mittels Stichwörtern kurzfassen werde: Als sogenannte heiße Eisen der Stadtverwaltung sehen wir aktuell: Kita- und Schulbauprogramm, Abschluss Konzessionsverträge, mittelfristige Konsolidierung der LVV, Arbeitsmarkt (Aufstockerei, prekäre Arbeitsverhältnisse), Konsequenzen für die Leipziger Kulturlandschaft aus dem “actori-Gutachten”, Einheitsdenkmal ect. – und überhaupt, die Haushaltssituation ist alles andere als komfortable, heißt, bereits bei nur kleinen unverhofften Problemen oder wenigen unvorhergesehenen Bedarfen kippt unser städtische Haushalt aus dem Latschen.
Leipzig ist im bundesweiten Vergleich immer noch eine der Städte mit den niedrigsten Bruttolöhnen und warb bis vor kurzem noch mit diesem zweifelhaften Slogan. Selbst hochqualifizierte Arbeitskräfte bekommen oft nicht mehr als 7 bis 8 Euro die Stunde. Wo sollte nach Meinung der WVL hier der Hebel angesetzt werden?
Die Stadt sollte selbstbewusster ihre Interessen vertreten. Billiglöhnerei wie bei amazon oder DHL geht auf Kosten und zu Lasten der Kommunen (Aufstocker). Unter dem Druck, Arbeitsplätze zu schaffen, sind die Kommunen geradezu erpressbar geworden. Es sollte durchaus auch mal die Qualität der Arbeitsplätze kritisch betrachtet werden, denn nicht jeder Arbeitsplatz ist per se gut. Die Vergabepraxis von Fördergeldern, Finanzierungsbeihilfen an global operierende Unternehmen muss dringend evaluiert werden. Der Skandal ist ja nicht nur, dass die Risiken und die Verluste vergesellschaftet, die Gewinne aber privatisiert werden, sondern der Skandal ist weitreichender: Steuergelder nämlich werden regelrecht privatisiert.
Auch sollten wir uns grundsätzlich von dem immer noch durch einige Amtsstuben wabernden Irrglauben befreien, dass Wirtschaftswachstum und übergroßer Wohlstand von wenigen Reichen geradezu automatisch nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickert. Die wirtschaftsliberale Grundthese (Trickle-down-Theorie) lautet: “Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwas auf die Straße durchkommen, um die Spatzen zu füttern” (horse-and-sparrow-theory, liberale Pferdeäpfel-Theorie). Wie stellte Paul Krugman, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, fest: “Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt nun seit 30 Jahren – vergeblich.”
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