Auf der Mitgliederversammlung vom 30. Oktober beschloss der Kreisverband Leipzig von Bündnis 90 / Die Grünen einen Antrag mit dem nach ganz viel klingenden Titel "Mehr direkte Demokratie in Leipzig ermöglichen". Im Untertitel wurde das dann etwas eingegrenzt: "Bündnis 90 / Die Grünen für Ratsbegehren bei wesentlichen kommunalpolitischen Angelegenheiten".

Mit dem Beschluss fordern die Leipziger Grünen die Stadtratsfraktionen auf, einen Paradigmenwechsel hin zu mehr direkter Demokratie zu vollziehen, indem sie Bürgerentscheide durch Ratsbegehren im Rahmen des rechtlich Möglichen befördern. Bürgerentscheide stören weder die Verwaltung in ihrem Handeln, stellen die Grünen fest, noch seien sie ein unnötiger Kostenfaktor, sondern unterstützten im besten Sinne die Arbeit des Stadtrates und der Verwaltung. Sie seien Ausdruck einer lebendigen Demokratie und stärkten das Vertrauen der Menschen in die parlamentarische Demokratie.

Auch Ratsbegehren münden in einen Bürgerentscheid. Sie sind nur ein anderer Weg da hin, der im Grunde signalisiert: “Wir als gewählte Vertretung der Bürger sind daran interessiert, dass die Bürger sich zu diesem Thema selbst positionieren.”

Denn alle fünf Jahre, wenn die Leipziger ihren neuen Stadtrat wählen, entscheiden sie sich zwar bei der Wahl ihrer Kandidaten für bestimmte politische Grundeinstellungen und zuweilen auch nach Bauchgefühl. Aber sie können mit der Stimmabgabe nicht jede einzelne Richtungsentscheidung, die in den Folgejahren auf die Stadträte zukommt, vorwegnehmen. Und manche Entscheidungen gehen ans Eingemachte, nämlich direkt an den Besitzstand der Bürger.

So war es 2007 beim Versuch, einen Teil der Stadtwerke wieder an einen privaten Partner zu veräußern. Ein Versuch, den die Mehrheit der Stadträte wohlwollend begleitete, den aber die Mehrheit der Bürger deutlich ablehnte.

Vor dem Bürgerentscheid hatte es, um diesen überhaupt zu ermöglichen, ein Bürgerbegehren gegeben, bei dem die Unterschriften von 20.000 Leipzigern gesammelt worden waren. Als es 2011 mit dem geplanten Verkauf der beiden Stadtwerke-Töchter Perdata und HL komm begann, wurde durchaus auch wieder überlegt, einen Bürgerentscheid zu starten. Immerhin ein Kraftakt. Der in diesem Fall möglicherweise noch schwerer geworden wäre. Denn es ist was anderes, wenn es um Strom und Wärme als Daseinsfürsorge geht oder eben wie in diesem Fall moderne Kommunikations- und IT-Dienstleistungen. Wie wichtig sind diese tatsächlich für die Daseinsfürsorge und die Handlungsfähigkeit der Stadt? Und was sind sie wert?

Eigentlich noch brisanter die Fragestellung bei der Privatisierung des Städtischen Bestattungswesens, die im Sommer beschlossen wurde.

Ein Stadtrat, der bei solchen Entscheidungen einfach aus eigener Verantwortung beschließt, einen Bürgerentscheid durchführen zu lassen, signalisiert auch, dass ihm die Einstellungen der Bürger zum Thema wichtig sind, dass er eine breite Diskussion in der Bürgerschaft möchte. Denn über das Meiste, was im Stadtrat beschlossen wird, denken die Bürger, die davon in der Zeitung lesen, nicht lange nach.

Doch ein Ratsbegehren signalisiert auch: Liebe Leute, wir wollen, dass ihr euch mit dem Thema befasst. Politik einfach hinzunehmen wie duldende Schafe, das geht in einer Bürgerstadt wie Leipzig nicht wirklich.Und so soll es nach Vorstellung der Grünen künftig Ratsbegehren insbesondere zur Durchführung von Bürgerentscheiden in Leipzig über die Gründung, Schließung, Änderung der Unternehmensform oder (Teil-)Privatisierung von kommunalen Eigenbetrieben insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, geben. Ein Thema, das nach Einschätzung des APRIL-Netzwerkes, das 2007 den Bürgerentscheid initiierte, in den nächsten Jahren wieder auf die Tagesordnung kommen wird. Denn bislang ist Leipzig noch recht unbeschadet durch die Ausläufer der Finanzkrise gekommen. Aber die ersten Zeichen einer Rezession sind schon zu spüren. Da kann es passieren, dass bald schon wieder verschiedene Politiker und Verwaltungsmitarbeiter beginnen, nach verkäuflichem Porzellan zu suchen, um den Haushalt zu retten.

Ratsbegehren soll es aber auch bei der Entscheidung über die Mitgliedschaft der Stadt Leipzig in Zweckverbänden (zum Beispiel: Abfallwirtschaft, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Nahverkehrsraum, Stadt- und Kreissparkasse) geben, bei An- oder Verkäufen und Schließung von Unternehmensbeteiligungen (wie beim Versuch, die Sperrminorität in der Verbundnetz Gas AG zu sichern) und auch bei Großprojekten sowie Investitionsvorhaben von wesentlicher gesamtstädtischer Bedeutung.

Gemäß § 24 Abs. 1 SächsGemO kann der Stadtrat mit 2/3-Mehrheit die Durchführung eines Bürgerentscheides beschließen. Ratsbegehren sind – in der Definition von Wikipedia – schlicht die “Ermächtigung für die Gemeindevertretungen, Entscheidungen, für die sie selbst zuständig sind (eigener Wirkungskreis, keine laufende Aufgabe, nicht im Aufgabenbereich des Bürgermeisters), an die Bürger der Gemeinde abzugeben.”

“Wir sind der Auffassung, dass die direkte Demokratie eine wichtige Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie ist. Außerdem sind durch Ratsbegehren eingeleitete Bürgerentscheide, indem sie nicht einzelnen Interessengruppen zugeordnet werden können, besonders gut geeignet, einen sachlichen Diskurs zu befördern”, sagt Grünen-Vorstandsmitglied und Antragsteller Tim Elschner.

Und Carolin Waegner, Co-Autorin des Antrags und im Grünen-Vorstand unter anderem für Partizipation und Demokratie zuständig: “Im Vorfeld von durchzuführenden Bürgerentscheiden sind in verbindlichen Beteiligungsverfahren alle Vor- und Nachteile eines Vorhabens frühzeitig, transparent und ergebnisoffen zu diskutieren. Grundsatzanhörungen und Bürgerbefragungen sind durchzuführen. Außerdem sind Bürgergutachten von der Stadt Leipzig in Auftrag zu geben. Sie sind besonders gut geeignet, eine Meinungsführerschaft von Partikularinteressen zu vermeiden.”

Eine Idee, die Felix Ekardt, Oberbürgermeister-Kandidat der Leipziger Grünen, natürlich richtig findet: “Als Oberbürgermeister von Leipzig will ich gemeinsam mit den Rathaus-Fraktionen erörtern, wie es uns gelingen kann, den Bürgerentscheid künftig als ein aktives Gestaltungsinstrument einzusetzen. Denn Politik ist gut beraten, ein aus der Bürgerschaft kommendes direkt demokratisches Anliegen bei zu fällenden Grundsatzentscheidungen aufzugreifen.”

Bereits im Mai 2012 sprachen sich die Leipziger Grünen für eine Satzung zur Beteiligung der Einwohner an Entscheidungen der Stadt aus. Unter Nachweis einer entsprechenden Zahl an Unterstützerunterschriften sollen Beteiligungs- und Informationsverfahren rechtlich verbindlich eingefordert werden können.

Zwei Anliegen, die den Spieß einfach mal umdrehen und – aus Sicht der gewählten Stadträtinnen und Stadträte – die Wähler selbst in die Pflicht nehmen und bei wichtigen Vorhaben auch daran erinnern, dass man Verantwortung nicht einfach fünf Jahre lang delegieren kann, dass man zu Themen, die wichtig für die Stadt und ihre Zukunft sind, zumindest eine Meinung haben sollte.

www.gruene-leipzig.de

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