Seit 2000 haben die Renten in Deutschland ein Fünftel ihrer Kaufkraft verloren, in Ostdeutschland gar 22 Prozent. So das Ergebnis einer Anfrage der Linken im Bundestag. "Die Altersarmut ist doch längst kein Einzelphänomen mehr, sie ist ein breites gesellschaftliches Problem", sagt Leipzigs linke Bundestagsabgeordnete Dr. Barbara Höll.
Frau Dr. Höll, mal ganz uncharmant und indiskret: Wie sorgen Sie eigentlich finanziell für Ihr Alter vor?
Wie viele Bürgerinnen und Bürger sicherlich wissen, steht Abgeordneten nach dem Grundgesetz eine Altersentschädigung zu. Allerdings stellt diese Regelung seit dem 1.1.2008 keine Vollversorgung mehr da, sondern damit wird lediglich eine Lücke in der Altersversorgung geschlossen, da während der Mandatszeit für Abgeordnete keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt werden.
Diese Sonderbehandlung von Abgeordneten, um es vorneweg zu sagen, wird von der Linken im Rahmen der Rentendiskussion auch massiv kritisiert. Die Linke setzt sich daher für eine solidarische Rentenversicherung ein – unser detailliertes Rentenkonzept haben wir bereits vorgestellt – in der künftig neben den bisher Pflichtversicherten, jede und jeder andere Erwerbstätige, also auch vor allem Politikerinnen und Politiker, Beamten und Beamtinnen sowie Selbstständige einzahlen würden.
Seit 2000 ist die Kaufkraft der Renten in Deutschland um ein Fünftel gesunken, hat eine Anfrage Ihrer Bundestagsfraktion ans Licht gebracht. In Ostdeutschland beträgt der Rückgang gar 22 Prozent. Hatten Sie vorab eine solche Dramatik erwartet?
Die Linke warnt ja seit langem vor der sinkenden Kaufkraft der Renten sowie vor Altersarmut, aber solche Zahlen führen einem das Ausmaß noch einmal drastisch vor Augen. Dass die Lage brenzlig ist, merken sie auch schnell, wenn sie einfach mal mit Rentnerinnen und Rentner auf der Straße sprechen.
Wenn wir uns die Gründe, die Absenkung des Rentenniveaus von 53 Prozent auf 43 Prozent, die massive Ausweitung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung, vor Augen führen, wundern die von der Bundesregierung auf unsere Anfrage mitgeteilten Zahlen überhaupt nicht.
Die Altersarmut ist doch längst kein Einzelphänomen mehr, sie ist ein breites gesellschaftliches Problem. Und ein wesentlicher Grund liegt mitunter in der Absenkung des Sicherungsniveaus der Rente, damals durch die Regierung von SPD und Grünen umgesetzt.
Zu welchen Folgen hat das geführt?
Die Folgen können wir heute sehen: Menschen, die viele Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, befinden sich vermehrt im Bereich des, manche sogar unterhalb des Grundsicherungsniveaus. Seit 2003 ist die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner, die zusätzlich auf Grundsicherung angewiesen sind, um 60 Prozent gestiegen.
Beschäftigte zum Beispiel mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 2700 Euro pro Monat, müssen statt wie zuvor 26 Jahre, nun 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlen, um über dem Grundsicherungsniveau zu liegen. Wer nun aber unterdurchschnittlich verdient – und in Leipzig liegen die durchschnittlichen Bruttoeinkommen sehr niedrig – oder auch mal erwerbslos war, wird mit der späteren Rente kaum das Grundsicherungsniveau erreichen.
Auch bleibt vielen Menschen am Ende des Monats einfach kein Geld mehr übrig, um privat vorsorgen zu können, so sehr sie das vielleicht auch wollen. Die Menschen fragen sich zu recht, wie kann es sein, dass sie ein langes Erwerbsleben aufweisen, am Ende aber auf Sozialhilfeniveau Rente beziehen. Das ist nicht hinnehmbar, wir brauchen ein Rentensystem, dass ein armutsfreies Rentenleben ermöglicht.Wenn immer mehr Beitragszahler nur eine Rente auf dem Grundsicherungsniveau erhalten und erhalten werden: Warum sollen Klein- und Normalverdiener eigentlich noch zwangsweise Rentenbeiträge zahlen?
Dass sich das viele Rentnerinnen und Rentner fragen, kann ich verstehen. Dennoch müssen wir die Frage anders stellen. Wir sollten uns eher fragen, warum viele Menschen nicht in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen, oder warum die Beitragsbemessungsgrenze so niedrig ist, oder warum der Rentenwert Ost immer noch um 11 Prozent niedriger ist als der im Westen.
Die Folge ist, dass nach 45 Jahren durchschnittlichem Verdienst Ostdeutsche rund 142 Euro weniger Rente als Westdeutsche erhalten – und das nach über 20 Jahren Wiedervereinigung. Das ist ein Riesenskandal. Es muss gelten, gleiche Rente für gleiche Lebensleistung!
Das Thema Altersarmut hat nun die Chefetagen der Politik erreicht. Inwieweit überzeugt Sie das, was bislang an Vorschlägen für eine Mindestrente in neuem Gewand auf dem Markt ist?
Wenn wir uns Daten des Statistischen Bundesamtes anschauen, sehen wir, dass die Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter seit 2005 kontinuierlich angestiegen ist, im Jahr 2011 betrug sie 436.210, während es 2005 noch 342.855 waren. Diese Entwicklung ist in allen Bundesländern zu beobachten. Im Jahr 2011 waren in Sachsen 9656 Personen über 65 Jahren auf Grundsicherung angewiesen, 2003 waren es noch 6156 Personen.
Wir sehen, es ist ein längst bekanntes Problem, die herrschende Politik hat es nur zu lange ignoriert. Besonders sind übrigens Frauen betroffen, während im Jahr 2000 rund 18 Prozent der Frauen gesetzliche Alterseinkünfte unterhalb des Brutto-Grundsicherungsbedarf erhielten, waren es im Jahr 2011 bereits 46 Prozent. Und es ist doch kein Zufall, dass so viele Rentnerinnen und Rentner im Alter einem Minijob nachgehen, um ihre mickrige Rente aufzustocken, um über die Runden zu kommen. Viele von ihnen würden sicherlich gern ihren Lebensabend genießen, statt zu arbeiten.
Ob das Thema übrigens die Chefetagen der Politik wirklich erreicht hat, wird sich noch zeigen.
Inwiefern, über das Konzept einer Zuschussrente wird doch heftig gestritten?
Wenigstens weist die Bundesregierung in ihrem bisher nicht veröffentlichten Armuts- und Reichtumsbericht auf das Problem hin, dass insbesondere Niedrigverdiener trotz eines vollen Arbeitslebens in der Höhe oder unter der Grundsicherung landen. Bisher können wir lediglich kleine Streitereien in der Bundesregierung beobachten, vernünftige und tragfähige Vorschläge fehlen indes.
Die von Frau von der Leyen vorgeschlagene Zuschussrente, die in der Regierung heftig kritisiert wird, lehnen wir übrigens entschieden ab, da sie hauptsächlich aus Beiträgen finanziert werden soll. Der Vorschlag, rund 100 Euro auf die Grundsicherung anzurechnen, löst das Problem keineswegs, außerdem belohnt es nur die private Vorsorge.
Das Renten-Konzept der SPD ist nicht geeignet, die Altersarmut zu bekämpfen. Im Gegenteil, die geforderte Absenkung des Rentenniveaus und die Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge würden das Problem verschärfen. Dass sich bei Umsetzung der SPD-Pläne die Flucht der Arbeitgeberseite aus der betrieblichen Altersvorsorge verstärken würde, zeigte bereits eine vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebene Studie. Außerdem verkennt die SPD, dass die Hälfte der Beschäftigten in Ostdeutschland ohne Tarifvertrag arbeitet, im Westen sind das knapp 40 Prozent.
Die Rentenreformen der letzten Jahre und die vergleichsweise gute Beschäftigungssituation haben die Rentenkasse so stabilisiert, dass nun Beitragssenkungen möglich sind. Was halten Sie davon?
Die Absenkung des Beitragssatzes von derzeit 19,6 Prozent auf 19 Prozent oder weniger wie derzeit in der Diskussion, lehnen wir entschieden ab. Nicht weil wir gegen Entlastungen sind. Sondern weil mit der Absenkung die Probleme verschärft werden, denn dann hätte man noch weniger Mittel zur Verfügung, um ein strukturell armutsfestes und Lebensstandard sicherndes Rentenniveau zu finanzieren und somit die Altersarmut zu bekämpfen. Wir sind der Meinung: Die Bereitstellung einer armutssichernden Altersversorgung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, daher sollte sie durch Steuermittel finanziert werden.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen dringend eine Rente mit Mindestsicherungsstandard, eine Rente frei von Altersarmut. Kein Mensch soll im Alter ein Nettoeinkommen unterhalb der Armutsgrenze erhalten. Wir schlagen eine solidarische Rentenversicherung vor, das heißt der Kreis der in der gesetzlichen Rente Versicherten sollte auf alle Erwerbstätigen ausgeweitet werden.
Künftig sollten daher neben allen Pflichtversicherten auch jede und jeder andere Erwerbstätige, also insbesondere Politikerinnen und Politiker, Beamtinnen und Beamten sowie Selbstständige in der solidarischen Rentenversicherung pflichtversichert werden. Die Beitragsbemessungsgrenze gehört erhöht und langfristig abgeschafft sowie der Anstieg der Rentenauszahlung ab einer bestimmten Höhe abgeflacht.
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Selbstverständlich sieht unser Rentenkonzept auch Freibeträge für Vermögen vor. Wir sehen ein deutlich höheres Schonvermögen im Vergleich zum heutigen SGB XII von aktuell 2600 Euro vor. Wir halten eine Vermögensfreigrenze von 20.000 Euro pro Person für sinnvoll. Die Rücknahme der Rente mit 67 sowie die Angleichung der Renten Ost an West sind für uns selbstverständlich. Auch die Anhebung des Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent.
Zum Schluss das rentenpolitische Murmeltier: Wann kommt bei den Renten die Ost-West-Angleichung?
Das müssen Sie die Bundesregierung fragen. Aber wenn es nach uns ginge: sofort. Das heißt, realistisch betrachtet müsste dies natürlich schrittweise erfolgen. Wir weisen die Bundesregierung seit Jahren darauf hin, haben etliche Anträge, in denen wir die Angleichung der Rente von Ost an West forderten, in den Bundestag eingebracht. Diese wurden jedoch immer wieder abgelehnt.
Das Wahlversprechen der Bundeskanzlerin von 2009, für eine Angleichung von Ost an West zu sorgen, ist damit nur ein leeres Versprechen, obwohl sie in der Regierung durchaus die Möglichkeit haben, diese Ungerechtigkeit abzustellen. Auch interessant ist, dass die Union bis Mitte September 2012 ein eigenes, konsensfähiges Konzept vorlegen wollte. Das hat sie dann wohl vergessen, wie viele andere ihrer Wahlversprechen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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