Es ist nur ein Bericht. Der Stadtrat hat 2007 beschlossen, dass die Stadtverwaltung jedes Jahr über die Entwicklung der "Kosten der Unterkunft" (KdU) berichten soll. Aber der Bericht birgt Zündstoff in diesem Jahr. Am 28. August hat die Dienstberatung das 16-seitige Zahlenwerk erstmals besprochen. Am 17. Oktober soll es zur Information in den Stadtrat. Die Botschaft, die recht deutlich drin steht: Leipzig fliegen die Kosten um die Ohren.
Der “Bericht zur jährlichen Überprüfung der Höhe der Kosten der Unterkunft” beleuchtet auch die seltsame Aktion des Jobcenters im Frühjahr, die den Bedürften, den sogenannten “Bedarfsgemeinschaften” reihenweise Aufforderungen zusandte, sich angemessenen Wohnraum zu suchen. Wohnraum, der den sogenannten Eckwerten der Stadt Leipzig entspricht: maximal 4,22 Euro pro Quadratmeter Miete, maximal 2,35 Euro Nebenkosten. Maximale Quadratmeterzahl.
Der Bericht erfasst nun alle Daten der Bedürftigen, wie sie tatsächlich beim Jobcenter landen: Echte Menschen in realen Leipziger Wohnungen. Man hat in der Stadtverwaltung tatsächlich registriert, dass sich die Stadt so langsam füllt und dass Wohnraum mit den von der Stadt beschlossenen Eckdaten immer seltener wird.
Was freilich gern ausgeblendet wird: Menschen landen weder freiwillig in der Arbeitslosigkeit noch in “Hartz IV”. Sie richten ihr Leben nicht darauf ein, dass sie eines Tages im Jobcenter Leipzig um Gnadenbrot betteln müssen. Die vom Jobcenter betreuten 41.299 Bedarfsgemeinschaften sind deshalb ein Gemisch. Hier sitzten die rund 10.000 Dauer-Arbeitslosen genauso versammelt wie diejenigen, die nach diversen Lebenskatastrophen (wie Entlassung, Scheidungen, Sterbefälle …) hier landen und noch mit ihrer alten, einem ganz anderen Leben angemessenen Wohnung “angelatscht” kommen.
Deswegen ist auch das “Gemisch” der Wohnungen bunt. Während mehrköpfige Familien in der Regel noch Wohnungen mit den vom Amt vorgegebenen Maximalgrößen bei Quadratmetern und Mietkosten haben und finden, ist der Markt bei Ein- und Zwei-Raum-Wohnungen in Leipzig längst eng geworden. Das gesteht auch der Bericht zu.
Was dann auch heißt, dass vor allem Bedarfsgemeinschaften mit ein und zwei Mitgliedern in Wohnungen leben, die den auf Kante gerechneten Eckwerten in Leipzig nicht genügen. Bei Ein-Personen-Haushalten sind es immerhin 71,4 Prozent, die entweder in zu großen Wohnungen leben (als angemessen betrachtet das Amt 45 Quadratmeter, ab 50 Quadratmeter gilt die Wohnung als nicht mehr angemessen), oder – mit 73,8 Prozent – in zu teuren Wohnungen mit Quadratmeterpreisen über 3,85 Euro.
Da sind die Nebenkosten noch nicht eingerechnet. Die sind in Leipzig bei 1,20 Euro festgelegt. Aber dieser Wert wird mittlerweile in den meisten Mietverträgen erreicht. Und in der Realität immer öfter überschritten.
Denn auch dieser Bericht stellt fest, dass alle Energiekostensteigerungen und die diversen Umlagebeschlüsse der Bundesregierung ungefedert bei den Bedarfshaushalten ausschlagen. Der Mehrbedarf bei den Heizkosten schlägt dann im Folgejahr beim Jobcenter auf.
Und noch ein Posten wurde teurer für Leipzig, ohne dass sich jemand bemüßigt fühlte, das als Mehrbedarf zu kalkulieren: “Der Anstieg der tatsächlichen Zahlungshöhe ist das Resultat einer gesetzlichen Änderung aus dem Jahr 2011, nach der auch die Warmwasserkosten im Rahmen der KdU zu übernehmen sind. Nach alter Gesetzeslage mussten diese Kosten überwiegend aus der Regelleistung der Bundesagentur bestritten werden.”
Und ein Satz fällt auf, wenn man an die wiederholte Kritik der Wohnungsgenossenschaften an den Leipziger Eckwerten denkt: “Der Preisanstieg zwischen 2008 und 2012 führt zu einer Kostensteigerung von rund 15 % allein in der Vorauszahlungshöhe.” Die Nachzahlung bei den Betriebskosten ist da noch nicht berücksichtigt.
Kosten verschwinden in dieser Kette nicht einfach. Irgendjemand muss sie bezahlen. Wenn sie beim letzten, dem schwächsten Glied in der Kette landen, wird sich die Schuldensituation in Leipzig weiter verschärfen. Bei Leuten, die keinen Spielraum mehr haben, die Schulden zu begleichen.
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Auch nicht durch die von der Stadtspitze so oft gern angepriesenen neuen Arbeitsplätze. Die meisten verdienen nicht mal diesen Namen.
Auch das findet man im Bericht. Immer mehr Leipziger sind – obwohl sie einen “Job” haben – auf zusätzliche Leistungen des Jobcenters angewiesen. Das sind die sogenannten “Aufstocker”.
Ihre Zahl stieg von 14.176 im Jahr 2008 auf 15.184 im Jahr 2010. 2012 gab es sogar einen heftigen Sprung auf nunmehr 22.691. Die Repressionspolitik im Leipziger Jobcenter hat genau diese Folgen.
Würde vielleicht eine Weile funktionieren, wenn es in Leipzig irgendwo einen Pool preiswerter und energiesparender Sozialwohnungen gäbe, auf die die so Betroffenen einen Anspruch hätten. Aber diesen Pool gibt es nicht.
Per 30. Juni hat sich das Sozialamt tatsächlich die Mühe gemacht, alle in Leipzig verfügbaren Wohnungen zu recherchieren, die den aktuellen Eckwerten der Stadt entsprechend. Das Ergebnis ist erhellend: “Zum Stichtag 30.06.2012 waren 1.193 Wohneinheiten (WE) sofort verfügbar. Hiervon entsprachen 758 Wohnungen den städtischen Vorgaben der Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft und Heizung im SGB II und XII auf der Basis von 100 %-Kosten und damit dem strengsten Maßstab. Bis zur Angemessenheitsgrenze von 110 % waren weitere 435 WE aller untersuchten Wohnungen kostenangemessen.”
1.193 Wohneinheiten? Für etwa 16.000 Bedarfsgemeinschaften, die die vorgegebenen Eckwerte der Stadt überschreiten? – Die Chancen der Stadt, auf diese Weise die “Kosten der Unterkunft” zu drosseln, sind denkbar gering. Man verursacht im Grunde nur immer neue Kosten – etwa für die ganzen anstehenden Umzüge und Neueinrichtungen und Klagen vor Gericht. Aber man löst das Problem nicht. Man löst es auch nicht durch die 22.000 Billigjobs, die zwar den Bund von seinen Kosten entlasten – die Stadt bleibt aber trotzdem auf den Unterkunftskosten sitzen.
Der Bericht zeigt deutlich, dass das Thema “sozialer Wohnungsbau” in Leipzig mit ganz neuer Wucht und Aktualität ins Zentrum der Politik rückt.
Wer nachlesen will, findet den Bericht hier:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/8CE38D5491C03DEDC1257A670036046F/$FILE/V-ds-2474-text.pdf
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