Ende Juni ging die Meldung durch den Blätterwald, dass die Griechen eine Sechs-Tage-Woche einführen wollen, weil die Arbeitskräfte fehlen. Und populistische Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder waren sofort dabei und forderten auch für Deutschland die Einführung der Sechs-Tage-Woche, also eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Alexander Kritikos, wissenschaftliches Mitglied im Vorstand des DIW Berlin, hat ihm am 2. Juli in einem „Focus“-Beitrag wissenschaftlich die Leviten gelesen.

„Seit Tagen wird aufgeregt diskutiert, dass griechische Beschäftigte, die im Durchschnitt ohnehin rund fünf Stunden mehr in der Woche arbeiten als Beschäftigte hierzulande, eine Sechs-Tage-Woche einlegen können. Dafür sollen sie am Samstag einen Zuschlag von 40 Prozent und an Sonn- und Feiertagen einen Zuschlag von 115 Prozent erhalten.

Bemerkenswert an all dem Getöse um die neue Regelung ist, dass einige derer, die sich noch vor ein paar Jahren für ein hartes Vorgehen gegenüber Griechenland aussprachen und Bilder wie die Hängematte kreierten, in der die angeblich ‚faulen Griechen‘ lägen, diese plötzlich zum Vorbild für Mehrarbeit nehmen“, schreibt er da.

Und erinnert daran, dass unter anderem Deutschland einen gewichtigen Anteil an der Fachkräftemisere in Griechenland hat: „Auch Griechenland beginnt trotz einer Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent zunehmend unter einem Fachkräftemangel zu leiden. Das liegt jenseits der (ähnlich wie in Deutschland) ungünstigen demografischen Entwicklung vor allem daran, dass viele qualifizierte Fachkräfte während der Krise das Land verlassen haben – zu einem erheblichen Teil übrigens nach Deutschland. Ziel des Gesetzes ist es: die verbliebenen Fachkräfte im Land zu halten und zu Mehrarbeit zu motivieren.“

Es gehe auch eher nicht um Mehrarbeit, sondern „um den Versuch, schwarz ausgeübte Mehrarbeit in legale Mehrarbeit umzuwandeln.“

Nicht mal das Kita-Problem im Griff

Die Einführung einer Sechs-Tage-Woche würde in Deutschland schon allein am Fehlen von Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten scheitern, stellt Kritikos trocken fest: „Das größte ungenutzte Arbeitspotenzial in Deutschland gibt es unter den vielen teilzeitbeschäftigten Frauen, die mehr arbeiten wollen, dies aber nicht können – zumeist, weil sie keine ausreichende Kinderbetreuung haben.

Dieses Problem kann nur durch eine Erhöhung der Zahl der Betreuungsplätze gelöst werden und nicht durch die Einführung einer Sechs-Tage-Arbeitswoche. In Deutschland gibt es nämlich bis heute kein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen – trotz Rechtsanspruch. Nach neuesten Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung fehlen bundesweit 430.000 Plätze. Hier schlummert somit ein Potenzial, mit dem der Fachkräftebedarf in Deutschland zumindest zum Teil gelöst werden könnte.“

Aber eben auch nur zum Teil, wie Kritikos ebenso trocken feststellt: „Doch selbst wenn der Bedarf an Kita-Plätzen voll gedeckt würde und alle teilzeitarbeitenden Frauen ihre Arbeitszeit erhöhten, wäre das Problem des Arbeitskräftemangels in Deutschland nicht gelöst. Der Kern des Problems liegt in der Demografie Deutschlands. Schon seit mehreren Jahren besteht eine Lücke von etwa jährlich 300.000 bis 400.000 Arbeitskräften – weil mehr Menschen in Rente gehen oder aus Deutschland auswandern, als junge Menschen und aus dem Ausland kommende Menschen in Deutschland in den Arbeitsmarkt eintreten.“

Geburtenzahlen im Sturzflug

Und Deutschland wird – genauso wie Sachsen – in den nächsten Jahren weitere hunderttausende Arbeitskräfte verlieren, weil die Babyboomer in Rente gehen, während der junge Nachwuchs nur noch mit halbierten Jahrgängen in den Arbeitsmarkt eintritt. Grund dafür: Die seit den 1990er Jahren eingebrochenen Geburtenzahlen, Ergebnis einer Politik, die mit Familienfreundlichkeit nicht viel zu tun hat.

„Dieses Problem wird sich langfristig nur durch systematische Zuwanderung von Fachkräften und ein viel offener ausgerichtetes Zuwanderungsgesetz lösen“, schreibt Kritikos. Und benennt damit das nächste Fehler-Thema der aktuellen Politik, die lieber von Abschottung und Abschiebung schwadroniert und damit den rechtspopulistischen Phrasen offiziell Geltung verschafft.

Und das Nachwuchsproblem wird sich noch weiter verschärfen, weil die Corona-Pandemie im Zusammenspiel mit der zunehmenden Klima-Angst dazu führt, dass noch mehr junge Frauen auf das Kinderkriegen verzichten.

Das dürfte man das komplette Scheitern neoliberalen Politikmachens nennen, das völlig aus dem Fokus verloren hat, dass man ohne Nachwuchs nicht mal eine kaputtgesparte Bananenrepublik, zu der Deutschland inzwischen geworden ist, in Betrieb halten kann.

Doch statt die neoliberalen Schwätzer endlich in die Wüste zu jagen, wählt eine Mehrheit mit wahrer Lust am Untergang populistisch und neoliberal. Vielleicht auch das schon die Folge von nicht mehr existierenden Kindern. Denn wie soll man Zukunft denken, wenn es im Dorf keine Kinder mehr gibt?

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“Doch statt die neoliberalen Schwätzer endlich in die Wüste zu jagen, wählt eine Mehrheit mit wahrer Lust am Untergang populistisch und neoliberal.” hat mich sehr amüsiert. Aufrüstung und Soziales schließen sich aus. Wie weit der Hass gegen Arme und der Disziplinierungswille durch das politische Spektrum reicht, zeigen die “Bürgergelddiskussion” und die Zumutbarkeitsbeschlüsse vom Wochenende. Da bleibt wohl nur noch die MLPD als mit Sicherheit nicht neoliberale Partei übrig. Freundschaft!

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