Nehmt den jungen Menschen die wirtschaftliche Sicherheit bei der Familiengründung, und ihr bekommt ein massives demografisches Problem. So kann man die jüngste Karte im Nationalatlas, die das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) veröffentlicht hat, auch interpretieren. Und längst rächen sich nicht nur die falschen wirtschaftlichen Entscheidungen der 1990er Jahre, auch wenn der Osten beim jungen Berufsnachwuchs besonders bedeppert in die Röhre guckt.
Denn hier sind die Geburtenraten ab 1991 so massiv eingebrochen, wie es der Westen nie erlebt hat. Gleichzeitig sind Millionen junger Menschen in den Westen abgewandert, um dort eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Ergebnis: halbierte Schulabgängerzahlen 18 Jahre später.
Aber dabei wird es nicht bleiben. Denn das fehlende Verständnis deutscher Wirtschaftspolitiker und Verbandspräsidenten für eine familientaugliche Beschäftigungspolitik pflanzt sich bis heute fort. Die zumeist älteren und meist von neoliberaler Effizienzrhetorik begeisterten Herren haben das Mantra vom flexiblen, mobilen und immer einsatzbereiten Dienstboten verinnerlicht und eben auch in anderen Politikfeldern wie der Wohnungs-, der Gesundheits-, der Hochschul- und Bildungspolitik verankert.
Dass gleichzeitig eine fossile Energiepolitik weitergetrieben wird, welche die Zukunftsaussichten der jüngeren Generation gerade in Asche verwandelt, kommt noch obendrauf.
Die Zahlen aus der neuen Karte des Nationalatlas zeigen nun deutlich, wie dieser Art Wirtschafts- und Personalpolitik jetzt die Luft ausgeht. Nicht nur im Osten. Aber dort eben zuallererst.
Immer weniger junge Berufsanfänger
Der Bevölkerungsanteil der 18- bis 24-Jährigen beträgt in Deutschland derzeit 7,3 Prozent. Deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen die Werte in den meisten ländlichen Regionen, insbesondere der neuen Länder, stellt das IfL fest und so zeigt es auch die neue Deutschlandkarte des Leibniz-Instituts für Länderkunde.
Und dort weiß man sehr genau, wo die sensibelste Stelle in Bezug auf Lebens- und Familienplanung steckt: „Im Alter zwischen 18 und 24 beginnt für viele junge Menschen mit dem Auszug aus dem Elternhaus das eigenständige Leben. Viele von ihnen wechseln an einen anderen Ort, um eine Ausbildung, ein Studium oder eine Berufstätigkeit aufzunehmen.”
Und eine Familie zu gründen. Das muss hier dringend ergänzt werden.
Die daraus resultierenden räumlichen Unterschiede der Altersstruktur veranschaulicht die Deutschlandkarte, die das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in seinem digitalen „Nationalatlas aktuell“ veröffentlicht hat.
Überalterung und Unterjüngung: Was die Karte zeigt
Um diese Unterschiede besser abbilden zu können, hat der IfL-Bevölkerungsgeograf Tim Leibert die Anteile der 18- bis 24-Jährigen in den 400 Landkreisen und kreisfreien Städten mit dem Bundesdurchschnitt in Beziehung gesetzt.
Die auf dem sogenannten Lokationsquotienten basierende IfL-Karte weist ein deutliches Gefälle zwischen Stadt und Land sowie zwischen Ost- und Westdeutschland auf. Überdurchschnittliche Anteile junger Erwachsener verzeichnen die meisten kreisfreien Städte und kreisangehörige Universitätsstädte wie Gießen, Konstanz, Marburg oder Tübingen. In den 15 größten Städten liegt der Lokationsquotient dagegen nur leicht über dem Mittelwert, teilweise sogar etwas darunter. Grund könnten die für viele Studierende und Berufseinsteiger zu hohen Wohnungs- und Lebenshaltungskosten in den Metropolen sein.
Die Karte verdeutlicht die schwierige demografische Lage in den meisten ländlichen Räumen und insbesondere in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands.
„Überspitzt gesagt könnte man diagnostizieren, dass diese Kreise nicht nur überaltert, sondern auch unterjüngt sind“, erklärt Tim Leibert. Der Demografie-Experte sieht darin ein Warnzeichen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Einer großen Zahl von Beschäftigten, die in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen, stünde eine geringe und rückläufige Zahl von Nachwuchskräften gegenüber.
Kurz- bis mittelfristig sei deshalb damit zu rechnen, dass frei werdende Stellen nur schwer nachbesetzt werden können. Hierdurch könne die wirtschaftliche Existenz einzelner Unternehmen bedroht sein, so Leibert.
Publikation: Leibert, Tim (2023): Wo leben die jungen Erwachsenen? In: Nationalatlas aktuell 17 (01.2023) 1 [11.01.2023]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
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