Seit einigen Jahren gibt es ja in Leipzig sogenannte Themenjahre, in denen thematisch ein besonderer Teil der Leipziger Geschichte im Zentrum steht. Manchmal rauschen sie ohne große Medienresonanz vorbei, manchmal sind die Themen wirklich spannend. Aber von einer gewissen Ratlosigkeit erzählt nun in der „Bürgerumfrage 2021“, dass Leipzigs Verwaltung gern wissen möchte, welche Themen aus Sicht der Befragten stärker beleuchtet werden sollten.
„Im Austausch mit Bürger/-innen und zivilgesellschaftlichen Akteur/-innen entwickelt das Kulturamt der Stadt Leipzig ein Konzept für eine lebendige Erinnerungskultur. 2021 fanden dazu beispielsweise öffentliche Stadtgespräche und Rundgänge zu verschiedenen Themen der Geschichte statt“, heißt es im Bericht zur Bürgerumfrage.
„In der Kommunalen Bürgerumfrage 2021 wurden die Leipziger/-innen gefragt, welche Themen sie am stärksten mit der Stadtgeschichte verbinden und wozu sie sich mehr Erinnerung wünschen. Die Befragung hielt außerdem fest, wie stark sich die Leipziger/-innen grundsätzlich für die Geschichte ihrer Stadt interessieren.“
Herausgekommen ist dann diese seltsame Hitliste, die nicht unbedingt deshalb so komisch aussieht, weil die Befragten sich diesen wunderbunten Kuchen ausgedacht haben. Denn die Vorschläge standen alle so im Fragebogen, mussten also nur noch angekreuzt werden. Und nur wer wirklich geschichtsinteressiert ist, hat dann auch das Feld „Sonstiges Thema“ ausgefüllt. Was dann wohl nur die wenigsten getan haben.
Das Ergebnis ist das Altbekannte, das, worüber sowieso ständig geschrieben wird, was Themenwochen füllt, Leipzig-Bücher und Museumsausstellungen. Der ganze langweilige Brei, der aktuell keine neuen Erkenntnisse verspricht und nur aus Sicht der Autoren des Berichts ein Interesse der Befragten für die aufgelisteten Themen belegt.
„Die Leipziger Erinnerungskultur steht auf dem Fundament einer geschichtsinteressierten Bürgerschaft: Die Mehrheit der Leipziger/-innen hat mindestens ein mittleres Interesse an der Geschichte ihrer Stadt“, heißt es im Bericht.
„Das allgemeine Geschichtsinteresse ist unter Männern etwas stärker ausgeprägt als unter Frauen. Die jüngeren Altersgruppen unter 34 Jahren sind etwas unterdurchschnittlich interessiert, das Interesse der Befragten zwischen 55 und 90 Jahren liegt hingegen über dem Durchschnitt. Die Gruppe mit akademischem Abschluss ist etwas stärker interessiert.“
Bitte mehr desselben?
Dass die Befragten dann freilich hauptsächlich das angekreuzt haben, was sowieso immer wieder Thema der Berichterstattung und städtischer Festlichkeiten ist, zeugt aus Sicht der Autoren des Berichts irgendwie von etwas anderem:
„Am deutlichsten ist Leipzig als Ausgangsort der Friedlichen Revolution im Gedächtnis der Stadtbevölkerung verankert: 52 Prozent der Leipziger/-innen verbinden den Herbst 1989 am stärksten mit der Stadtgeschichte. Fast ein Viertel (23 Prozent) findet auch, dass an die friedliche Revolution noch mehr erinnert werden sollte. Dass ein so großes Bedürfnis besteht, den Herbst 1989 gegenwärtig zu halten, obwohl er bereits am stärksten mit der Stadtgeschichte verbunden wird, deutet darauf hin, dass sich viele Leipziger/-innen mit ihrer Stadt als Ausgangspunkt der Friedlichen Revolution identifizieren.
Auch die Völkerschlacht assoziiert die Hälfte der Bürger/-innen besonders stark mit der Geschichte Leipzigs (51 Prozent). Die große Präsenz der Völkerschlacht bzw. des Völkerschlachtdenkmals in der Leipziger Erinnerungskultur zeigte sich bereits in vergangenen Kommunalen Bürgerumfragen: So war 2018 das Völkerschlachtdenkmal mit dazugehörigem Museum Forum 1813 das meistbesuchte Museum (49 Prozent der Befragten haben es binnen eines Jahres einmal oder mehrfach besucht, Kommunale Bürgerumfrage 2018).“
Doch die Auswertung zeigt eigentlich, dass die Mehrheit deswegen hier ihre Kreuzchen machte, weil das die Leipziger Mainstream-Themen sind.
Während die wirklich aktuell auch brennenden Geschichtsthemen fast nur von einer akademischen Minderheit wahrgenommen werden.
„Die am stärksten verbundenen Themen und der Erinnerungswunsch unterscheiden sich nach beruflichem Abschluss“, kann man im Bericht lesen.
„Befragte mit Hochschulabschluss verbinden überdurchschnittlich stark das Thema Buch- und Verlagswesen mit der Stadtgeschichte, besonders viele Studierende den Nationalsozialismus. Für die Buch- und Verlagsgeschichte oder Leipzigs Kolonialgeschichte zeigt sich auch, dass alle Akademiker/-innen im Gruppenvergleich mehr Erinnerung wichtig finden. In Bezug auf die Kolonialgeschichte, die Geschichte des Jüdischen Lebens und des Nationalsozialismus äußern insbesondere sehr deutlich die Studierenden einen Wunsch nach mehr Erinnerung. Die Sportgeschichte steht als Thema der Leipziger Geschichte für Befragte mit Berufsausbildungsabschluss eher im Vordergrund.“
Da darf man stutzen. Denn da wird Geschichte erst interessant, wenn es nämlich um die diffizilen Themen geht und die Komplikationen in der Stadtgeschichte.
Die Neugier der Jungen
Da ist es dann nicht mal mehr der akademische Abschluss, der das Interesse bestimmt, sondern das Alter. Denn wenn es um Kolonialismus geht, um Jüdisches Leben, Frauenbewegung und Nationalsozialismus, ist das Interesse gerade bei Studierenden deutlich höher. „In Bezug auf die Kolonialgeschichte, die Geschichte des Jüdischen Lebens und des Nationalsozialismus äußern insbesondere sehr deutlich die Studierenden einen Wunsch nach mehr Erinnerung.“
Und da ist man dann bei der Frage: Was soll die Stadt dann in ihre Themenjahre packen? Was ist wirklich wichtig und brennend?
Die Antwort lautet dann: eigentlich etwas anders.
Das wurde nämlich vor 2015 deutlich, als Leipzig beschloss, sich eine vierbändige Stadtgeschichte zu gönnen nach dem Vorbild anderer Städte, die sich so etwas zu ihren runden Jubiläen gegönnt haben. Nur stellten die gerade um den Leipziger Geschichtsverein Engagierten dann sehr schnell fest, dass viele wirklich wichtige Themen der Stadtgeschichte überhaupt noch nicht bearbeitet waren.
Auch in der Wahrnehmung der Stadtgeschichte keine Rolle spielten. Die Löcher in der eigenen Geschichte sieht man nämlich erst, wenn man hinter die immer wieder neu aufgewärmten Geschichten schaut.
Spannend wurden die vier Bände nämlich erst durch all das, was viele fleißige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann neu zusammentrugen. Und zwar auch und gerade zu all den Geschichtsepochen, die in der Befragung überhaupt nicht vorkommen – vom Hochmittelalter über die Zeit der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg, zur Aufklärung und der Leipziger Industriegeschichte.
Wer bestimmt die Themen der Erinnerung?
Alles nur Spezialthemen? Nicht wirklich. Aber Menschen verbinden mit Erinnerung auch immer den Wunsch zu begreifen, warum ihr eigenes Leben so verlief, wie es verlief. Was dann einen Aspekt der Befragung sehr gut erklärbar macht:
„Die DDR-Geschichte steht für Leipziger/-innen zwischen 18 und 49 Jahren stärker als für ältere Bürger/-innen im Vordergrund der Stadtgeschichte, insbesondere für die Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren. Damit assoziieren sowohl die Friedliche Revolution als auch die DDR-Zeit vor allem Personen stark mit der Stadtgeschichte, die aufgrund ihres Alters entweder keine persönlichen oder (meist nur) Kindheits- oder Jugenderinnerungen an die Zeit haben und dadurch mehr auf vermittelte Erinnerungen oder historische Zugänge angewiesen sind, um sich den Themen zu nähern.“
Da wird nämlich auch sichtbar, wie sehr das eigene Leben auf einmal eine geschichtliche Dimension bekommt und man sich in einer Welt verortet, von der man weiß, dass es nicht mehr dieselbe Welt der Eltern und Großeltern ist. Das ist dann ein sehr direktes und persönliches Interesse, möglichst viel über die eigene Vor-Zeit zu erfahren.
Ob das dann, wie die Befragung suggeriert, „stärker erinnert werden“ sollte, ist zumindest zu hinterfragen. Denn Erinnerung ist etwas anderes als historische Aufarbeitung und Forschung. Denn wie unterstützt man denn eigentlich die Forschung, wenn es mal gerade keinen Geldregen für eine neue Jubiläumsausgabe gibt? Eine Frage, die sich viele Forschende zur Leipziger Regionalgeschichte immer wieder stellen.
Was man nicht kennt …
Besonders auffällig wird die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wahrnehmung, wenn die Autoren des Berichts feststellen, dass „DDR-Geschichte“ und „Friedliche Revolution“ schon längst deutlicher als Teil der Leipziger Geschichte wahrgenommen werden, als hier ein Wunsch nach stärkerer Erinnerung ausgesprochen wird. Haben die Fragebogenausfüller hier also nur aus Verlegenheit angekreuzt, weil sie etwas anderes gar nicht kennen?
Vielleicht sollte man das mitbedenken, wenn dann bei anderen Themen sichtbar wird, dass viele Befragte gar nicht wissen, dass es schon wahrnehmbare Forschungen zu Frauenbewegung oder Jüdischem Leben gibt:
„Für einige Aspekte der Stadtgeschichte ist der Anteil derjenigen, die an das Thema gern stärker erinnern würden, insgesamt deutlich größer als der Anteil, der es bereits am stärksten mit der Geschichte Leipzigs verbindet. Besonders deutlich wird das in Bezug auf die Geschichte der Frauenbewegung: 4 Prozent verbinden die Stadtgeschichte am stärksten mit der Geburtsstunde der Frauenbewegung durch die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1865 in Leipzig, der den Weg für Frauenbildung und -wahlrecht bereitete.
Hingegen finden 17 Prozent der Befragten, an das Thema sollte in Leipzig stärker erinnert werden. Auch das Jüdische Leben verbinden nur 8 Prozent besonders stark mit der Stadtgeschichte, wohingegen 19 Prozent finden, dass an sie mehr erinnert werden sollte. Zehn Prozent wünschen sich mehr Erinnern an die Leipziger Kolonialgeschichte, während nur 3 Prozent sie besonders stark mit der Stadtgeschichte assoziieren.“
Belastbar ist dieser Fragenkomplex leider nicht. Schon der seltsamen Auswahl wegen, die ohne jegliche Begründung das Kapitel „Leipzig im Kaiserreich 1871–1918“ anbietet, aber die Zeit der Weimarer Republik genauso weglässt wie den Vormärz. War da nichts los in Leipzig? War die Stadt da im Urlaub?
Natürlich nicht.
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