Die Karte zum Wanderungssaldo der Stadt Leipzig mit dem Umland haben Leipzigs Statistiker ganz kommentarlos auf Seite 2 des neuen Quartalsberichts platziert. Sie wirkt da wie ein Relikt, als hätte sich ein tapferer Statistiker vorgenommen, dazu eine sechs Seiten lange Analyse zu schreiben – hat dann aber aus Verzweiflung aufgegeben, weil die Arbeit mit den ganzen Wahlen die Zeit und die Kräfte verschlingt. Aber die Karte spricht für sich.
Denn sie zeigt genau den Effekt in Reinstform, der entsteht, wenn eine Großstadt „überläuft“. Noch bis 2017 war es so, dass nur einige wenige Städte jenseits der Leipziger Stadtgrenzen von der Nähe zu Leipzig profitierten und vor allem gut verdienende Familien anlockten, die hier etwas mehr Ruhe, mehr Grün und meist auch ein bezahlbares Eigenheim fanden. Markkleeberg ist der klassische Fall, Markranstädt konnte seit einigen Jahren ebenfalls von diesem Trend profitieren.
Aber neu ist an der 2018er-Karte, dass diesmal fast alle Gemeinden im Umkreis von 20 Kilometern um Leipzig gegenüber der Großstadt Wanderungsgewinne verzeichnen konnten. Zu den Städten mit starken Zugewinnen gesellten sich – neben Markkleeberg und Markranstädt – inzwischen auch die mit S-Bahn gut erreichbaren Städte Taucha und Delitzsch.
Aber es sind nicht nur mit S-Bahn angebundene Kommunen, die für Leipziger Abwanderer interessant sind. Denn preiswerterer Wohnraum wird in beiden angrenzenden Landkreisen genug angeboten. So werden nun auch Städte wie Grimma, Zwenkau, Groitzsch und Frohburg Teilhaber des Leipziger Bevölkerungswachstums. Dasselbe gilt für Eilenburg und Borna. Die Karte zeigt aber auch, dass Wohnlagen immer uninteressanter werden, je größer die Entfernung zu Leipzig und damit die nötigen Pendlerwege werden.
Bad Düben, Torgau und Oschatz verlieren nach wie vor mehr Bürger an die nahe Großstadt, als sie Leipziger zum Umzug zu sich bewegen können. Im Fall von Torgau trotz S-Bahn-Verbindung, wobei uns Fachleute immer wieder bestätigen: Das ist eigentlich keine S-Bahn, wenn die Bahnen nur alle 30 Minuten fahren. Eine S-Bahn funktioniert eigentlich erst bei einem Takt von 10 Minuten.
Und auch Wurzen und Schkeuditz verlieren Einwohner an Leipzig, beide eigentlich nah genug an Leipzig gelegen, dass der „Überlaufeffekt“ hier eigentlich auch spürbar werden müsste.
Aber möglicherweise haben beide Städte kein wirklich familienfreundliches Image, Schkeuditz durch seine Lage direkt am Flughafen Leipzig/Halle, der auch in Teilen des Schkeuditzer Stadtgebietes zu extremem Nachtfluglärm führt, Wurzen durch seine vielen fremdenfeindlichen Vorfälle und die starke Präsenz von Rechtsradikalen, die zur Wurzener Stadtratswahl im Mai unter dem Label Neues Forum Wurzen (NFW) antraten und 11 Prozent der Stimmen holten. Das ist nicht unbedingt ein Klima, das junge Familien anlockt.
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