Guangxin Xie ist Studentin der Survey-Statistik an der Universität Bamberg. Und sie fand es ganz toll, mal ein Praktikum im Amt für Statistik und Wahlen in Leipzig zu machen. Ergebnis des Praktikums ist ein Beitrag im neuen Quartalsbericht der Stadt Leipzig, in dem sie sich mit einer Frage beschäftigt hat, die auch Leipzigs Statistiker immer wieder umtreibt: Wohin ziehen eigentlich Menschen aus dem Ausland, die in Leipzig heimisch werden wollen?
Eine nicht ganz unwichtige Frage – auch vor dem Hintergrund einiger üblichen Medienberichterstattungen, in denen Ausländer stets nur als Gefahr beschrieben werden. Womit Ängste geschürt werden und die Vorstellung, Zuwanderung sei per se etwas Gefährliches.
Damit macht ja eine Partei massiv Politik (und eine andere trottet brav hinterher) und erzeugt das Gefühl, dass es doch viel schöner wäre, wenn lauter dicke alte Männer mit blasser Hautfarbe unter sich blieben. Quasi als geborene Horde von Wald- und Höhlenbewohnern, die nie auf die Idee kämen, die Welt mit offenen Augen zu erkunden.
Guangxin Xie hat sich die Jahre 2007 bis 2017 vorgenommen, Leipzigs stärkste Wachstumsjahre. In dieser Zeit hat Leipzigs Bevölkerung um 92.500 Menschen zugenommen. Und wer aufmerksam hingeschaut hat, hat auch gesehen, dass dieses Wachstum stark von Menschen aus aller Welt getragen wurde, die Leipzig auf der Weltkarte durchaus als eine Stadt wahrnehmen, in der man leben kann.
Was nicht alle Städte von sich sagen können. Das ist ein positives Kriterium, denn es bringt auch viele Hochqualifizierte in die Stadt, die hier Unternehmen gründen, lehren, forschen, Kunst machen usw.
Gungxin Xie: „Dieses starke Wachstum ist zu ca. 50 % mit Wanderungsgewinnen von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zu erklären. Zwischen 2007 und 2017 sind 103.720 ausländische Staatsangehörige nach Leipzig gekommen, 57.219 zogen fort. Damit verbleibt ein positiver Wanderungssaldo von 46.501.“
Also ziemlich genau die Hälfte des Leipziger Bevölkerungszuwachses seit 2007 resultiert aus Zuwanderung aus dem Ausland. Und nur ein Teil der Zugezogenen stammt aus jenen Ländern, die Guangxin Xie unter „Fluchtregionen“ zusammenfasst, also Syrien, Afghanistan, Irak, Libyen, Libanon, Iran, Tunesien, Pakistan und Marokko. Eine ziemlich bunte Ländermischung, die aber auch zeigt, wie groß die Region ist, in der Konflikte nun seit Jahren schwelen und auch von der Weltgemeinschaft nicht gelöst werden.
Die Menschen aus diesen Fluchtregionen spielen logischerweise in der Statistik von 2015 und 2016 eine zentrale Rolle. In manchen Leipziger Ortsteilen wie Zentrum-Südost und Seehausen waren die statistischen Zeigerausschläge unübersehbar, weil dort große Erstaufnahmen oder Gemeinschaftsunterkünfte entstanden. Auch in Grünau-Nord und Volkmardorf waren diese Zeigerausschläge zu beobachten, sind aber seit 2017 sichtlich rückläufig. Das hat zum einen mit dem Auflösen einiger Großunterkünfte zu tun und der Verteilung der Asylsuchenden in eigenen Wohnungen übers Stadtgebiet – aber auch wieder mit Abwanderung.
Aber das ist eher nicht das Anliegen des Beitrags. Denn wenn man immer nur wie gebannt auf diese Menschen aus Fluchtregionen schaut, übersieht man, dass Dutzende andere Nationen seit Jahren sehr kontinuierlich nach Leipzig einwandern und die Stadtgesellschaft bereichern.
Wofür gerade Volkmarsdorf sehr typisch ist. Denn selbst in den beiden „Fluchtjahren“ 2015 und 2016 dominierten hier die Nationen, die nicht zu den Fluchtregionen gehören, allen voran Rumänien und Polen. Und der Ortsteil ist bei Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern bis heute beliebt – vielleicht gerade deshalb, weil es hier schon so bunt ist. Türken. Vietnamesen, Bulgaren und Ungarn zieht es genauso hierher wie Russen, Portugiesen und Griechen.
Ähnlich bunt ist seit Jahren auch der scheinbar abgelegene Ortsteil Lößnig, wo vor allem viele Studierende aus China, Frankreich und Spanien zu Hause sind.
Lößnig und Zentrum-Südost fallen durch diese starke Konzentration von Studierenden aus aller Welt auf. Aber wie ist das mit den Zuwanderern, die dauerhaft in Leipzig bleiben wollen? Wo ziehen die hin? Alle nach Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf? Ein Teil zumindest. Beide Ortsteile gehören seit Jahren zu den beliebtesten Wohnorten von Menschen mit Migrationshintergrund.
Und während die üblichen Medien hier ständig von Gefahr und Gewalt berichten, erleben die Anwohner ein viel bunteres Bild – vor allem eines, das längst an die 1990er Jahre in der Südvorstadt und die Nullerjahre in Plagwitz erinnert. Denn auch hierher ziehen viele Studierende, weil noch nicht alles verbürgerlicht eingenordet ist. Und die Mieten natürlich noch nicht so exorbitant sind.
Und die Karten von Guangxin Xie zeigen, dass Leipzig seit 2007 in ganzer Fläche Zuwanderungsgebiet für Ausländer ist – wenn auch anfangs in fast allen Ortsteilen nur schwach. Ab 2006 aber begann sich das Gebiet, in dem zuziehende Ausländer heimisch wurden, deutlich über das Zentrum hinaus auszuweiten, gab es verstärkte Zuwanderung im Waldstraßenviertel und im Leipziger Westen.
Schon ab 2012 verdichtete sich das Zuzugsgebiet und ab 2013 war im Grunde das komplette innere Stadtgebiet erfasst, ein Bild, das auch nach Abflauen der Flüchtlingszuwanderung 2017 so bestehen blieb.
Denn die dauerhafte Zuwanderung nach Leipzig wird auch aus Ländern gespeist, die man ganz bestimmt keiner Flüchtlingsregion zuordnen würde. Was aber erst sichtbar wird, wenn die Autorin des Beitrags die Flüchtlingsregionen ausblendet. Dann werden auf einmal Länder wie Polen, Ungarn, Indien, Italien und Spanien als Herkunftsregionen sichtbar, aus denen Leipzig starke Zuwanderung bekommt.
Was natürlich das Bild von Zuwanderung gründlich ändert. Es hat mit dem von einigen Medien geprägten Bild nichts mehr zu tun. Aber mit einer Stadt, die durchaus noch den guten Ruf an Weltoffenheit hat, der sie für Zuzug aus aller Welt attraktiv macht.
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