In den Vorjahren machte jener Teil der Bürgerumfrage immer stets viel von sich reden, in dem Fragen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gestellt wurden. Ein Thema, das ja bekanntlich im „Sachsen-Monitor“ genauso eine Rolle spielt wie in der aktuell wieder vorgelegten „Autoritarismus-Studie“. Ein bisschen unterscheidet sich ja Leipzig. Das hat Gründe.
Zwei davon schälen sich in der Leipziger Bürgerumfrage von 2017 heraus. Der wichtigste ist natürlich: Die Einstellung zu Menschen, die schon äußerlich anders aussehen als die Mehrheitsbevölkerung, ändert sich spürbar, wenn sie tatsächlich im Stadtbild präsent sind und man ihnen täglich begegnet. Dann lernt man sie nämlich auch kennen und kann besser einschätzen, ob die weitverbreiteten Bilder und Vorurteile stimmen.
Ein kleiner Vergleich der sächsischen und der Leipziger Werte macht sichtbar, wie stark die Unterschiede sind. Etwa beim Topos „Die meisten hier lebenden Muslime akzeptieren nicht unsere Werte“, dem 70 Prozent der Sachsen zustimmen, aber nur 53 Prozent der Leipziger.
Wobei jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass das eine echte Quatschfrage ist – nicht aus Forschersicht. Die Soziologen, die den Fragekanon entwickelt haben, fragen ja nur lauter Stereotype ab, die immer wieder in der Argumentation rechtsradikaler Parteien auftauchen. Und die haben sich ja bekanntlich auf ihre Aggression gegen (zuwandernde) Muslime eingeschossen. Obwohl das nur ein Label ist, denn nicht alle Flüchtlinge aus Nahost sind ja Muslime, viele sind auch Christen.
Und kein Mensch kann wirklich einschätzen, wie viele Menschen muslimischen Glaubens unsere Werte nicht akzeptieren. Da gibt es selbst innerhalb des Islam die unterschiedlichsten Strömungen. Aber das haben solche Phrasen nun einmal an sich: Sie schaffen das Bild einer scheinbar homogenen Gruppe, in der alle gleich aussehen und sich gleich verhalten. Und sie packen der auserwählten Gruppe ihre Vorurteile auf. Und in diesem Fall wird auch noch der Glauben als Unterscheidungsmerkmal benutzt, obwohl keinem Menschen wirklich anzusehen ist, welchem Glauben er anhängt, wenn er das nicht gleich noch nach außen zur Schau trägt.
Aber auch das hat damit zu tun, dass rechtsradikale Erklärungsmuster deshalb funktionieren, weil die meisten Menschen selten bis nie mit den auserwählten „Sündenböcken“ zu tun haben.
Das gilt auch für Leipzig: Die negativsten Einstellungen zu anderen Menschengruppen legen jene Leipziger an den Tag, die kaum mit diesen in Berührung kommen: die Senioren.
Was sich übrigens nicht deckt mit einer rechtsradikalen Einstellung an sich. Das hat andere Ursachen. Und ich gehe bestimmt nicht falsch in der Annahme, dass unsere populären Medien dabei den Hauptanteil haben mit ihrer sehr eigentümlichen Berichterstattung. Denn wenn fast ausschließlich die Gefahr durch zugewanderte Menschen ausgemalt und diskutiert wird (und das ist nun einmal zu über 90 Prozent der Fall), dann trifft das das Sicherheitsempfinden jener Menschen, die sich sowieso schon unsicherer fühlen in ihrem Lebensumfeld.
Da kann man in der Bürgerumfrage kurz zurückblättern zu den „größten Problemen in der Stadt Leipzig“, wo seit Jahren das Thema Kriminalität und Sicherheit dominiert (auch das durch entsprechend zündelnde Berichterstattung forciert), und man sieht, dass sich die Werte innerhalb der Altersgruppen drastisch unterscheiden. Während bei den 18-bis 34-Jährigen nur 34 Prozent hier das größte Problem sehen, sind es bei den über 65-Jährigen schon 73 Prozent.
Und dann kann man den erwähnten Topos zu den Muslimen danebenlegen und sieht: Die 18- bis 34-Jährigen stimmen dem in 34 Prozent der Fälle zu, die über 65-Jährigen in 78 Prozent.
Das eigene Sicherheitsempfinden hängt also direkt zusammen mit der Einschätzung solcher medial diskutierten Vorurteile.
Denn Vorurteile sind es. Manchmal ziemlich alte und immer wieder neu aus der Mottenkiste geholte. Uralte Diskussionen aus den 1960er Jahren (Stichwort: Gastarbeiter) und den frühen 1990er Jahren (Asylrechtverschärfung) tauchen – von rechtsradikalen Politikern vorgetragen – immer wieder auf. So auch der Topos, die Bundesrepublik werde „durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maße überfremdet“. Dem stimmen 58 Prozent der Sachsen zu und 50 Prozent der Leipziger. Und unter den Leipzigern 70 Prozent bei den Senioren und 34 Prozent bei den Jüngeren.
Das ist ein Effekt, der über alle Fragen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu beobachten ist. In der Alterskohorte der 42- bis 49-Jährigen steigen die Zustimmungswerte zur Fremdenfeindlichkeit steil an und erreichen ab den 50-Jährigen ein durchaus bedenkliches Niveau um die 70 Prozent.
Dasselbe gilt übrigens auch für die Aussagen zum Autoritarismus – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Eine latente Menschenfeindlichkeit geht nicht zwingend Hand in Hand mit Chauvinismus (die Deutschen seien anderen Völkern überlegen) oder Sozialdarwinismus (in der Gesellschaft sollte sich immer der Stärkere durchsetzen). Für beides gab es in der Bürgerumfrage nur Zustimmungen von 8 bzw. 7 Prozent, bei den Senioren freilich 14 und 11 Prozent.
Das ist also nicht wirklich ein großes Wählerpotenzial für rechtsradikale Parteien. Aber warum schafft dann die AfD doch so hohe Wahlwerte in Sachsen und auch Leipzig – hier immerhin 20 Prozent?
Es hat wohl genau mit dieser Verunsicherung durch Berichte über „Muslime“, „Zuwanderung“, „Flüchtlinge“ usw. zu tun – mit ihrer medialen Dauerpräsenz als „Sicherheitsproblem“, während über funktionierende Integration in Sachsen so gut wie nie berichtet wird. Das ist eben kein Knallerthema. Mit Messerstechereien, Einbrüchen oder Drogendealern schafft man mehr Aufmerksamkeit.
Aber nicht nur die Medien sorgen für eine völlig verschobene Wahrnehmung. Politiker tun ihrerseits jede Menge, um mit solchen Themen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wer sich als großer Sicherheitsexperte gerieren kann, schafft es, genau jene Wähler anzusprechen, die sich nach einer starken Führung sehnen oder einem durchsetzungsstarken Staat. Die Leute, die zunehmende Verunsicherung predigen, profitieren genau von dieser Vorstellung.
Sie sprechen das autoritäre Syndrom bei jenen Menschen an, die sich in unserer Gesellschaft schwach und nicht anerkannt fühlen, „Bürger 2. Klasse“, wie es so schön heißt. Die eben nicht nur merken, dass „der Staat“ an vielen Stellen auf dem Rückzug ist, sondern auch bei Begegnungen mit Behörden oft das Gefühl haben, dass sie nicht zählen.
Wer aber so verunsichert ist, betrachtet zusätzliche „Konkurrenten“ um das (scheinbar knappe) Gut soziale Sicherheit, Wohlstand und Arbeit als Gefahr. Erst recht, wenn er dieser medial inszenierten „Gefahr“ im realen Leben gar nicht begegnet. Denn gerade die niedrigeren Werte zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ bei jüngeren Leipzigern, die ja nun in Schule, Kita, Ausbildung und Studium viel häufiger den zumeist jungen Zuwanderern begegnen, zeigt, dass sich die Einstellung zu diesen nur anfangs fremden Menschen ändert, wenn man mit ihnen wirklich in Kontakt kommt.
Sie werden zu Nachbarn, Freunden, Kollegen. So, wie andere Leute auch, die neu zuziehen aus Köln, Berlin oder diesem komischen Bayern.
Das heißt: Wer mit all diesen Menschen aus anderen Welten zusammenkommt, für den bleibt die Beschäftigung mit dem Fremden kein statisches Bild, keine medial geformte Vorstellung. Etwa so, wie nun seit über 100 Jahren das Bild vom Juden gemalt wird von den Radikalen der Menschenverachtung. Die Juden hätten so etwas „Besonderes und Eigentümliches“.
Dem stimmen übrigens nur 4 Prozent der Leipziger zu, aber 11 Prozent der Sachsen. Auch so ein Fall von: Ich stell mir da mal was Eigentümliches vor, obwohl ich noch nie einem Juden begegnet bin. So hat das Feindbild auch schon bei den Nazis funktioniert: Man schreibt einer Menschengruppe einfach irgendwelche Eigentümlichkeiten zu, möglichst solche, die man nicht sehen kann, nur vermuten. Und schon beginnt das Misstrauen: Vielleicht ist ja was dran an der Behauptung?
So geht das auch mit unseren heutigen Chauvinisten und Spezialisten der „alternativen Fakten“. Motto: Muss man ja mal sagen dürfen. Könnte ja was dran sein.
Was übrigens auch heimische Minderheiten betrifft. Zum Beispiel in der beliebten Behauptung „Die meisten Langzeitarbeitslosen machen sich auf Kosten der anderen ein schönes Leben“, eine Aussage, der tatsächlich 42 Prozent der Leipziger zustimmen.
Wir leben in einer Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit und Armut verachtet. Und auch noch mit lauter Vorwürfen bepackt, ausgerechnet diese Menschen würden sich auf Kosten der malochenden Mehrheit einen bunten Tag machen.
Die Bürgerumfrage 2017 bestätigt die Erkenntnisse aus der Autoritarismus-Studie. Auch in Leipzig wirken die autoritären Muster – verkehren viele Bürger, die sich dem strengen Regime einer machtvollen Wirtschaft bedingungslos unterordnen, ihre Frustration in die Verachtung von Schwächeren. Und dass auch die Religion von der erfolgreichen Wirtschaftsmacht Bundesrepublik funktioniert, machen dann die 44 Prozent Zustimmung zur Aussage „Was unser Land braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“ deutlich.
In Sachsen liegt der Wert übrigens bei 65 Prozent. Da fasst man sich an den Kopf und fragt sich, woher diese deutsche Überheblichkeit kommt.
Keine Überraschung, dass auch hier mit 64 Prozent die Leipziger Rentner den Ton angeben und nur 30 Prozent der Jüngeren zustimmen.
Es ist durchaus ein Problem, wenn ein Land zunehmend vergreist und dabei auch noch chauvinistischer wird.
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