Am Dienstag, 31. Juli, legte die Arbeitsagentur Leipzig die Arbeitsmarktzahlen für den Juli vor. Und ganz am Ende ging der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, Steffen Leonhardi, wie gewohnt auch auf den Ausbildungsmarkt ein. Und da steckt unübersehbar ein Problem, denn die Zahl der freien Ausbildungsstellen ist zwar gestiegen – aber nicht so stark wie die Zahl der unversorgten Bewerber.
Da passt also etwas nicht zusammen, wenn die Arbeitsagentur berichtet: Seit Oktober 2017 wurden der Arbeitsagentur Leipzig 2.652 Ausbildungsstellen zur Besetzung gemeldet. Das waren 204 mehr als vor einem Jahr um diese Zeit. Gegenwärtig sind davon noch 991 Ausbildungsstellen unbesetzt.
Im gleichen Zeitraum aber meldeten sich 2.894 Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildungsstelle. Das waren 502 mehr als bis Juli 2017. Zum Zähltag waren noch 942 dieser jungen Leute unversorgt.
Leonhardi appelliert zwar an die jungen Leute, die noch keine Ausbildungsstelle gefunden haben, sich unbedingt zur Berufsberatung der Arbeitsagentur zu melden. Aber immer offensichtlicher wird, dass die Berufsberatung das Grundproblem nicht lösen kann, das eigentlich ein doppeltes ist.
Immer mehr Lehrstellen werden nicht besetzt, weil die jungen Leute dafür kein Interesse oder einfach nicht die Voraussetzungen haben. Und immer mehr junge Leute scheitern mit ihren fehlenden Voraussetzungen für eine in vielen Branchen immer anspruchsvoller werdende Ausbildung.
Was eben nichts mit den sich zuweilen überschlagenden Forderungen aus Politik und Wirtschaft zu tun hat, dass in der Schule mehr „Wirtschaft“ oder Informatik oder was auch immer noch in den Lehrplan gestopft werden muss. Das geht spätestens dann schief, wenn sich wirklich um die konkreten Lehrplaninhalte geprügelt wird, denn was sich hinter 2.652 freien Ausbildungsstellen verbirgt, ist ein immer weiter spezialisiertes Angebot in oft genug hochspezialisierten Branchen. Wie will man das denn in der Schule so vermitteln, dass die jungen Leute hinterher wissen, wo sie ihre Bewerbung abgeben können?
Da haben die Ausbilder, die sich wirklich zu Wort melden, viel eher recht, wenn sie die einstmals vermittelten Grundtugenden guter Bildung einfordern. Denn das sind die Eigenschaften, die eigentlich fehlen, plattgemacht von einem Lehrplan-Denken, das Kinder wie Programmiermaschinen betrachtet. Wer die Oberschulen im Land betrachtet, sieht eine systematische Entmutigung und Demotivierung der Kinder. Nicht ihr Ehrgeiz, Dinge zu lernen und zu beherrschen und zu begreifen wird gestärkt, sondern der Baustein-Opportunismus der abfragbaren Lehrplaninhalte. Nicht Fähigkeiten werden gebildet, sondern Bildungskonsum.
Was natürlich eine logische Folge hat: Die Schere zwischen unversorgten Bewerbern und unbesetzten Lehrstellen wird weiter aufklaffen, auch wenn sich die Berufsberater ab jetzt wieder alle Mühe geben werden, die jungen Leute irgendwie übers Jahr doch noch irgendwo unterzukriegen.
Oder mal so gesagt: Die heutigen Kultusminister haben überhaupt noch nicht verstanden, wo der Grundfehler des PISA-Lernsystems steckt und warum die hochgradig ökonomisierte Schule vor einem immer tiefer differenzierten Arbeitsmarkt versagen muss.
Der Rest ist dann die übliche Juli-Berichterstattung. Die offizielle Arbeitslosenzahl ist wieder um genau jene jungen Leute angewachsen, die nach ihrem Schulabschluss noch keine Lehrstelle gefunden haben. Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit fand mit 254 fast ausschließlich bei der Gruppe der Unter-25-Jährigen statt.
„Diese Entwicklung bei den jungen Leuten beobachten wir jedes Jahr im Juli und August. Das ist insofern nichts Ungewöhnliches und hat jeweils dieselben Hintergründe. Ein Teil der frischgebackenen Ausgelernten wurde nicht in ein Arbeitsverhältnis durch den Ausbildungsbetrieb übernommen. Das wiederum ist aber eine gute Gelegenheit für andere Unternehmen, diese jungen Fachkräfte schnell einzustellen. Zu diesem vorübergehenden Anstieg der Arbeitslosigkeit tragen auch noch die Schulabgänger, die auf den Ausbildung- oder Studienbeginn warten und sich für die Übergangszeit arbeitslos melden, bei“, kommentierte das Leonhardi. „Wir gehen davon aus, dass sich dieser Saisoneffekt bis September wieder ausgeglichen hat. Der Arbeitsmarkt in Leipzig bleibt weiterhin robust auf einem positiven Wachstumspfad.“
Tatsächlich ist der Arbeitsmarkt ganz und gar nicht mehr robust. Er beginnt zu erodieren. Denn nicht nur über 2.000 Lehrstellen konnten nicht besetzt werden. Auch die Zahl der nicht besetzten Arbeitsstellen steigt immer weiter an.
Insgesamt waren Ende Juli in der Stadt Leipzig 20.591 Menschen, 299 mehr als im Juni, bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter, arbeitslos gemeldet. Im Vergleich zum Juli 2017 sank die Arbeitslosigkeit um 2.795.
Und sie sank vor allem, weil kaum noch ältere Arbeitslose in „Hartz IV“ geraten. Es ist vor allem die Zahl der SGB-II-Empfänger, die seit 2012 drastisch schrumpft. Von 24.000 sank die Zahl der arbeitslosen SGB-II-Empfänger auf 14.000, während die Zahlen im SGB III relativ konstant blieben. Die große Zahl der älteren Arbeitslosen entfleucht dem Arbeitsmarkt also rein aus Altersgründen.
Und das war auch im Juli wieder so: Bei den Lebensälteren, in der Altersgruppe ab 50 Jahren, fiel die Arbeitslosigkeit um 50 auf 5.597 Personen (Vorjahr: 6.406). Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig gesunken. Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 183 auf 5.444. Im Vergleich zum Juli 2017 gab es 1.281 langzeitarbeitslose Menschen weniger. Das entsprach einem Rückgang um 19,0 Prozent.
Und demgegenüber steht ein ganzes Heer von Unternehmen, die jetzt händeringend nach neuen Arbeitskräften suchen. Allen voran der völlig verpennte öffentliche Dienst, der die Warnzeichen vor zehn Jahren überhaupt nicht begriffen hat.
Statt spätestens ab 2010 auf den drohenden Nachwuchsmangel mit vermehrter Einstellung junger Leute zu reagieren, hat Sachsens völlig verdrehte Staatsregierung sogar ein noch schärferes Personalkürzungsprogramm aufgelegt. Logisch, dass sämtliche Behörden heute verzweifeln bei der Suche nach Nachwuchs auf einem leergefegten Markt.
Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete die Arbeitsagentur Leipzig im Juli wieder einen Anstieg gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 2.197 freie Stellen, das waren 2 mehr als im davorliegenden Monat und 133 weniger als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.
Nur dass der Berg der unbesetzten Stellen im Juli 2017 noch bei 6.985 lag und in diesem Jahr schon bei 7.722.
Und schon lange liegt der Bereich „Gesundheit, Soziales, Lehre u. Erziehung“ in Leipzig bei den angebotenen Stellen auf Rang 3 in der „Hitliste“. Nur die (Industrie-)Produktion liegt noch davor und der Bereich „Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit“.
Zwischenergebnis: Die Entewicklung bei SGB II und SGB III geht auseinander.
Im Juli waren 6.280 Menschen in der Arbeitsagentur im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 462 mehr als im Vormonat. Im Jobcenter Leipzig im Rechtskreis SGB II waren 14.311 Menschen arbeitslos registriert. Das waren 163 weniger als im Juni 2018 und 2.029 weniger als vor einem Jahr.
In Leipzig gab es im Juli 36.442 Bedarfsgemeinschaften. Das waren 137 weniger als im Vormonat und 2.384 weniger als im Juli des Vorjahres.
In den nächsten Monaten werden viele junge Leute dann doch noch irgendwie eine Lehrstelle bzw. eine Arbeitsstelle finden. Die Arbeitslosenzahlen werden also wieder sinken. Aber die Probleme werden nicht verschwinden.
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https://www.heise.de//newsticker/meldung/Neues-Rekordhoch-bei-Arbeitskraeftebedarf-4123062.html?wt_mc=nl.wirtschaft.2018-07-31