Zu Recht diskutiert wenigstens die SPD derzeit über das Ende von „Hartz IV“. Das Programm ist weder zeitgemäß, noch hilft es gerade jenen, die besonders hohe Hürden in den Arbeitsmarkt haben. Davon erzählt selbst die „Zielabrechnung 2017“ für das Jobcenter Leipzig, die das Leipziger Wirtschaftsdezernat am 28. März vorlegte. Das Scheitern versteckt man hinter lauter bürokratischen Erfolgsparametern.
Aber man kann es nicht völlig verbergen. Denn die beste Bürokratie nützt nicht die Bohne, wenn die Hilfsmittel nicht denen helfen, die mehr oder weniger als gehandicapt gelten und dann als „Langzeitarbeitslose“ oder „arbeitsmarktfern“ in der Bilanz auftauchen.
Arbeitsmarktfern? Wie können Menschen arbeitsmarktfern sein, wenn das Jobcenter Leipzig so eine bestechende Arbeit leistet und fast alle Zielparameter mit Bravour erreicht?
Die Antwort ist einfach: Die von Stadt, Bund und Jobcenter vereinbarten Zielparameter haben mehr mit dem Wohlwollen diverser Finanzminister und Finanzbürgermeister zu tun, aber nichts mit den Problemen der Betroffenen. Die auch nach Jahren nicht aus der beklemmenden Betreuung des Jobcenters herauskommen. Das kaschieren zwar die regelmäßigen Vermittlungszahlen und die Schulterklopfereien, wie gut man in der Vermittlung gearbeitet habe. Aber eine Aussage ist letztlich entlarvend und zeigt, dass das ganze „Hartz IV“-Denken gescheitert ist:
„Durch das Jobcenter werden derzeit ca. 80 Prozent der arbeitslosen Kunden als arbeitsmarktfern eingestuft“, kann man da lesen.
Das heißt: 80 Prozent der im Jobcenter betreuten Menschen haben überhaupt keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Dafür gibt es viele verschiedene Gründe. Aber damit ist auch das eigentlich primäre Anliegen, den besonders mit Vermittlungshandicaps belasteten Menschen einen besseren Zugang just zu diesem Arbeitsmarkt zu verschaffen, gescheitert. Sie landen in immer neuen Umschulungsmaßnahmen und Beschäftigungsprogrammen, verschwinden mal kurz aus der Statistik, tauchen wieder auf.
Aber Hubertus Heil hat es zu Recht festgestellt: Wenn man diese Menschen in Beschäftigung bringen möchte, braucht es dazu geförderte Arbeitsplätze – möglichst im gesellschaftlichen Bereich.
Aber genau an der Stelle hat der deutsche Supersparminister wieder den Rotstift angesetzt: „Bei der Mittelbeplanung des Eingliederungstitels werden ca. 20 Prozent für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, die öffentlich gefördert sind, eingesetzt. Durch die geringere Mittelzuteilung des BMAS für das Jobcenter stehen im Vergleich zum Vorjahr in 2018 auch weniger Mittel in diesem Bereich zur Verfügung. Insbesondere die Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV), welche sozialversicherungspflichtig sind, wurde reduziert“, kann man jetzt in der Vorlage lesen. „Gleichfalls läuft zum Ende des Jahres das Bundesprogramm ‚Soziale Teilhabe‘ aus, über welches in Leipzig über 400 Arbeitsplätze gefördert werden. Zur Unterstützung von Teilnehmenden, welche in der öffentlich geförderten Beschäftigung tätig sind, beteiligt sich das Jobcenter am Landesprogramm ‚Sozialer Arbeitsmarkt‘. Nach dem Entwurf des Koalitionsvertrages soll die öffentlich geförderte Beschäftigung neu verhandelt werden. Ein Programm ‚Soziale Teilhabe für alle‘ befindet sich in der Diskussion, ebenso der Aktiv-Passiv Transfer.”
Und das nach 15 Jahren Arbeitsmarktreform und 13 Jahren Einführung von „Hartz IV“, eine Zeit, in der kluge Politiker eigentlich gelernt haben sollten, was funktioniert. Und was nicht.
Doch das Mantra, alle Menschen sollten irgendwie auf den Arbeitsmarkt gepresst werden, sitzt fest in den Köpfen der Verantwortlichen. Über die Not der tatsächlich Bedürftigen und „Arbeitsmarktfernen“ hat man sich keinen Kopf gemacht.
Und dass man Flüchtlinge auch nicht von heute auf morgen in eine vollbezahlte Arbeit bekommt, gehört dazu. Einige haben durchaus schon den Sprung in einen Job geschafft. Aber viele stecken eben doch noch in Sprach- und Qualifizierungskursen.
Ergebnis: „Eine Zielverfehlung von 244 Integrationen besteht bei der Integration von Jugendlichen unter 25 Jahren, der Verbesserung der Prozessqualität und dem Entgegenwirken von Langleistungsbezug. Die Gründe für die Zielverfehlung hinsichtlich des Langleistungsbezuges begründen sich einerseits durch den Aufwuchs an Bedarfsgemeinschaften mit mehr als 4 Personen. Gleichzeitig wirkt sich der Zugang geflüchteter Menschen aus den Jahren 2015 und 2016 bestandserhöhend aus. Rund 75 Prozent der erwerbsfähigen Personen mit Fluchthintergrund, die im Jahr 2015 in den Rechtskreis SGB II wechselten, wurden im Jahr 2017 Langzeitleistungsbezieher.“
Langzeitleistungsbezieher.
Ein bürokratischer Bandwurm, der auch noch vorwurfsvoll klingt – als wäre es der Wunsch dieser Menschen, unbedingt ein Langzeitleistungsbezieher zu werden. Aber da kommt dem Jobcenter die sinnfreie Abrechnung der Arbeit in „Integrationen“ in die Quere, die eben eine aufsummierte Zahl von „Vermittlungen in Arbeit und Ausbildung“ sind. Wie viele tatsächlich belastbare Arbeitsverhältnisse dahinterstecken, lässt sich dieser sinnfreien Statistik nicht entnehmen.
Die andere Nachricht lautet freilich: 25 Prozent der „erwerbsfähigen Personen mit Fluchthintergrund“ haben eine Arbeit aufgenommen. Das ist eine Leistung. Gerade für die Betroffenen.
Gescheitert ist auch die Stadt Leipzig mit ihrem Versuch, die Kosten der Unterkunft zu drücken, obwohl in der ganzen Stadt der Wohnraum knapp wird und die Angebotsmieten steigen
Was dann in der Vorlage so klingt: „Trotz dieses erfreulichen Rückgangs betrug die Senkung der jährlichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung im Vergleich zum Vorjahr nur ca. 217.000 €. Hintergrund dieser Entwicklung ist der Anstieg des durchschnittlichen Zahlbetrages für die Kosten der Unterkunft und Heizung pro Bedarfsgemeinschaft. Die Steigerung des Zahlbetrages von 293 € in 2016 auf 305 € pro Monat und Bedarfsgemeinschaft in 2017 hat unterschiedliche Ursachen, z. B. die Mietpreisentwicklung oder die Zunahme der Haushaltsgröße der Bedarfsgemeinschaften.“
Irgendwie scheint es ganz schrecklich zu sein, dass unter den Betroffenen so viele Familien mit Kindern sind. Und dass alle Bemühungen der Stadt, die Sätze für die KdU im Unterirdischen zu halten, trotzdem nicht geholfen haben, dieses Einsparziel zu erreichen.
Mag sein, dass Wirtschaftsbürgermeister und OBM diese Art Zielvereinbarung irgendwie sinnvoll finden.
Zum Steuern sind sie denkbar ungeeignet, denn sie verraten nichts – nicht über wirkliche Vermittlungserfolge, über gelungene Qualifizierungen, über die Probleme von Flüchtlingen, Familien oder Langzeitarbeitslosen, die sie wirklich konkret haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Wenn man das alles wüsste, könnte man nämlich steuern und Bedingungen schaffen, diesen Menschen tatsächlich die Mittel zur Integration in die Hand zu geben.
So aber ist die ganze Vorlage etwas für die berühmte „Wand der Besten“. Eine Art Manifest des inneramtlichen Wettbewerbs, der nur deshalb erfolgreich aussieht, weil der Leipziger Arbeitsmarkt seit Jahren immerfort neue Arbeitsplätze bereitstellt – über 6.000 wieder im letzten Jahr. Die Menschen finden also meist auch ohne Zutun des Jobcenters einen Job. Und da sie damit aus der Verwaltung durch das Jobcenter verschwinden, wurde nun auch die Zahl der Jobcenter-MitarbeiterInnen abgebaut von 938,5 auf 911,5 Stellen. Das senkt dann wieder die Kosten der Verwaltung ein bisschen. Wieder ein Ziel erreicht.
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