Seit Montag, 18. Dezember, gibt es den jüngsten Quartalsbericht der Stadt Leipzig, also den vierteljährlichen Temperaturanzeiger, der versucht, den Leipziger und sein Wohlbefinden irgendwie in Zahlen und Grafiken zu fassen. Was natürlich nur begrenzt möglich ist. Denn mehr als 80 Prozent Zufriedenheit sind ja kaum erreichbar, wie Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen, feststellt.
Mit Falk Abel zusammen verantwortet sie die neuen Grafiken zum „Index der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Stadt“. Da werden Daten aus der Bürgerumfrage mit Daten zur Arbeitslosigkeit zusammengerechnet. Ergebnis ist dann so ein Der-Stadt-geht-es-gut-Index.
Zumindest anschaulich ist er: Er zeigt, wie Leipzigs Stimmung in den durchwachsenen 1990er Jahren immerfort zwischen leichtem Aufatmen und schwerer Betrübnis schwankte und dann pünktlich mit Helmut Kohls letztem Regierungsjahr in den Keller rauschte – hübsch parallel zur deutschen Katerstimmung, die neben ein paar internationalen Problemchen und dem medialen Gejammer um den „kranken Mann Europas“ (so lamentierten die damals tatsächlich) vor allem einen Grund hatte: Der Feuerwerkeffekt der Deutschen Einheit war verraucht.
Auf einmal merkte auch der Bundesfinanzminister, dass Kohls Rezept, die Einheit einfach über die Schatulle zu bezahlen, gescheitert war. Die emsigen großen Konzerne (West) hatten ihren Reibach gemacht und verschwanden reihenweise wieder nach Hause. Der Osten war aber noch da. Und kostete auf einmal Geld, das niemand eingeplant hatte. Man hatte ja schlankweg behauptet, der Osten wäre binnen zehn oder 15 Jahren auf Westniveau und würde ein zweites Wirtschaftswunder erleben.
Ist dummerweise so nicht passiert. Ergebnis: Über 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland und Zeit zum Konsolidieren. Was dann der deutsche Wähler wie so oft wieder mal den Sozialdemokraten überließ, die sich die nächsten sieben Jahre abrackerten und es auch schafften.
Zu den Legenden der Gegenwart gehört ja auch, dass sie es nicht schafften.
Aber alle Wirtschaftsdaten zeigten, dass sie es schafften, dass es ab 2003 wieder aus dem Keller ging und auch die Arbeitslosenzahlen fielen. Und dass vor allem eins passierte: Der Deutsche Osten begann, erste tragfähige Wirtschaftsstrukturen zu entwickeln. War ja fast ein Wunder, nachdem ab 1990 fast alles abgeräumt, weggeräumt und versilbert worden war, was vorher mal dagewesen war an Industrie. Leipzig stieg mit Porsche und BMW 2005 ein bisschen später ein.
Aber das machte sich spätestens ab 2007 mit einem ersten Luftholen bemerkbar
„Phase der Verunsicherung und Neuorientierung“ nennen Leipzigs Statistiker die Zeit zwischen 2001 und 2007. Die Zeit ab 1998 nennen sie „Abschwächung des Aufholprozesses“. Was ich aber bestreiten würde. Eigentlich steckte Leipzig zehn Jahre lang in einer tiefen Depression, in der die einen ihre Witze über die gestrandete „Boomtown“ rissen und die anderen versuchten, mit einem künstlichen Olympia-Hype die Stimmung herumzureißen. Wirklich aufwärts aber ging es erst, als die Ansiedlung der beiden großen Zugpferde im Norden auch wirklich Effekte zeigte: sinkende Arbeitslosigkeit, bessere Stimmung in der Wirtschaft, zaghaft steigende Steuereinnahmen.
Auf einmal wurde Leipzig auf der Landkarte der Wirtschaftszentren wieder sichtbar und die Leute ringsum begannen in die große, wieder erwachende Stadt zu ziehen. Es war genauso wie bei Griegs Frühlingserwachen.
Von dieser Stimmung hat Burkhard Jung profitiert, als er 2006 Oberbürgermeister wurde. Dass da mehr dahintersteckte, konnte er ja nicht ahnen. Immerhin waren die ersten Jahre mit Finanzkrise, Sachsen-LB und den aufgeflogenen Taten des Klaus Heininger entsprechend rumpelig. Aber ab 2009 war klar: Diese Stadt hat endlich Tritt gefasst. Westniveau hat sie – zumindest bei den Einkommen – noch lange nicht. Aber sie wächst. Die in der Bürgerumfrage abgefragte Lebenszufriedenheit wuchs genauso wie sich die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Situation besserte – wenn auch nur auf 60 Prozent.
Das fällt schon auf, wenn Andrea Schultz sagt: „Eigentlich geht da nicht viel mehr.“
Denn seit 2015 stagniert der Gesamtindex irgendwie. Die Arbeitslosenquote ist im Keller, das Wegzugspotenzial tendiert gegen Null (die Leute wollen also fast alle dableiben, was schon erstaunlich ist), die Erwerbstätigenquote liegt bei 64 Prozent. Viel mehr ist da auch nicht drin, wenn man Kinder und Senioren abzieht.
Nur die Zuwächse beim Monatsnettoeinkommen sind seit 2015 auch nicht mehr so üppig. Leipzig ist noch immer eine Stadt mit recht niedrigem Einkommensniveau. Deswegen stagniert auch die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Ein Teil der Stadt hat ordentliche Tarifzuwächse gehabt seit 2009. Aber ein etwas kleinerer Teil (40 Prozent) ist aus der prekären Einkommenssituation nicht herausgekommen. Was vor allem an der Wirtschaftsstruktur der Stadt liegt.
Darauf geht der Beitrag „Erste Ergebnisse des Mikrozensus mit neuer Stichprobe“ ein. Auch den hat Andrea Schultz betreut. Da werden die drei sächsischen Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz verglichen.
Keine Überraschung: Bei den Haushaltseinkommen liegt Leipzig nur auf dem 3. Platz
Was mit den vielen Single-Haushalten zu tun hat, aber auch mit der hohen Quote an Teilzeitbeschäftigten. Und damit, dass gerade das Cluster „Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Information/ Kommunikation“ hier mit 29,1 Prozent Anteil bei allen Vollzeitbeschäftigten deutlich stärker ausgeprägt ist als in Dresden (23,1 Prozent) oder Chemnitz (25 Prozent). Als Kellner, Logistiker, Callcenter-Agent oder Kraftfahrer verdient man nun einmal nicht so viel wie zum Beispiel in einem sächsischen Industrievorzeigeunternehmen.
Wenn man mal nicht auf Haushalte rechnet, sondern auf Erwerbspersonen, dann liegt Leipzig – so durchschnittlich betrachtet – mit einem Monatsnettoeinkommen von 1.486 Euro mittlerweile vor Chemnitz (1.463 Euro), aber noch deutlich hinter Dresden (1.584 Euro). Es hat sich also etwas getan in den letzten Jahren. Aber der Stillstand, den Viele bei ihrer wirtschaftlichen Situation empfinden, erzählt eben davon, dass ein gut Teil der Leipziger am finanziellen Aufschwung nicht Teil haben. „Da ist wohl noch Luft nach oben“, sagt Andrea Schultz.
Aber genau das hat Folgen – bis in den Wohnungsbau hinein.
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