Wir haben es versprochen. Wir wollten die Frage beantworten, was Kinder mit der AfD zu tun haben. Außer dass diese Alte-Herren-Truppe im Wahlkampf mit Plakaten auftrumpfte, auf denen sie behauptete, sie könne lauter kleine Deutsche produzieren. Was halt so Alte-Herren-Phantasien sind, wenn sie im Hof ein fettes Schild aufgestellt haben: „Spielen und Toben verboten!“
Die beiden Grafiken stammen aus zwei Publikationen, die das Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig kurz vor Weihnachten zeitgleich vorgestellt hat: dem Quartalsbericht Nr. 3 für 2017 und dem Endbericht zu den Leipziger Ergebnissen der Bundestagswahl am 24. September.
Auf der Wahl-Karte sieht man das AfD-Ergebnis, das auch für Leipzig nicht allzu ermutigend war. Sachsenweit kam die AfD auf 27 Prozent der Zweitstimmen und übertrumpfte damit knapp die CDU. In Leipzig waren es „nur“ 18,3 Prozent. OBM Burkhard Jung zeigte sich regelrecht erleichtert, dass in Leipzig nicht auch die 20-Prozent-Marke gerissen wurde. Nur zum Vergleich: Westdeutsche Großstädte hatten im Schnitt eher 8 bis 10 Prozent AfD-Ergebnisse. In Dresden waren es dafür heftige 22,5 Prozent.
Wobei unübersehbar ist, dass die AfD in Leipzig (wie wohl in ganz Sachsen) vor allem von einer großen Wählerwanderung von der CDU zur AfD profitierte: 17.400 Stimmen gewann die AfD von Wählern hinzu, die 2013 noch CDU gewählt hatten; damals war die AfD insgesamt nur auf 16.100 Stimmen gekommen in Leipzig. Dazu konnte die AfD dann noch 12.000 Nichtwähler mobilisieren und auch noch der Linken 8.700 Wähler abspenstig machen. Das ist eine eigene Analyse wert, denn tatsächlich gehörte die Linke ja sogar zu den Wahlgewinnern am 24. September. Sie steigerte ihr Ergebnis von 63.400 auf 70.200 Stimmen.
Und das Schöne ist: Leipzigs Statistiker haben auch versucht, die Parteipräferenzen nach soziodemografischen Merkmalen zu berechnen. Und da sind die Zusammenhänge bei der AfD sehr interessant und sehr typisch.
Denn AfD-Wähler sind mit ihrem Leben weniger zufrieden als andere Wähler, sie haben seltener einen Hochschulabschluss, sie sind seltener Mitglied einer Kirche und – als hätten wir es erwartet: Sie sind deutlich älter im Schnitt als die Wähler aller anderen Parteien.
Die AfD ist eine Alte-Männer-Partei, auch bei den Wählern.
Aber es gibt noch eine Dimension, die signifikant aus dem Rahmen fällt: AfD-Wähler haben eine deutlich negativere Zukunftssicht als die Wähler der anderen Parteien. Optimisten wählen keine AfD. Erstaunlich, nicht wahr? Optimisten wählen in Leipzig grün. Eindeutig.
Und auf der Karte kann man sehen, was das auch in der regionalen Verteilung heißt: Im Herzen der Stadt, wo vor allem junge Menschen leben, wo es Kinder gibt und dichte Infrastrukturen, da erreichte die AfD lediglich Zweitstimmenanteile zwischen 7,7 und 13,2 Prozent. Die 7,7 Prozent waren in der Südvorstadt erreicht worden, in Connewitz waren es 8,5 Prozent. Beides Ortsteile, wo Linke und Grüne stark punkteten – augenscheinlich wesentlich optimistischere Parteien als die AfD.
(Nur so nebenbei: Den stärksten Zuspruch bekam die AfD bei den Männern ab 45 Jahre. Auch das ein eigenes Thema. Da steckt die ganze unbewältigte Nachwende-Geschichte drin.)
Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass der Aufstieg der AfD vor allem soziodemografische Gründe hat. Sie triumphiert bei Menschen, die nicht allzu hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, vielleicht sogar mit einem Berg von Ängsten, wie sie unsere Schwarzmaler vom rechten Rand zuhauf produzieren. Untergangsszenerien wie die zum „christlichen Abendland“. Dumm nur, dass Christen sich eher nicht bei der AfD aufgehoben fühlen, sondern – für Leipzig durchaus etwas Besonderes: bei den Grünen.
Aber negative Zukunftssichten haben nicht in diesen Schreckbildern ihre Ursache. Die sind nur die Phantasie obendrauf, sozusagen die Sahne auf der Besorgtentorte.
Untendrunter schwelt die wirkliche Zukunftslosigkeit. Und zwar nicht nur beim Topos Zukunftssicht, die naturgemäß bei älteren Menschen deutlich niedriger ist als bei jungen.
Aber auch das haben ja Leipziger Bürgerumfragen schon gezeigt: Auch ältere Menschen sind wesentlich optimistischer, wenn sie in den zentralen, jüngeren Ortsteilen von Leipzig leben. Sie fühlen sich dort sogar sicherer, obwohl es lauter und turbulenter zugeht.
Die Einöde am Stadtrand lädt natürlich zum Grübeln ein. Aber wahrscheinlich sind es mehrere Effekte, die die negative Zukunftssicht und die Ängste verstärken, je weiter man sich dem Stadtrand nähert. Die ÖPNV-Verbindungen sind deutlich schlechter. Oft leben die Betroffenen auch noch allein in alten Einfamilienhäusern. Oft in Ortslagen, in denen es kaum noch Menschen unter 40 Jahre gibt, Schulen und Kindertagestätten schon gar nicht. Die eigenen Kinder sind längst ausgezogen. Und meist kommen sie auch nicht wieder, weil so ein Häuschen am Leipziger Stadtrand nicht wirklich attraktiv ist, wenn man eine eigene Familie gründen will. Junge Familien wissen, was das für eine Logistik bedeutet.
Deswegen ist die Städtebaupolitik der Bundesregierung auch so grunddumm. Dort denkt man Mieter immer nur als Cashcow, die eine rentierliche Miete zu zahlen hat, nicht als junge Familie, die 1.000 Dinge täglich auf die Reihe bekommen muss, gerade wenn es um Kinder geht. Kinder im Plural.
Kinder machen viel Arbeit, kosten auch Geld (das man in vielen heutigen Jobs nicht mehr verdient). Aber sie sorgen auch für das, wonach die beklopptesten Philosophen immer vergeblich gesucht haben: den Sinn des Lebens.
Der Sinn des Lebens ist das Leben. Weiß eigentlich jedes Kind.
Und die Alten spüren es. Denn sie fallen in Betrübnis und Verzweiflung, wenn Kinder aus ihrer Umgebung verschwinden. Deswegen stimmt die Gleichung: Überalterte Ortsteile wählen verstärkt AfD. Dort wurden am 24. September überall sächsische AfD-Ergebnisse im Bereich 24,2 bis 29,7 Prozent erreicht. In Grünau genauso wie in Paunsdorf, in Mockau, Liebertwolkwitz und Thekla.
Und deswegen haben wir hier einfach mal die Karte mit der Geburtenrate von 2016 danebengelegt. Denn die dunkelgrünen Flächen darin bedeuten nun einmal, dass man dort besonders viele kleine Kinder sieht: in Connewitz, Schleußig, Plagwitz und Gohlis und Neustadt-Neuschönefeld. Kleine Kinder verändern die Atmosphäre im Kiez. Da muss man nur mal Spazierengehen oder den Senioren in der Straßenbahn zuschauen, wie sie aufblühen, wenn eine Familie mit Kinderwagen in die Bahn kommt und der Knirps selbst die eben noch erstarrten Greise zum Schäkern und Scherzen bringt.
Man vergisst es oft, dass Leipzig – was Kinder betrifft – längst eine Insel ist. All die Regionen, in denen die AfD Ergebnisse über 30 Prozent einfuhr, haben eben nicht nur Bevölkerung verloren. Sie haben die jungen Menschen verloren – und damit die Kinder. In Altenburg und dem Burgenlandkreis denkt man jetzt schon daran, um junge Leipziger Familien zu werben, die in Leipzig keinen Kita-Platz mehr bekommen.
Denn die schlichte Wahrheit ist: Wir tun das alles nicht, damit der Finanzminister Steuern kassieren kann oder der Bund der Steuerzahler gekochten Blödsinn über „Steuerverschwendung“ erzählt, sondern wegen der Kinder. Und noch etwas zur Solidarität: Wir tun es auch nicht nur für die eigenen Kinder und Enkel. Gerade unsere größten und teuersten Projekte sind solidarische Projekte, in denen wir für ganze Generationen im Voraus denken.
Das beißt sich natürlich mit dem kurzatmigen Rendite-Denken, das heute die maßgeblichen Konzerne beherrscht, die Börsen und – leider – auch den Verstand der meisten Wirtschaftspolitiker. Sie haben es allesamt verlernt, in Generationen zu denken. Deswegen haben sie auch keine überzeugenden Visionen mehr. Und deswegen kippen die Regionen weg, die im Wettbewerb um den schnellen Euro nicht mehr mithalten können. Auch psychisch. Der ganze Zukunftsoptimismus verschwindet – mit den Kindern.
Und davon profitiert natürlich die Alte-Herren-Partei AfD. Sie holt ja diese zutiefst Hoffnungslosen ab, auch wenn sie ihnen nicht wirklich eine Vision gibt. Nur so eine Art Trosttaschentuch mit der Behauptung: Die anderen sind schuld. Die Elite.
Was natürlich auch heißt: Wenn es für diese Regionen keine Perspektive gibt – und zwar mit jeder Menge Kindern drin – könnte es passieren, die Rechtspopulisten setzen sich dort fest und übernehmen irgendwann mit schlohweißer Jugendlichkeit die Landesregierungen.
2000 endete tatsächlich ein 50 Jahre langer Schrumpfungsprozess für Leipzig
2000 endete tatsächlich ein 50 Jahre langer Schrumpfungsprozess für Leipzig
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