Vielleicht sollte man das Aufkommen von rechtsradikalen Tendenzen bei Wahlen vorsichtig trennen von der tatsächlich vorhandenen Misere in der ländlichen Entwicklung. Das eine direkt aus dem Anderen herzuleiten, würde zu Kurzschlüssen führen. Aber ganz unübersehbar hat Sachsens CDU-Fraktion jetzt mitbekommen, dass die ländlichen Räume ein Attraktivitäts-Problem haben.

Das wäre ein Thema gewesen, das sehr wohl komplex behandelt hätte werden können im SachsenBarometer, das die CDU-Fraktion bei Dimap in Auftrag gegeben hat. Aber es war nur ein Fragepunkt unter vielen – und die Löcher in der Frage fallen natürlich auf.

„Nennen Sie mir bitte die drei Aspekte, die für Sie persönlich dabei am wichtigsten, am zweitwichtigsten und am drittwichtigsten sind“, hieß es da. Und dann gab es fast eine logische Reihenfolge, die zeigt, dass Sachsens Regierung wirklich an entscheidenden Stellen die falschen Weichen gestellt hat.

Denn ganz obenan landete mit 27 Prozent der Nennungen die Verkehrsanbindung. Kupfer ließ auch das Stichwort Personennahverkehr fallen. Die meisten ländlichen Regionen in Sachsen haben in den vergangenen 20 Jahren viele wichtige ÖPNV- und Schienen-Verbindungen eingebüßt. Und das ist ein absolutes Manko für jeden Ort, der nicht mehr sinnvoll an Mittel- und Oberzentren angebunden ist, wo Ärzte, Verwaltungen, Schulen immer schlechter erreichbar sind.

Heftige Kritik erntete die sächsische Regierung deswegen auch immer wieder wegen der Ausdünnung der Ärztehäuser und der Hausarztpraxen im Land.

26 Prozent der Befragten nannten deshalb folgerichtig die „medizinische Versorgung“ als zweitwichtigstes Merkmal, noch vor Arbeitsplätzen (21 Prozent) und Schule und Kinderbetreuung (16 Prozent). Einkaufsmöglichkeiten, Sport und Kultur sind hingegen keine Problemfelder.

Aber da fehlt doch was?

Gerade erst sind sowohl in Thüringen als auch in Brandenburg die Landkreis-Reformen krachend gescheitert. Anders als in Sachsen 2008 gab es in beiden Bundesländern massiven Widerstand gegen die aufgeblähten Großkreise, der auch politisch Resonanz fand. Denn Landkreise bedeuten eben nicht nur Identität und nachvollziehbare Investitionsentscheidungen vor Ort – sie bedeuten auch kurze oder lange Wege zur Verwaltung, also in ganz elementarem Sinn: Nähe oder Entfernung zur Politik.

Gut erreichbare Verwaltungen kommen in der Befragung für das SachsenBarometer aber genauso wenig vor wie wohnortnahe Polizeistationen, kommunale Selbstverwaltungen, erlebbarer Naturschutz oder Bürgerbeteiligung. Die Löcher in der Fragestellung machen das obrigkeitsstaatliche Denken der sächsischen CDU deutlich. Man glaubt, wieder mit einzelnen Stellschrauben vielleicht etwas verbessern zu können, hat aber kein ganzheitliches Bild vom Leben, von dem, was Menschen in ihrer direkten Umgebung brauchen, um das Gefühl zu haben, dass ihre Wohnsituation nicht gefährdet ist. Dass sie alles in ihrer Nähe vorfinden, was sie wirklich zum Leben brauchen.

Aber wenn 37 Prozent der Befragten das Gefühl haben, dass sich die „medizinische Versorgung in ihrer unmittelbaren Umgebung“ in Zukunft verschlechtern wird, dann ist das nur ein Blitzlicht in eine Gesamtstimmung, die von Verlusten, staatlichem Rückbau und Gefährdung geprägt ist.

Da ist es eher banal, wenn die CDU-Fraktion auch noch fragen lässt, als was sich die Leute „in erster Linie“ fühlen: als Sachse (38 Prozent), Ostdeutscher (11 Prozent), Deutscher (30 Prozent) oder Europäer (16 Prozent).

Wobei die 16 Prozent für Europäer natürlich erfreulich sind. Der dumpfe Nationalismus in einigen sächsischen Bewegungen ist also nicht allgemein.

Aber auch hier fehlt etwas. Ich habe so das dumme Gefühl, die meisten Leipziger hätten „in erster Linie“ lieber gesagt, dass sie sich als Leipziger fühlen. Und mancher, der bei „Deutscher“ ja gesagt hat, hätte vielleicht lieber Bundesbürger gesagt. Auch diese Fragestellung ist – wenn man genau hinschaut – suggestiv. Und sie löst vor allem nicht die eigentliche Verkrustung: die der sächsischen CDU in ihrem künstlichen Heimat-Korsett. Die Möglichkeit, sich gar als multiples Wesen zu outen – zum Beispiel als Europäer mit Liebe zur deutschen Kultur und leichtem sächsischen Anhauch – war nicht drin. Die Befragten mussten sich selbst in Schubladen stecken.

Stellt sich die Frage: Wie viele Befragte haben an dieser Stelle wütend den Hörer aufgelegt oder den Befragern einfach mal ihre nicht gefragte Meinung gesagt?

Der ganze Fragekanon steckt voller Vorurteile. Da sind Sachsens Medien nicht ganz unschuldig. Sie haben 27 Jahre lang den willigen Verstärker für dieses Scheuklappendenken gegeben. Ja, auch die Schönwetter-Gesichter des MDR.

Aber dazu kommen wir im nächsten Teil.

Das SachsenBarometer der CDU-Fraktion.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

“Da ist es eher banal, wenn die CDU-Fraktion auch noch fragen lässt, als was sich die Leute „in erster Linie“ fühlen: als Sachse (38 Prozent), Ostdeutscher (11 Prozent), Deutscher (30 Prozent) oder Europäer (16 Prozent).” Da fehlt mindestens noch die Antwort: Sonstiges.
In Sachsen kann man sich ja auch schnell mal als Fremdkörper fühlen. Wer “Zugezogen” ist, wird sich möglicherweise auch nicht als Sachse, Deutscher, Europäer fühlen, wenn er bspw. aus den USA oder Südamerika kommt. Die Antwortmöglichkeiten sind arg eingeengt.

Schreiben Sie einen Kommentar