Manchmal hat man wohl zu Recht das Gefühl, dass einige Medien sich regelrecht wohlfühlen in amtlicher Hofberichterstattung. So wie die „Bild“-Zeitung, die am 14. Oktober vermeldete, die Zahl der Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher sei im ersten Halbjahr 2016 zurückgegangen verglichen mit dem Vorjahr. Und das habe wohl damit zu tun, dass die Jobcenter weicher geworden seien in ihrer Sanktionspraxis.

Dutzende Medien plapperten es nach – die FAZ zum Beispiel, die sich die Nachricht extra noch von einer „Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit“ bestätigen ließ. Und trotzdem ist sie falsch. Auch die Behauptung der Arbeitsagentur, man ginge jetzt „weicher“ mit den Sanktionierten um, ist falsch.

Darauf weist natürlich der Mann hin, der sich mit den ganzen Zahlen der Bundesagentur besser auskennt, als so ziemlich alle Journalisten, die sich mit der Berichterstattung zum Arbeitsmarkt beschäftigen: Paul M. Schröder vom BIAJ. Es ist ihnen nicht vorzuwerfen, dass sie immer wieder falsch liegen, denn die Zahlen aus Jobcentern und Arbeitsagenturen sind mittlerweile so bürokratisch ausdifferenziert, dass eigentlich nur noch der die Übersicht behält, der wirklich jede einzelne Definition beherrscht.

Zum Beispiel die der „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ (eLB). Das sind die eigentlich Betroffenen Arbeitslosen in „Hartz IV“, die einerseits nicht nur selbst ganz offiziell einen Job suchen, sondern auch vom Staat „gefordert“ sind, sich darum zu bemühen. Und weil man frei nach Peter Hartz diese „Forderung“ zu einem strafbewehrten Paragraphen gemacht hat, dürfen auf Grundlage dieser ganz speziellen Arbeitslosengesetzgebung Personen, die auch nur eine der vielen Forderungen ihrer Jobcenter-Agenten missachten, sanktioniert werden – also bestraft werden. Denn von positiven Sanktionen hat man in dem ganzen kafkaesken Konstrukt noch nichts gelesen. Und bestraft werden sie in der Regel, indem ihnen Geld aus dem Grundbedarf gestrichen wird, also Geld, das eigentlich gerade mal reichen sollte zur Sicherung des Existenzminimums.

2015 war diese Praxis der Jobcenter sogar gerichtlich gerügt worden – wenn auch nur in der um sich greifenden Gepflogenheit, „kooperationsunwillige“ SGB-II-Empfänger gleich in Ketten zu sanktionieren – ihnen also gleich über Monate das Existenzminimum zu kürzen. Was dann der Grund war für Bundesagentur und Medien, nun im Jahr 2016 eine „weichere“ Praxis zu vermuten.

Die Zahlen sagen das Gegenteil.

Auch wenn der erste Blick zeigt, wie Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) in Bremen feststellt: „Im ersten Halbjahr 2016 wurden von den 408 Jobcentern insgesamt 457.090 Sanktionen gegen erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLB) neu festgestellt (verhängt). Dies waren 42.143  (8,4  Prozent) weniger als im ersten Halbjahr 2015.“

Das hat die „Bild“-Zeitung gelesen und ihre Flott-flott-Meldung draus gemacht. Und die ganze Meute der Zeitungen, die die „Bild“-Zeitung für eine seriöse Quelle halten, hat es nachgeplappert.

Doch die Sanktionspraxis macht nur Sinn, wenn man weiß, wer eigentlich sanktioniert wird. Und das sind nun einmal die „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“. Und deren Zahl ist übers Jahr tatsächlich gesunken.

„Zugleich wurden von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit in jedem der sechs Monate des ersten Halbjahres 2016 insgesamt weniger erwerbsfähige Leistungsberechtigte registriert als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres. Das heißt: Der Anteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Leistungsanspruch durch eine Sanktion gekürzt wurde, war in jedem der ersten sechs Monate des Jahres 2016 größer als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres“, schreibt Schröder in seiner Analyse.

Heißt im Klartext: Von den verbleibenden erwerbsfähigen Leistungsberechtigten wurden deutlich mehr sanktioniert als im Vorjahreszeitraum. Die Jobcenter haben also die noch nicht in Arbeit, Maßnahmen oder Vorruhestand vermittelten Bezieher noch härter am Schlafittchen gepackt.

Die von den Jobcentern Sanktionierten im ersten Halbjahr 2015 bzw. 2016. Grafik: BIAJ
Die von den Jobcentern Sanktionierten im ersten Halbjahr 2015 bzw. 2016. Grafik: BIAJ

Die Zahl der eLB sank zwar von Juni 2015 bis Juni 2016 um rund 50.000, etwa 1,1 Prozent. Aber die Zahl der Sanktionierten stieg trotzdem – zum Beispiel von 129.587 im Juni 2015 auf 131.891. Es wurden also mehr Menschen bestraft, weil sie – zum Beispiel – einen Vorsprechtermin im Jobcenter versäumt hatten.

Nur die Zahl der vom Gericht gerügten Ketten-Sanktionen scheint etwas zurückgegangen zu sein.

Der Anteil der Sanktionierten aber stieg. Paul M. Schröder: „Im Juni 2016 betrug dieser Anteil 3,1 Prozent (131.891 von 4.317.582), im Juni 2015 betrug dieser Anteil 3,0 Prozent (129.587 von 4.367.607) – bei einer im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2015 um 8,4 Prozent reduzierten Zahl neu festgestellter Sanktionen.“

Es sieht also ganz so aus, dass man ein bisschen Rücksicht auf das Urteil des Sozialgerichts nimmt. Da aber die Jobcenter ihre Soll-Zahlen erreichen müssen, werden dafür mehr Betroffene, die den Anweisungen nicht widerspruchslos folgen, geschurigelt.

Paul M. Schröder: „Eine Zerlegung der im ersten Halbjahr 2015 und 2016 neu festgestellten Sanktionen scheint die Wirkung dieses Urteils zu bestätigen: Von Januar bis April 2015 (in etwa bis zum Urteil des Bundessozialgerichts) wurden 346.571 Sanktionen neu festgestellt, von Januar bis April 2016 ‚nur‘ noch 304.064. Veränderung: – 42.506. Im Mai und Juni 2015 (die ersten beiden Monate nach dem Urteil des Bundessozialgerichts) wurden 152.663 Sanktionen neu festgestellt, im Mai und Juni 2016 dann 153.026. Veränderung: +363.“

Schröders Fazit: „Ein ‚weniger hartes Durchgreifen‘ von ‚weicher werdenden Jobcentern‘ ist hierin und insbesondere in der oben dargestellten Entwicklung der monatlichen Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die von mindestens einer neu festgestellten Sanktion und damit von der Kürzung des ‚menschenwürdigen Existenzminimums‘ betroffenen sind, bisher nicht zu erkennen.“

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