Wenn keiner erfahren soll, wie wenig eine Superbehörde wie die Bundesarbeitsagentur eigentlich leistet, dann versteckt man die Probleme hinter bürokratischen Wortmonstern und bläst die Zahlen auf, bis den Arbeitsministern vor Staunen die Augen aus dem Kopf fallen. Eins dieser Monster hat sich jetzt Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) vorgeknöpft: „Bedarfsdeckende Integrationen“.
Klingt gut. Hat sich die Marketingabteilung wirklich was gedacht dabei. Man glaubt herauslesen zu können, dass es den fleißigen Jobcentern gelungen ist, ganz viele Menschen nicht nur in den Arbeitsmarkt integriert zu haben, sondern auch noch zu Bedingungen, dass diese Leute vom Lohn sogar leben können, ihren Bedarf decken können.
Und weil man alles hübsch addiert, kommen mächtig gewaltige Zahlen dabei heraus. Wenn die Mitarbeiter der Jobcenter wirklich so arbeiten würden, würden sie in der Bundesliga gegen Bayern München antreten können und locker gewinnen.
Die Zahlen, die jüngst wieder gebracht wurden: „1,102 Millionen ‚Integrationen‘ (INT) von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB), darunter 517.000 ‚bedarfsdeckende Integrationen‘, bei durchschnittlich 4,330 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. 179.000 der ‚Integrationen‘ galten laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit als ‚bedarfsdeckende Integrationen Langzeitleistungsbeziehender‘, bei durchschnittlich 2,881 Millionen Langzeitleistungsbeziehenden (LZB) unter den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Die ‚Integrationsquote‘ im Kennzahlenvergleich nach § 48a SGB II: 25,5 Prozent. Männer: 30,8 Prozent. Frauen: 20,4 Prozent.“
Wer sich mit dem ganzen Zahlenwerk nicht näher beschäftigt, sagt an der Stelle einfach nur „Wow!“ Jeder vierte Jobcenter-Kunde wurde wieder in eine Erwerbsarbeit vermittelt! Noch vier Jahre, und die Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt bei Null.
Ist natürlich Quatsch.
Denn die aufgeblasenen Zahlen entstehen nur, weil für jeden erwerbsfähigen Leistungsberechtigten pro Bezugsmonat eine Integration gezählt werden kann. Oder darf. Wer also zwölf Monate lang in „Hartz IV“ ist, kann mit bis zu zwölf „Integrationen“ in dieser Statistik auftauchen, selbst wenn er nur eine bekommen hat – eine Qualifizierungsmaßnahme zum Beispiel, eine geförderte Maßnahme oder eine Jobvermittlung. Wobei völlig egal ist, ob der Job ein Einkommen bringt, das zum Leben reicht oder gar zum Abschied aus „Hartz IV“.
„Die Kennzahl gibt also nicht wieder, wie viele verschiedene Personen im vergangenen Jahr in ein Beschäftigungsverhältnis [eine voll qualifizierende berufliche Ausbildung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit] integriert wurden, sondern die Anzahl der Integrationen bezogen auf den durchschnittlichen Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“, zitiert Schröder die Definition der Bundesarbeitsagentur.
Das Ergebnis ist also nichts anderes als eine Zahl für die „Straße der Besten“. Für Jobcenter-Leitungen im sozialistischen Wettbewerb. Und für Stadtverwaltungen, die sich gern in die Tasche pusten.
Aber was macht man mit den Zahlen, um ein reales Bild wirklicher Vermittlungen zu bekommen?
Dazu dient dann die Unterscheidung „bedarfsdeckend“ vor „Integration“.
Paul M. Schröder: „Als ‚bedarfsdeckend‘ gilt eine ‚Integration‘, wenn ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bzw. eine erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) drei Monate nach einer ‚Integration‘ weder Arbeitslosengeld II noch Sozialgeld bezieht, unabhängig davon, ob dies aus dem Einkommen aus der ‚Integration‘ resultiert.“
Was zwar nicht bedeutet, dass er oder sie von dem Job leben kann. Aber aus der Statistik des Jobcenters ist der Mensch verschwunden. Da liegt die Annahme nahe, er oder sie können ihren Bedarf jetzt selber decken.
Und da schnurzelt die Zahl von 1,102 Millionen gezählten „Integrationen“ schon mal auf 517.000 „bedarfsdeckende Integrationen“ zusammen.
Auf 4,33 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte bezogen, kommt dann schon mal eine deutlich kleinere Quote heraus, die wir mal nicht Vermittlungsquote nennen, weil noch immer heiße Luft drin steckt: „Die ‚bedarfsdeckenden Integrationsquoten Langzeitleistungsbeziehender‘ reichen im Jahr 2015 im Ländervergleich von 7,4 Prozent in Thüringen bis 5,3 Prozent im Land Bremen“, so das BIAJ.
Die Zahlen haben noch immer eine sehr „begrenzte Aussagekraft“, betont Schröder. Aber man sieht schon, wie klein die tatsächlich durch mutmaßliche Vermittlungen in eine Erwerbstätigkeit erreichte Gruppe ist.
Paul M. Schröder rechnet die Zahlen auch noch auf jene Gruppe herunter, die am ärgsten unter der deutschen Arbeitsmarktpolitik leidet: die Langzeitbezieher von ALG II. Da denkt man eigentlich, bei denen würden sich die Jobcenter besonders um Integration in den Arbeitsmarkt bemühen. Pustekuchen ist.
Da kommt Paul M. Schröder dann bundesweit nur noch auf 179.052 „bedarfsdeckende Integrationen“, die diesen Menschen zugute kamen. In Sachsen waren es 13.713.
Was für ein niedriger Wert das ist, wird deutlich, wenn man die Zahlen der Leistungsbezieher dagegen legt.
In Sachsen gab es 2015 im Schnitt 271.132 erwerbsfähige Leistungsbezieher. Davon waren 212.805 Langzeitbezieher, also satte 73 Prozent, die in der Regel über Jahre in der Obhut der Jobcenter sind und sich einer zunehmenden Zahl von Sanktionen erfreuen, die längst die Zahl der „Integrationen“ überschritten haben. Doch „bedarfsdeckende Integrationen“ gab es für diese Gruppe nur 13.713 Stück.
Unter der Annahme, dass hinter jeder „bedarfsdeckenden Integration“ auch so etwas wie ein Job steckt, konnten die sächsischen Jobcenter 6,9 Prozent der Langzeitbezieher vermitteln (oder einfach streichen, weil auch die Jobs, die sich die Leute selbst besorgen, als „Integration“ zählen).
Im Durchschnitt aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher lag die Quote bei 12,6 Prozent, was natürlich auch hier bedeutet: Wer erst seit Kurzem in „Hartz IV“ ist, hat doppelt bis drei Mal so große Chancen, wieder einen Job zu bekommen als die Langzeitbetroffenen.
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Alleinerziehende Mutter mit Teilzeitjob, Kind bekommt Unterhalt über dem Mindestsatz und Kindergeld = bedarfsdeckend integriert.
Abgeschoben in den vorzeitigen Ruhestand mit hohen Abschlägen, Partner auch = bedarfsdeckend integriert in die Grundsicherung, mit bissel Glück reicht auch Wohngeld.
Lässt sich beliebig fortsetzen