Eigentlich wollten ja die großen Anpacker der „Agenda 2010“ einen Haufen Probleme auf einmal lösen - Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, mehr Förderung organisieren mit klarer Forderung – ach ja - und die Soziallasten der Kommunen sollten sinken. Aber das Projekt ist auf ganzer Linie fehlgeschlagen. Und es wurde zu einer zusätzlichen Belastung für die Kommunen, wie jetzt Susanne Schaper bilanziert.

Sie ist die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Über ihre Anfrage zu den Sozialausgaben in den drei sächsischen Großstädten haben wir schon berichtet. Jetzt hat sie aber die Ergebnisse mehrerer Anfragen, die die Linksfraktion seit 2005 gestellt hat, gebündelt. Und das Ergebnis ist eindeutig: Trotz anhaltendem Wirtschaftsaufschwung und sinkenden Arbeitslosenzahlen steigen die Sozialausgaben weiter an – zumindest in Dresden und Leipzig. Nur Chemnitz hat die Belastung 2015 erstmals dämpfen können.

„Die Erwartung, dass die Sozialausgaben der kreisfreien Städte angesichts der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und des zwischenzeitlichen konjunkturellen Aufschwungs in Summe zurückgehen würden, hat sich nicht bestätigt“, kommentiert das Susanne Schaper. „Beliefen sie sich 2014 noch auf 727 Millionen Euro, so waren es im vergangenen Jahr 753 Millionen Euro, was einer Steigerung um 3,5 Prozent entspricht. Dabei ist zu beachten, dass es in Chemnitz zuletzt zu einer Senkung kam. Ob sich dieser Trend bestätigt, bleibt jedoch abzuwarten.“

Und die „Agenda 2010“? Die hat augenscheinlich dabei geholfen, in Sachsen die Niedriglohnpolitik über Jahre zu verfestigen und das Lohnniveau im Land zu drücken. Und zwar so ausufernd, dass die Einführung des Mindestlohns noch längst nicht reicht, um zehntausende erwerbstätige Sachsen aus der Armutsfalle zu holen: Sie sind noch immer auf zahlreiche soziale Beihilfen angewiesen, um ihren Alltag finanzieren zu können.

„Nimmt man das Jahr 2005 – das Jahr der Einführung von Hartz IV – als Ausgangspunkt, betrug der Aufwuchs der Sozialausgaben der drei Städte sogar fast zwei Drittel. Allein dies bestätigt, dass von einer finanziellen Entlastung der Kommunen, wie sie versprochen worden war, keine Rede sein kann“, stellt denn auch Susanne Schaper fest. „Das spiegelt sich auch im Anteil der Sozialausgaben an den Haushalten der Städte wider. Beliefen sie sich 2005 für Chemnitz auf 19, für Dresden auf knapp 17 und in Leipzig auf reichlich 23 Prozent, waren es 2015 schon 23, 21 bzw. 28 Prozent. Die Lage der Kommunen wäre wohl noch dramatischer, wenn es den gesetzlichen Mindestlohn – trotz seiner Unvollkommenheit – nicht geben würde.“

In den gestiegenen Sozialausgaben stecken unter anderem – als große Posten – die städtischen Anteile für die Kosten der Unterkunft und die städtischen Beiträge zur Finanzierung der Plätze in Kindertageseinrichtungen. Wenn man den Leipziger Sozialreport genauer liest, dann sieht man auch hier das gesamtdeutsche Phänomen eines zunehmenden Auseinanderklaffens von Arm und Reich. Die Lohnzuwächse der letzten Jahre haben vor allem die höheren Einkommensgruppen zulegen lassen, während bei den einkommensschwachen Haushalten immer nur winzige Zuwächse erfolgten, die nicht reichen, zu einem selbsttragenden Haushaltsbudget zu kommen.

Und darunter leiden in Sachsen die drei Großstädte am stärksten, denn betroffen sind vor allem die Haushalte, die die schlechtesten Chancen haben, an die besser bezahlten Arbeitsplätze zu kommen.

Susanne Schaper: „Nicht geändert hat sich die unterschiedlich starke Belastung der drei Kommunen. Nach wie vor weist Leipzig den mit Abstand höchsten Anteil der Sozialausgaben am Gesamthaushalt auf. Trotz angeblicher ‚boom town‘-Perspektive bleibt Leipzig also Sachsens Armutshauptstadt. Wir bleiben bei unserer Forderung an die Staatsregierung nach einem gerechten Soziallastenausgleich aus Landesmitteln, zumal es die Kommunen kaum in der Hand haben, die Ausgaben zu senken. Schließlich handelt es sich dabei um die Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben, etwa bei den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Betroffene oder originären Sozialhilfeausgaben.“

Die von der Linksfraktion erstellte Statistik

Sozialausgaben der kreisfreien Städte in Millionen Euro und Anteil am jeweiligen Gesamthaushalt

Jahr      Chemnitz         Dresden           Leipzig             Quelle (Drs)

2005    93,4 (18,9)       157,3 (16,6)     229,6 (23,4)     4/11328

2010    110,7 (18,6)     197,9 (17,3)     287,1 (25,3)       5/6025

2012    116,5 (22,6)     208,7 (20,0)     324,0 (27,3)     5/12155

2014    144,2 (26,6)     234,6 (20,2)     345,8 (27,3)     5/1845

2015    127,9 (23,2)     246,5 (21,0)     378,4 (28,3)     6/5242

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