Arbeit gibt es genug. Auch in Gesellschaften, in denen die Dienstleistungsbranche dominiert. Vielleicht sollten die großen europäischen Regierungen ihre bisherigen Wirtschaftsberater einfach feuern. Nicht die Arbeit macht sich rar, sondern das Geld. Es steckt in den falschen Töpfen. Was hat das nun mit dem Arbeitsmarkt in Sachsen zu tun?
Eine Menge. Denn der ist ein exemplarisches Beispiel für einen Arbeitsmarkt, dem durch eine ziemlich wilde Versuchsanordnung in den 1990er Jahren 20 Jahre später der nötige Nachschub an jungen Arbeitskräften fehlt. Halbierte Ausbildungsjahrgänge reichen nicht mehr aus, um den Bedarf der Wirtschaft zu decken. Und die mit der „Agenda 2010“ geschaffene billige Arbeitsmarktreserve schmilzt seit vier Jahren dahin, während in einigen Dienstleistungsbereichen (bis hin zum öffentlichen Dienst) der Arbeitskräftebedarf deutlich wächst.
Allen voran im Pflegebereich, auch wenn derzeit eine obskure Zahlenzusammenstellung aus dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) die Medien begeistert und zu Schreckensmeldungen animiert. Wie am 30. März etwa in der „Zeit“: „Lebenserwartung in Deutschland hängt vom Einkommen ab“. Auch „Spiegel Online“ titelte, als wäre das kein alter Hut: „Lebenserwartung in Deutschland: So groß sind die regionalen Unterschiede“.
Tatsächlich sind die regionalen Unterschiede eher ein Witz, oder um „Spiegel Online“ zu zitieren: „Auf 77,1 Jahre wird die Lebenserwartung der Mädchen geschätzt. Zum Vergleich: Spitzenreiter ist der Kreis Breisgau-Hochschwarzwald mit 85 Jahren“. Die eigentliche Nachricht ist: Die Deutschen werden immer älter. Und zwar überall im Land, auch in Regionen, in denen die Einkommen eigentlich laut „Zeit“ dafür sorgen müssten, dass das nicht der Fall ist. Im Osten zum Beispiel. Leipzig erscheint auf der Landkarte mit erwartbaren 83,1 Jahren bei Mädchen, der Landkreis Leipzig mit 83,2, Dresden sogar mit 84,7. Das sind fast Hochtaunus-Verhältnisse. Und wer sich in ganz Mitteldeutschland umschaut, sieht überall Lebenserwartungen über 80 Jahre.
Und die Zunahme der Alten sorgt natürlich auch dafür, dass die Pflegebranche regelrecht boomt. Hier entstehen auch in Sachsen die meisten neuen Arbeitsplätze, teilte die sächsische Arbeitsagentur am Donnerstag, 31. März, mit den neuen Arbeitslosenzahlen mit.
„Nach ersten Hochrechnungen waren in Sachsen im Januar 2016 rund 1,532 Millionen Frauen und Männer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Vergleich zum Vorjahr sind 29.200 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Damit liegt der Beschäftigungsanstieg bei 1,9 Prozent. – Den kräftigsten Beschäftigungszuwachs gab es im Sozialwesen (plus 6.600), im Bereich der wirtschaftlichen Dienstleistungen (plus 4.300) und in der Verkehrs- und Logistikbranche (plus 4.100), im Handel (plus 3.100) sowie bei technischen Dienstleistungen (plus 2.900). Aber auch im Gesundheitswesen (plus 2.400) und im Gastgewerbe (plus 1.800) sind mehr Menschen beschäftigt als noch vor einem Jahr.“
Und das bildet sich auch in der aktuellen Arbeitskräftenachfrage ab: „Die meisten neuen Stellen wurden im März von den Unternehmen aus der Zeitarbeit (2.822), dem Verarbeitenden Gewerbe (994), dem Gesundheits- und Sozialwesen (926), dem Handel (817), dem Baugewerbe (569) und aus der Gastronomie (516) gemeldet.“
Wobei natürlich völlig unklar ist, für wen die Zeitarbeitsagenturen tatsächlich Fachkräfte suchen. Das können ebenfalls wieder Pflegekräfte, Bauarbeiter und Industriefacharbeiter sein.
Logisch, dass auch die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, Reinhilde Willems, sagen kann: „Die Arbeitsmarktentwicklung präsentiert sich weiter besser als vor einem Jahr. Außerdem hat die Frühjahrsbelebung eingesetzt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hoch und die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Gemeinsam mit den Unternehmen müssen wir noch mehr als bisher in die Personalrekrutierung investieren. Es geht uns vor allem darum, durch Qualifizierung die Menschen fit zu machen für die Anforderungen der aktuellen und künftigen Leipziger Arbeitsplätze. Wichtig ist, dass aus Weiterbildung neue Chancen entstehen und die Leipziger Wirtschaft die gesuchten Arbeitskräfte auch in Zukunft bekommt.“
Schöne Feststellung: „noch mehr in Personalrekrutierung investieren“.
Das ist schlicht das Eingeständnis, dass auch die stillen Reserven, die Leipzig noch hatte im Arbeitsmarkt, so langsam verschwunden sind.
Insgesamt waren im März 27.517 (Vormonat 27.897) Männer und Frauen in Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang im Vergleich zum Februar betrug 380 Personen.
In den Altersgruppen gab es eine ähnliche Entwicklung. Bei den jungen Leuten und bei den Älteren sank sie. Der Rückgang bei den unter 25-Jährigen betrug – 19, insgesamt gibt es derzeit 2.318 Arbeitslose in dieser Altersgruppe, das sind 108 mehr als vor einem Jahr. Was vor allem daran liegt, dass immer mehr der in Leipzig angekommenen Flüchtlinge jetzt auch in die Arbeitsvermittlung integriert werden.
4.192 Ausländer sind gegenwärtig in Leipzig arbeitslos gemeldet. Das waren 131 mehr als im Februar 2016 und 681 mehr als im März 2015.
Und die Leipziger Wirtschaft sucht weiter: Beim Bestand an offenen Arbeitsstellen verzeichnete der gemeinsame Arbeitsgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter Leipzig im März einen Anstieg gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben aktuell 5.309 freie Stellen, das waren 99 mehr als im Februar und 1.181 mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.
Dienstleistung ist das absolute Mega-Thema der Gegenwart. Und das ist eben nicht mehr nur Straßefegen und Fensterputzen.
„Unsere direkten Kontakte zu den Arbeitgebern Leipzigs zeigen uns, dass die Anforderungsprofile von Stellen und die zur Verfügung stehenden Qualifikationen von Bewerbern mitunter nicht ausreichend zusammenpassen“, sagt Willems. „Deshalb bitte ich die Arbeitgeber, uns ihren konkreten Bedarf anzuzeigen. Unser Ziel ist es, die Qualifizierung am konkreten Bedarf der Betriebe auszurichten. Die Kolleginnen und Kollegen in unserem gemeinsamen Arbeitsgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter Leipzig beraten Sie gerne zu den finanziellen Unterstützungen bei der Einstellung und zu den Möglichkeiten der Weiterbildung von arbeitslosen Bewerberinnen und Bewerbern.“
Und weil der junge Nachwuchs fehlt, werden die älteren Arbeitnehmer, wo es geht, gehalten. Was gerade bei den Älteren für einen deutlichen Rückgang der arbeitslos Gemeldeten führt: Der Rückgang bei den über 50-Jährigen lag bei 129, damit waren im März 8.184, 668 weniger als vor einem Jahr arbeitslos gemeldet.
Auf eine Gruppe aber trifft das nicht zu: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig nahezu unverändert geblieben. Im März waren 8.912 Menschen langzeitarbeitslos (plus 3 Personen). Im Vergleich zum März 2015 gab es 171 Langzeitarbeitslose weniger.
Zum statistischen Zähltag im März betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 9,6 Prozent (Vormonat: 9,7 Prozent). Im März 2015 lag sie noch bei 10,3 Prozent.
Und die einzelnen Verwaltungsbereiche:
Im März waren 6.073 Menschen im Rechtskreis SGB III in der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 375 weniger als im Vormonat und 417 weniger als im März 2015.
Im Rechtskreis SGB II waren 21.444 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren 5 weniger als im Februar 2016 und 1.051 weniger als vor einem Jahr. 77,9 Prozent aller arbeitslosen Leipziger wurden vom Jobcenter und 22.1 Prozent von der Arbeitsagentur Leipzig betreut.
In Leipzig gab es im März 40.567 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 112 mehr als im Vormonat und 1.491 weniger als im März des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 50.490 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug dort der Anstieg 89 Personen. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 1.937 Personen.
Da das Frühjahr gerade begonnen hat, wird die Zahl der als arbeitslos Registrierten weiter sinken. Ob Leipzigs Arbeitsvermittler gut sind in der Vermittlung, wird sich zeigen, wie sich die Zahl der arbeitslosen Ausländer entwickelt.
Und wer die Leipziger Zahlen zur steigenden Lebenserwartung in Leipzig noch haben möchte: 2004 konnten neugeborene Mädchen mit einer Durchschnittslebenserwartung von 81,9 Jahren rechnen, 2012 waren es die 83,3 Jahre, die jetzt in der medialen Orakelei, ob Einkommen oder Wohnort nun über die Lebenserwartung entscheiden, eine Rolle spielen. Bei Jungen stieg die Lebenserwartung von 75,4 auf 77,5 Jahre.
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