Die SPD ist zwar manchmal eine etwas konfuse Partei, was die Wirtschaftspolitik betrifft. Aber mit dem Kampf um den Mindestlohn hat sie eine gewisse Beharrlichkeit gezeigt, die seit dem 1. Januar 2015 tatsächlich spürbare Wirkung entfaltet. Deutschlandweit verschiebt sich das Einkommensgefüge. Viele, die vorher mit einem Mini-Job vorlieb nehmen mussten, sind in deutlich höhere Einkommensgruppen gewechselt.
Mit dem Thema hat sich jetzt mal wieder Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) beschäftigt. Dabei hat er sich wieder die „Aufstocker“ genauer angeschaut, jene Menschen, die trotz einer Anstellung immer noch auf die Zuzahlung aus dem Jobcenter angewiesen sind. Ganz aufgeräumt hat der Mindestlohn mit der Notwendigkeit des Aufstockens nicht. Auch in Sachsen nicht, auch wenn die Zahl der Aufstocker binnen eines Jahres – von Oktober 2014 bis Oktober 2015 – sichtlich sank: von 97.648 auf 85.212, ein Rückgang von 12,7 Prozent. Höher waren die Rückgänge nur noch in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Und die Rückgänge sind im Osten ja so hoch, weil einerseits gerade hier besonders viele niedrig entlohnte Jobs aus dem Boden gestampft wurden, andererseits aber längst der eigene Berufsnachwuchs nicht mehr ausreicht, um alle angebotenen Stellen auch zu besetzen. Spätestens ab 2011 hätte die Mini-Job-Politik im Osten eigentlich beendet werden müssen. So betrachtet ist das, was 2015 begann, ein regelrechter Nachholeffekt.
Der mit einiger Sicherheit noch ein paar Jahre anhalten wird, denn die Tatsache des Nachwuchsmangels ist ja nicht aus der Welt. Es werden also noch weitere Menschen, die jetzt noch aufstocken müssen, mit der Zeit in eine volle Bezahlung wechseln können.
Was Schröders Statistik sichtbar macht, ist schon ein kräftiger Verschiebeeffekt. Den beschreibt er selbst so: „In den anderen Einkommensgruppen stellt sich dies deutlich anders dar. In Westdeutschland wurden in allen Einkommensgruppen über 450 Euro im Oktober 2015 mehr abhängig Erwerbstätige mit ergänzendem Anspruch auf Alg II gezählt als im Oktober 2014. In Ostdeutschland wurden lediglich bei den abhängig Erwerbstätigen mit einem Bruttoeinkommen von über 1.200 Euro im Oktober 2015 mehr Erwerbstätige gezählt als im Oktober 2014.“
Was ja im Klartext heißt: Im Osten wechselten deutlich mehr Personen gleich aus einem Mini-Job in einen Vollzeitjob, auch wenn der dann noch nicht unbedingt reicht, die Aufstockerei zu beenden. Aber es ist ein deutliches Zeichen für den gewachsenen Arbeitskräftebedarf.
Was für den Osten im Allgemeinen gilt, gilt natürlich auch für Sachsen im Speziellen: Bei den Aufstockern mit Bruttoeinkommen bis 450 Euro im Monat gab es einen zahlenmäßigen Rückgang von 8.732 Personen – was minus 18,3 Prozent sind. Im Bereich von 450 bis 850 Euro Monatsverdienst betrug der Rückgang 1.697 Personen ( – 10,3 Prozent) und im Bereich 850 bis 1.200 Euro waren es 2.345 Personen weniger (- 16,2 Prozent).
Nur in der von Schröder genannten Gruppe über 1.200 Euro gab es einen Anstieg von 1.012 Personen (+ 8,2 Prozent), die weiterhin aufstocken müssen.
Aber unübersehbar ist, wie die Zahl der Menschen, die sich mit Mini- und Midi-Jobs durchschlagen müssen, im Jahr 2015 deutlich abschmolz in Sachsen – und zwar auch in Bereichen, die den Arbeitsuchenden im Freistaat noch vor wenigen Jahren als auskömmlich und völlig ausreichend angeboten wurden – etwa dem Niedriglohnbereich 850 bis 1.200 Euro. Was vielleicht im Jahr 2000 noch ausgereicht hätte, um sich einigermaßen durchzuschlagen, im Jahr 2016 aber nicht mehr.
Es ist wohl anzunehmen, dass die Zahl der sächsischen und der ostdeutschen Aufstocker weiter sinken wird. Zumindest, solange die Wirtschaft nach Arbeitskräften schreit, was sie nach wie vor tut.
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