Jedes Jahr gibt's aus dem Amt für Statistik der Stadt Leipzig eine frisch ausgewertete Bürgerumfrage, sozusagen den statistischen Gesundheitsbericht zur Lage der Stadt. Und alle fünf Jahre gibt es dann aus all den jährlich gesammelten Daten noch einen „Trendreport“. Den neuesten haben Ulrich Hörning, Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung, und Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen, am Donnerstag, 18. Februar, vorgestellt.
Ist das nun ein gutes Planungsinstrument für die Verwaltung? Oder ist das eher eine Rückschau mit Aha-Effekt? Denn wenn man ehrlich ist: Den Fiebverkurven zur persönlichen Lebenslage, zu Einkommen, Mieten und Verkehrsmittelwahl kann man ja nicht wirklich ablesen, was demnächst geschehen wird. Die nächste Finanzkrise kann die Suppe wieder verhageln. Oder doch nicht?
Tatsächlich scheint hinter der abgefragten Stimmungsschwankung immer auch ein Trend zu stecken, etwas Größeres, was mit dem kurzfristigen Oweh und Owei nichts zu tun hat. Eigentlich auch ein kleines Lehrstück für Medien. 1991 bis 1993 waren sie geradezu euphorisch, haben den Ostdeutschen wahre Wunder angekündigt, einen gewaltigen Aufschwung, wenn erst mal die D-Mark kommt und die Wirtschaft brummt. „Aufbruch und Aufbau Ost“ haben die Leipziger Statistiker diese Frühphase genannt, bevor dann die Stimmung ab 1993 völlig kippte: Die großen Unternehmen machten dicht, die Arbeitsplätze lösten sich in Luft auf, während die Städte noch immer nicht saniert waren – gebaut wurden nur gewaltige Parks auf der grünen Wiese. Die Abwanderung – auch aus Leipzig – lief auf Hochtouren. Katerstimmung.
So benennen die Statistiker diese Phase lieber nicht, sondern: „Abschwächung des Aufholprozesses“.
Stimmt auch irgendwie, denn die frühen 1990er waren ja tatsächlich – nach dem tiefen Fall – eine Aufholphase. Aber auch eine, in der sich erst einmal tragfähige Strukturen herausbilden mussten. Was funktionierte? Was funktionierte nicht?
Die belämmerte Einsicht für viele Hoffnungsvolle: Ein Großteil der „abgebauten“ Arbeitsplätze kam nicht wieder. Die Leipziger Wirtschaft sortierte sich auf deutlich niedrigerem quantitativen Niveau neu. Fast vergessen schon: An Leipzig waren da die großen Ansiedlungen alle vorbeigegangen. Die Landesregierung hatte sie lieber nach Dresden gelenkt. Erst die Katerstimmung um 1997 ließ auch die Landesregierung reagieren und sich um wichtige Anker-Ansiedlungen für die Leipziger Industrie kümmern, sodass dann Porsche und BMW sich noch im letzten Moment für Leipzig entschieden.
Aber die Fieberkurve zeigt auch, wie lange es dauert, bis solche Entscheidungen sich auch in echte Fortschritte verwandeln, die die Bürger auch spüren. Noch bis 2002 fiel die Leipziger Stimmungskurve immer tiefer. (Obwohl die Medien den Olympia-Hype feierten auf allen Kanälen.)
Da staunte selbst Ulrich Hörning: Es dauert erstaunlich lange, bis eine messbare Trendumkehr bei Arbeitsplätzen und Bevölkerungszahl auch im Bewusstsein der Bürger ankommt.
Seit 2000 hatte Leipzig schon einen positiven Wanderungssaldo: Es zogen mehr Menschen nach Leipzig, als wegzogen. Das verstärkte sich über die nächsten Jahre.
Doch das Tal der trüben Laune („Phase der Verunsicherung und der Neuorientierung“ nennen es die Statistiker) dauerte in Leipzig ungefähr bis 2005. Das war das Jahr, als der damalige Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller mit einem großen Blumenstrauß in die Geburtsklinik marschierte, um den 500.000. Leipziger zu begrüßen. Ein guter symbolischer Akt, auch wenn Leipzig – nachdem die alte Kernstadt zwischenzeitlich bis auf 430.000 Einwohner geschrumpft war – die 500.000 wohl doch erst etwas später erreichte. Aber 2006 war die Botschaft dann angekommen: Nach Porsche hatte auch BMW im Leipziger Norden die Arbeit aufgenommen. Die Schubkräfte wurden spürbar. Und seitdem befindet sich Leipzig – so nennen es seine Statistiker – in der „Phase des starken städtischen Wachstums“. Die Stadt eilt auf die 600.000-Einwohner-Marke zu, die Beschäftigtenzahl wächst und siehe da: Je mehr Leipziger einigermaßen gut in Lohn und Brot stehen, umso zufriedener sind sie mit ihrem Leben.
Das ist die berühmte gemessene Lebenszufriedenheit. „Glücksforschung nennt man das heute“, sagt Ulrich Hörning.
Die steckt als Teil mit drin in der oben beschriebenen Fieberkurve. Tatsächlich glättet sie die Kurve eher, denn die eigentlichen Besorgnisse hatten die Leipziger in den Jahren von 1991 bis 2014 natürlich immer besonders in Bezug auf ihre eigene finanzielle und wirtschaftliche Lage und logischerweise auch in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung der Stadt. Da schlug nicht nur der abgebrochene „Aufbau Ost“ ins Kontor, sondern auch die gesamtdeutsche Wirtschaftsbetrübnis bis 2002, und dann 2008 ff. logischerweise auch die Finanzkrise.
Und – auch das darf man nicht vergessen – auch „Hartz IV“ schlug voll ein: Zwar stieg im Gefolge dieser „Arbeitsmarktreform“ die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse – dafür gingen die realen Durchschnittseinkommen deutlich zurück. Etwas, was viele Leipziger bis heute spüren – denn die Realeinkommen sind für Viele noch längst nicht wieder auf dem Höchststand von 2000 angekommen. Aber sichtbar wird auch: Allein schon die Stabilisierung der Wirtschaft und das Wachstum des Arbeitsmarktes haben vielen Leipzigern die latenten Ängste genommen. Die Kurve der Lebenszufriedenheit ist langsam, aber kontinuierlich angestiegen. Gaben 1992 die Leipziger im Durchschnitt eine Note 2,6, so stand 2013 und 2014 eine 2,2 da. Und auch die Arbeitslosen, die jahrelang eher zur 3,5 tendierten, vergeben neuerdings Durchschnittsnoten unter 3.
Viel kann die Stadt mit diesen Stimmungs-Abfragen eigentlich nicht anfangen, außer für sich die Botschaft mitnehmen: „Ja nichts gegen die Wirtschaft tun. Alles tun dafür, dass es immer weiter neue Arbeitsplätze gibt.“ Da ist sie ja seit 2006. Die Botschaft, dass die Anstrengungen für höhere Einkommen und Sicherung des Nachwuchses noch viel stärker werden müsen, scheint noch nicht ganz angekommen. Auf jeden Fall nicht in Dresden, wo die Landesregierung noch immer so tut, als könnte man so luschig damit umgehen wie in den 1990er-Jahren.
Tatsächlich zeigt die Leipziger Entwicklung, wie sich ein für die Region elementarer Wirtschaftskern stabilisiert und sich eine nächste Phase ankündigt. Und das könnte durchaus eine sein, in der die gewachsene Stadt auf einmal echte Probleme bekommt, weil die verfügbaren Ressourcen (Finanzen, Wohnraum, ÖPNV) nicht mitgewachsen sind.
Zu Letzterem kommen wir gleich an dieser Stelle.
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