Muss man sich um Dresden Sorgen machen? Immerhin meldet das Statistische Landesamt am 12. November erstmals einen Bevölkerungsrückgang für die sächsische Landeshauptstadt von Dezember 2014 zum März 2015 um 323 Personen. Fliehen die Dresdner jetzt aus der Hauptstadt der Pegidisten?
Nicht wirklich. Auch wenn das erst im Detail deutlicher wird: Städte atmen. Menschen ziehen hin, ziehen weg. Oft im Zyklus von Ausbildung und Beruf. Kinder werden geboren – und auch das ändert sich mit den Jahreszeiten. Das erste Quartal im Jahr ist kein besonders geburtenfreudiges. Dafür ist der trübe Winter eine Hochzeit des Sterbens. Das gilt selbst für das hochtechnisierte 21. Jahrhundert.
Das wird deutlicher, wenn man bei der Stadt Dresden mal selbst in die Statistik schaut: 1.425 Geborenen standen im ersten Quartal 2015 immerhin 1.621 Gestorbene gegenüber. Was dann ein Minus von 196 macht. In der warmen Jahrszeit sterben in Dresden im Schnitt 1.300 Menschen im Quartal, während 1.500 Lebendgeburten gezählt werden. Und der Blick ins 2. und 3. Quartal zeigt, dass das in Dresden auch 2015 so ist. Und dasselbe gilt für den Wanderungsgewinn. Der fiel in Dresden per 31. März 2015 zwar mit 75 Personen negativ aus – was natürlich damit zu tun hat, dass an den Hochschulen ein Semester zu Ende ging. Da zogen erst einmal mehr Menschen aus Dresden weg als hinzogen. Aber auch hier zeigt der Blick in die Statistik der Stadt Dresden selbst, dass sich das im 2. und 3. Quartal wieder umgekehrt hat.
Der Wanderungssaldo, den Dresden für September meldete, lag bei plus 1.313, der Saldo aus Geburten und Todesfällen bei plus 511.
Am Jahresende 2015 wird Dresden also wieder einen ordentlichen Bevölkerungsgewinn haben. Der Rückgang von 536.308 auf 535.985 im März 2015 wird eher eine Notiz für die Statistik.
Aber solche Ausschläge zeigen eben auch, wie die sächsischen Großstädte tatsächlich ticken und wie sehr das Bevölkerungswachstum in Sachsen verknüpft ist mit dem Atemrhythmus seiner Hochschulen. (Erstaunlich, dass überhaupt einer auf die Idee kam, sie zu beschneiden.)
Das gilt noch viel mehr für Leipzig, das durch Zuzüge freilich noch viel stärker wächst als Dresden. Was dann im März die offizielle amtliche Leipziger Bevölkerungszahl gegenüber Dezember 2014 von 544.479 auf 546.451 wachsen ließ. Und das bei einem deutlich größeren Defizit aus Geburten und Sterbefällen: Auf 1.596 Geburten kamen 1.829 Sterbefälle, ein Minus von 233. Dafür betrug das Zuwanderungsplus 2.091.
Wichtige Zwischenbemerkung: Wenn sich die Zahlen aus den Städten und dem Statistischen Landesamt hier zum Teil deutlich unterscheiden, hat das mit der unterschiedlichen Erhebungsmethode zu tun. Die Landesstatistiker rechnen mit den Zahlen aus dem Zensus 2011 weiter, die Städte greifen lieber direkt auf die Zahlen der Melderegister zurück.
Aber die Zahlen der Landesstatistiker machen ebenfalls deutlich, wie sehr der Rhythmus von Studium und Ausbildung auch die gesamte Bevölkerungszahl des Freistaats beeinflusst. Denn da der Zuzug von neuen Studierenden aus anderen Ländern und Bundesländern im März in der Statistik fehlt, rutscht die Gesamtbilanz des Freistaats schon aufgrund der hohen Sterbezahlen in den ersten drei kalten Monaten ins Minus.
Von 4.055.274 sank die Bevölkerungszahl auf 4.053.679. Ein Minus, das auch deutlich macht, was passiert, wenn die drei Großstädte als Wachstumsmotoren ausfallen. Nur hier wachsen Bevölkerung, Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft. Nirgendwo sonst.
Fehlt nur noch Chemnitz, aber dort wuchs die Bevölkerung im 1. Quartal ebenfalls von 243.521 auf 244.075. Was dann freilich in Summe mit Leipzig nicht reicht, die eigentlichen Bevölkerungsverluste in den Landkreisen auszugleichen. Dort gab es bis Frühjahr 2015 keinen Ausgleich durch irgendeine Art Zuwanderung (auch wenn sich die kleinen Städte im Speckgürtel der Großstädte über solche Mitnahmeeffekte freuen).
Die Zahl der Bewohner der Landkreise sank also weiter von 2.730.966 auf 2.727.168. Und daran wird sich nichts ändern, wenn die Landesregierung nicht ein echtes Strukturentwicklungsprogramm für Sachsen auflegt. Selbst das jetzt aufgelegte 800-Millionen-Euro-Investitionsprogramm wird daran nichts ändern, denn es setzt das alte, erfolglose Gießkannenprinzip fort, ohne dass auch nur ansatzweise geklärt wurde, wie man wichtige Versorgungsstrukturen in den ländliche Räumen stabilisieren kann: Krankenhäuser, Ambulanzen, Schulen, Polizeiwachen, Feuerwehr, Rettungsdienste usw. usf.
Man ahnt so ein wenig, warum auch Abgeordnete der regierenden CDU immer wieder in regelrechte Panik verfallen und Alarmrufe zur Flüchtlingsthematik versenden, stets nach dem Motto: “Macht die Grenzen dicht!”
Denn beides hängt miteinander zusammen: Die Organisation funktionierender Infrastrukturen für die heimische Bevölkerung und die Integration von Flüchtlingen. In einigen Medien sieht das dann zwar wie eine nicht zu bewältigende Flut aus, können einige eifrige Kommentatoren gar nicht genug bekommen von immer neuen Übertreibungen.
Aber die schlichte Wahrheit ist: Ein Land wie Sachsen dürfte überhaupt keine Probleme haben, im Jahr 45.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist die aktuelle Zahl aus dem November. Dass jetzt so viele auf einmal kommen, ist eher das organisatorische Problem. Aber auch das ist selbstverschuldet von einer europäischen Verweigerungsgesellschaft, die nun seit fünf Jahren versucht hat, die Folgen der Bürgerkriege in Syrien, Irak und Afghanistan irgendwo an den viel beschworenen Außengrenzen der EU abzublocken – mit den verheerenden Folgen auf dem Mittelmeer. Fast fünf Jahre komplette Verantwortungs-Verweigerung sind jetzt in eine Situation gemündet, auf die die Bundesländer natürlich nicht vorbereitet waren.
Von den 45.000 Flüchtlingen, die bis jetzt nach Sachsen gekommen sind, werden bis Jahresende rund 37.000 übrigens an die Kommunen überwiesen, an Leipzig allein 4.912. Das ist dann die eigentliche Aufgabe, die zu bewältigen ist. Eine Aufgabe, die mit wesentlich weniger Provisorien über die Bühne gehen würde, gäbe es in Sachsen auch nur den Ansatz einer durchdachten Strukturpolitik.
Weil es sie aber nicht gibt, werden wir immer wieder über neue Verwerfungen berichten (müssen), die durch die gepflegte Gießkannenpolitik der Vergangenheit erzeugt werden, jeder Fall skurril und für die Betroffenen nicht verständlich. Aber falsches Denken führt zu falschen Ergebnissen, auch zu falschem Mitteleinsatz. Die deutschen Ingenieure mögen ganz gut sein (wenn sie nicht gerade Automotoren manipulieren), aber die Staatsingenieurkunst ist in Sachsen eine aufs höchste unbeliebte Kunst.
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