Die Probleme kommen erst auf Seite 80. Auch wenn man sich fragt: Sind das wirklich die Probleme einer Stadt wie Leipzig? Ist das alles nicht eine Ecke kleinkariert, was die "Bürgerumfrage 2014" den Befragten wieder als Auswahl angeboten hat - von "ärztlicher Versorgung" bis "Zustand der Sportanlagen"? Oder - als vorletztes Kreuzchenangebot: "Zusammenleben mit Ausländern". Diese Problemliste verwenden Leipzigs Statistiker nun schon seit Jahren.
Eigentlich ist es keine echte Problemliste, sondern eine Ämterliste, so zusammengewürfelt, dass am Ende die Leipziger Stadtverwaltung irgendwie ein Ranking hat mit den “größten Problemen”, bei denen sie selbst aktiv werden muss. Ein genauso unsinniges Ranking wie das zu der Frage, wo die Stadt sparen soll und wo nicht.
Medienkampagnen schüren Problemsichten
Man braucht schon eine Menge Phantasie, um aus den prozentualen Aussagen irgendeine Art vernünftige Stadtpolitik zu schustern. Was man freilich ablesen kann, wenn man die jährlichen Zeigerausschläge betrachtet, ist die Wirkung von Medienkampagnen. Denn wenn eine solche Angebotspalette von Problemen derart lebensfremd ist, dann hat der Bürger beim Ankreuzen nur eine Chance: entweder verweigert er das Kreuzchenmachen komplett und schreibt dick übers Blatt “Was für ein Blödsinn!” oder er versucht sich zu erinnern, was die üblichen Problemberichterstatter gerade für wichtig halten, die Medien. Fast hätte ich hier geschrieben “die Boulevardmedien”. Aber längst sind auch einstmals gestandene Tageszeitungen und öffentliche Sender Verstärkungsmaschinen für Boulevardaufreger geworden. Und sie tragen damit dazu bei, dass Themen, die eigentlich im Alltag der Menschen kaum eine Rolle spielen, zu Aufregern und Schlagzeilenkanonaden werden.
Das betrifft auch den Topos “Zusammenleben mit Ausländern”. Irgendwie fand das Leipzigs Verwaltung mal wichtig abzufragen. Immerhin haben sich einige einschlägige Medien in Leipzig ja über Jahre bemüht, dieses Thema zu kriminalisieren und jeden Vorfall irgendwo an der Eisenbahnstraße so aufzublasen, dass sich kein Leipziger aus anderen Ortsteilen auch nur noch in die Nähe des Leipziger Ostens traute.
Aber die Umfrageergebnisse seit 2010 zeigen, dass dieses Thema völlig vom Scharfmachen in den Medien abhängt. Damals machten 10 Prozent der Befragten ihr Kreuzchen bei dem Thema. 2011 hatte sich einfach kein brandheißer Aufhänger gefunden – das Thema verschwand fast völlig aus dem Bewusstsein der Leipziger, nur 5 Prozent sahen es noch als “Problem” an, was immer man darunter verstehen mag. 2013 hatte man dann wieder mal ein paar Geschichten zur Eisenbahnstraße hyperventiliert – der Wert stieg auf 12 Prozent, was dann übrigens dieselbe “Problemlage” war wie bei Wohnkosten, Baustellen und Parkplätzen.
2014 wurde das Thema “Ausländer” hochgekocht
Alles Themen, bei denen man schon beim Benennen merkt, was für ein seltsam altbackenes Lebensbild die Leipziger Stadtverwaltung hat – und wie sehr das kleinbürgerliche Genervtsein sich hier aufzeigt.
Und nun dieses Jahr 2014, in dem Laufbewegungen wie Pegida und Legida auf einmal die Schlagzeilen dominierten und das Thema “Zusammenleben mit Ausländern” so richtig zum “Problem” hochkochte. Ein echtes Aufmerksamkeitssyndrom. Die “Bürgerumfrage” fand genau in der heißen Zeit statt, als Pegida in Dresden für Schlagzeilen sorgte. Ergebnis: auf einmal sahen 24 Prozent der Befragten das “Zusammenleben mit Ausländern” als Problem.
Wobei auch Leipzigs Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller bei so einem Wert den Kopf wiegt: Vielleicht meinen die Befragten ja auch nur, dass etwas als problematisch diskutiert wird, ohne dass es für die Befragten tatsächlich ein Problem ist. Was trotzdem Zeichen dafür wäre, wie leicht sich eine Gesellschaft von Themensetzungen in den Medien steuern lässt.
Kriminalität und Sicherheit in einem Aufwasch
Was übrigens genauso auf das Thema “Kriminalität, Sicherheit” zutrifft. Genau so lautet die Formel, die in der Bürgerumfrage anzukreuzen ist, obwohl die beiden Begriffe völlig unterschiedliche Dinge bezeichnen. Ist nun die Kriminalität ein Problem oder die Sicherheit? Vielleicht bringt es der nächste Verwaltungsbürgermeister fertig, diesen Unfug zu kassieren.
Mal ganz zu schweigen davon, dass auch hier einige Medien deutschlandweit versuchen, die Verunsicherung zu schüren. 2010 sahen nur 29 Prozent der Leipziger hier ein Problem, 2011 waren es auf einmal 41 Prozent, 2013 47 Prozent und 2014 dann 56 Prozent. Wer mag, kann sich ja an die vielen verqueren Aktionen erinnern, die insbesondere vor der OBM-Wahl 2014 gestartet wurden, um der Leipziger Stadtverwaltung ein Polizei- und Sicherheitsproblem anzudichten.
In der “Bürgerumfrage 2014” wurde auch der sehr umstrittene Fragenkatalog von 2011 wiederverwendet, der aber – so Andreas Müller – den Vorteil habe, wirklich herauszubekommen, wie es mit ausländerfeindlichen Einstellungen in Leipzig bestellt ist. Und wer vor allem ausländerfeindliche Ressentiments pflegt.
Das Ergebnis bestätigt die Ergebnisse der Vorjahre: Es sind vor allem die Älteren und die sozial Benachteiligten, die sich besonders ausländerfeindlich äußern. Oder “ihre Ängste äußern”, wie es die Leipziger Statistiker formulieren, denn in der Regel steckt hinter den Äußerungen über Ausländer selten eine negative Erfahrung mit Ausländern, aber es stecken eine Menge (auch durch die von der Bezugsgruppe konsumierten Medien) geschürte Ängste dahinter – vor fremden Kulturen, fremden Lebensstilen, politischer Beteiligung der Migranten, dem Fremden an sich. 43 Prozent der Arbeitslosen stimmen der Aussage zu, man fühle sich durch die vielen Ausländer “zunehmend als Fremder in seiner Stadt”.
Bei Studenten und Schülern sagen das nur 4 Prozent, bei Erwerbstätigen immerhin 22 Prozent.
68 Prozent der Leipziger erleben das Zusammenleben als positiv
Die andere Seite, die eigentlich einer so gern als weltoffen bezeichneten Stadt wie Leipzig gut zu Gesicht stünde, ist die Aussage: “Ausländer sind eine kulturelle Bereicherung für unsere Stadt”.
Dem stimmen immerhin 65 Prozent der Schüler und Studenten zu, aber nur 26 Prozent der Arbeitslosen. Die Rentner und Pensionäre fallen eher bei einer Aussage auf wie “Die Ausländer sollen ihren Lebensstil an den der Deutschen anpassen.” 66 Prozent von ihnen stimmen dieser Aussage zu, bei den Arbeitslosen sind’s 65 Prozent.
Aber es ist eine echte Fangfrage. Selbst die sonst sehr offenen Schüler und Studenten stimmen hier mit 20 Prozent zu.
Die Gesamtwertungen zu einer Aussage wie der, man fühle sich durch die Ausländer “zunehmend als Fremder in seiner Stadt”, haben sich von 2011 zu 2014 übrigens kaum verändert. Der größte Teil der Befragten stimmt dieser Aussage nicht zu. Was natürlich fragen lässt: Und warum also diese sprunghaft angestiegene Problematisierung? Wie leicht sind Stadtgesellschaften schon dadurch zu beeinflussen, dass sie einem medialen Dauerfeuer zu einem Thema ausgesetzt sind, das ihr tägliches Leben eigentlich nicht berührt. Und wenn es die Befragten berührt, dann sogar zumeist positiv. 68 Prozent der 2014 Befragten erleben die Kontakte mit Ausländern als positiv, nur 5 Prozent äußern sich dazu negativ, die restlichen 27 Prozent haben keine Meinung geäußert, möglicherweise auch, weil sie im Alltag eher seltener Menschen mit Migrationshintergrund begegnen.
Junge Menschen und Personen im Erwerbsleben haben besonders häufig Kontakte mit Ausländern – in der Schule, im Studium, auf Arbeit. 36 Prozent der Befragen begegnen Ausländern am Arbeitsplatz, 25 Prozent im Freundes- und Bekanntenkreis, 18 Prozent in der Nachbarschaft.
Ab 50 Jahre rutscht der Bekanntheitsgrad mit Ausländern auf 60 Prozent, bei Rentnern rutscht er unter 45 Prozent. Heißt im Klartext: junge Leipziger haben viel öfter mit Ausländern zu tun als die Älteren – und sehen die Begegnung viel stärker als (kulturelle) Bereicherung.
Womit man wieder bei der seltsamen Art wäre, wie Leipzigs Verwaltung die “Probleme” der Stadt zum Ankreuzen sortiert.
Sind das überhaupt Probleme oder ist es der kalte Kaffee aus Zeitungen und Nachrichten, die den Verwaltungsbeamten falsche Problemlagen suggerieren?
Darum kümmern wir uns morgen an dieser Stelle.
Keine Kommentare bisher
>was für ein seltsam altbackenes Lebensbild die Leipziger Stadtverwaltung hat – und wie sehr das kleinbürgerliche Genervtsein sich hier aufzeigt.
Vielen Dank, dass das auch mal jemand anderes sagt.
Ist der Altersdurchschnitt in der Stadtverwaltung schon so zwischen 67 und 80 Jahre, oder leben die mutmaßlich meist Mittelalten (35-60 Jahre) in der Gemütlichkeit der 1980er Jahre?
Übrigens scheint auch ein Gutteil der Leipziger ähnlich altbacken zu sein. Auf die Aussagen, dass die “Wende” vor 15 Jahren war und Leipzig ca. 300000 Einwohner hat, würden die meisten zunächst reinfallen…