Auf ihre Art nahm am Freitag, 10. Juli, die sächsische Arbeitsagentur Stellung zur Zuwanderungs-Diskussion. Klar und deutlich. Denn aus eigener Kraft kann Sachsen - genausowenig wie die ganze Bundesrepublik - den Arbeitskräftebedarf der Zukunft nicht decken. Dazu werden einfach zu wenige Kinder geboren. Firmenchefs wissen das. Seit 2010 sind sie mit dem Thema konfrontiert.
Denn seit fünf Jahren kommen die Geburtenjahrgänge der frühen 1990er Jahre in der Ausbildung und im Berufsleben an. Und sie sind nur halb so stark wie die Jahrgänge, die vor 2010 an die Tür klopften. Die neuen Jahrgänge sind nicht stark genug, um die Altersabgänge der sächsischen Wirtschaft zu kompensieren.
Die Arbeitsagentur benutzt zwar das Wort Bevölkerungsrückgang. Aber das stimmt so nicht ganz, denn mit einer Prognose bis 2025 kann auch die Arbeitsagentur nur mit den Bewohnern des Freistaats rechnen, die jetzt da sind. Zuwanderung kann sie gar nicht prognostizieren.
Was trotzdem die nüchterne Erkenntnis mit sich bringt: Würde Sachsen versuchen, sich mit dem eigenen Nachwuchs über Wasser zu halten, würde der Freistaat jedes Jahr tiefer in eine aufklaffende Arbeitskräftelücke rutschen. Das berechnet die Arbeitsagentur einfach an den in den Melderegistern existierenden Sachsen zwischen 15 und 65 Jahren. Diese Jahrgänge gelten als die arbeitsfähige Bevölkerung. Bis zum Jahr 2000 ungefähr lag diese Zahl bei über 3 Millionen, viele davon wanderten in den Westen ab oder waren arbeitslos, weil der sächsische Arbeitsmarkt so viele Menschen gar nicht aufnehmen konnte. Seitdem ist die Zahl der Sachsen zwischen 15 und 65 Jahren auf 2,55 Millionen gesunken, die Erwerbstätigkeit ist wieder gestiegen. Der Arbeitsmarkt nähert sich tatsächlich einem Zustand des Gleichgewichts – es gibt ungefähr so viele Arbeitsangebote wie Menschen im erwerbsfähigen Alter.
Zum Glück sind menschliche Gesellschaften nicht statisch.
Darüber erschrecken aber auch Statistiker wie jetzt die der sächsischen Arbeitsagentur. Denn wenn sie einfach die Geburtslisten nehmen, dann rauscht Sachsen jetzt in ein Loch.
Zuwanderung als Chance?
Aktuell leben in Sachsen derzeit 4,05 Millionen Menschen. 64 Prozent davon sind zwischen 15 und 65 Jahre alt und damit im erwerbsfähigen Alter. Ausgehend vom Jahr 2013 könnte sich bis 2025 dieser Teil der Bevölkerung nochmals deutlich um bis zu 466.000 Menschen auf 2,08 Millionen Menschen verringern, rechnet sich Sachsens Arbeitsagentur aus und ist natürlich entsetzt: Mit diesem Bevölkerungsrückgang gehen dem Arbeitsmarkt auch viele Fachkräfte verloren, die aktuell noch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sichern.
„Der sächsische Arbeitsmarkt entwickelte sich bisher positiv. Die Arbeitslosigkeit erreicht den geringsten Stand seit der Aufzeichnung und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung den höchsten Stand seit 13 Jahren. Diese Entwicklung ist auf die bisher gute Konjunkturelle Entwicklung und auf demografische Effekte zurückzuführen“, sagte Dr. Klaus Schuberth, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, am Freitag, 10. Juli, in Chemnitz.
Den Effekt beobachtet man nun seit einigen Jahren: Es gibt mehr ältere Arbeitnehmer, die aus dem Berufsleben aussteigen, als junge Menschen, die deren Platz einnehmen. So wird sich die Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr 2025 aus heutiger Sicht um bis zu 466.000 Menschen verringern (minus 18,3 Prozent). Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Sachsen leben aktuell etwa 2.551.000 Menschen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren in Sachsen. Im Jahr 2025 wird dieser Teil der Bevölkerung auf etwa 2.085.000 schrumpfen.
Für Leipzig rechnen die Statistiker der Arbeitsagentur bis 2025 ein Minus von 33.825 Arbeitskräften aus – rund 3.400 pro Jahr.
„Dieser Trend verschärft sich. In den nächsten Jahren werden immer mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Gleichzeitig können diese Altersabgänge nicht mehr in ausreichendem Maße durch junge Menschen ersetzt werden. Damit geht den sächsischen Betrieben wichtiges Know-how verloren. Denn besonders die älteren Mitarbeiter sind oft gut ausgebildet und bringen wertvolle Lebens- und Berufserfahrung mit“, erklärt Schuberth. Und bringt da gleich mehrere Probleme durcheinander. Denn im Normalfall geben die Älteren ihr Knowhow ja an die Jungen weiter. Diese Kette reißt erst ab, wenn Unternehmen über Jahre die Aufstockung mit jungem Personal nicht mehr hinbekommen.
Die Nachfrage der sächsischen Wirtschaft nach gut ausgebildeten Fachkräften befindet sich bereits heute auf hohem Niveau, so die Arbeitsagentur. Immer mehr Unternehmen melden den Arbeitsagenturen Ersatzbedarfe, um freie Stellen von langjährigen Mitarbeitern, die in den Ruhestand übergehen, adäquat zu besetzen. Fachkräftesicherung sei die wesentliche Herausforderung, der sich Unternehmer, Personalentscheider und alle weiteren Arbeitsmarktakteure stellen müssen.
Aber was tun? Eigentlich ist das nicht die Frage, denn die Unternehmen wissen es. Die sächsische Schulabbrecherquote von 10 Prozent muss endlich halbiert werden, ein Thema, das seit 2010 ganz oben auf der Agenda steht. Die Barrieren – insbesondere für Alleinerziehende – müssen abgebaut werden. Und all die Menschen, die nach Sachsen zuwandern, müssen reelle Chancen bekommen, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.
So ungefähr sieht es auch die Arbeitsagentur: Zuwanderung ist eine Riesenchance für Sachsen.
„Die Arbeitsagenturen und Jobcenter verfolgen bei der Fachkräftesicherung eine Doppelstrategie. Einerseits müssen vorhandene Fachkräftereserven noch besser erschlossen werden. Hierbei muss es gelingen die Älteren, Langzeitarbeitslosen, Schwerbehinderten und Alleinerziehenden noch besser in Arbeit zu bringen. Andererseits muss die gezielte Zuwanderung von ausländischen Fachkräften weiter ausgebaut werden. Wir brauchen eine Willkommenskultur und aufeinander abgestimmte Strategien zur Integration von Ausländern. Wir alle müssen uns den Menschen noch mehr öffnen und ihnen einen guten Einstieg in Gesellschaft und Arbeit ermöglichen. Dazu gehört es auch, Asylbewerber frühzeitig und schnell zu unterstützen. Jeder hat Potenzial und Talente“, so Schuberth.
Und wenn die Geburtenraten nicht wirklich drastisch steigen im Land, hat Sachsen gar keine andere Chance, als dauerhaft zum Zuwanderungsland zu werden. Die Alternative ist ein vergreisendes und verarmendes Land, aus dem die Unternehmen abwandern – nämlich dorthin, wo die jungen Arbeitskräfte noch zu finden sind.
Anlass für die sächsische Arbeitsagentur, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ist der 11. Juli 2015 – der Weltbevölkerungstag.
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Ein interessanter Beitrag, wie meist von Herrn Julke. Jedes Ding hat aber bekanntlich zwei Seiten.
Mein Thema ist nicht die Zuwanderung, Meine Themen sind vorwiegend die ordnungsgemäße Kontrolle der Steuergelder sowie der wirtschaftliche und sparsame Umgang damit. Das beinhaltet beispielsweise die Schaffung wirtschaftlicher Verwaltungsstrukturen. Hier besteht noch gewaltiger Nachholebedarf. Auch in Sachsen.
Diese Verwaltungsreformen standen bzw. stehen doch mehr oder weniger immer nur auf dem Papier, teilweise seit Jahrzehnten. Ohne wenn und aber! Würde man diese endlich angehen, dann wäre damit ein nicht unwesentlicher Abbau von Arbeitsplätzen/Stellen verbunden, deren überwiegend gut qualifizierte Mitarbeiter dann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden. Doch diese heilige Kuh soll nicht geschlachtet werden. Es gibt noch weitere Bereiche, wo das so ist (z.B. eine Vielzahl von wissenschaftlichen Einrichtungen, die Nonsens sind).
Für mich sind deshalb solche Untersuchungen / öffentliche Diskussionen / Gutachten von angeblichen Experten über die benötigte Anzahl von Zuwanderungen, schwache Geburtenjahrgänge, Mobilisierung von Arbeitslosen, Älteren, Alleinerziehenden u.s.w. mehr von Scheinheiligkeit geprägt, als von einer tatsächlich realistischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Gegenwärtig passt eben politisch die Zuwanderungsthematik bestens in Konzept. Die leider sehr oberflächlich geführt wird.
Übermorgen sind es wieder die Arbeitslosen und Älteren. Wie sich der Wind gerade dreht!
“Die Alternative ist ein vergreisendes und verarmendes Land, aus dem die Unternehmen abwandern – nämlich dorthin, wo die jungen Arbeitskräfte noch zu finden sind.” Herr Julke, hier haben Sie ihrer Phantasie freien Lauf gelassen. Ich gebe zu, dass auch das manchmal sein muss. Es schadet außerdem niemanden. In den nächsten Jahrzehnten werden wir ein solches vergreistes und verarmtes (Deutsch)Land jedoch nicht erleben. Darauf mein Wort als Finanzrevisor im Ruhestand!