Eigentlich ist es hochgradig peinlich, was die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, Reinhilde Willems, der Erläuterung der Leipziger Arbeitslosenzahlen im Juli voran stellt: "Der Monat Juli brachte einen Anstieg der Zahl der arbeitslosen Menschen. Das Anwachsen fand fast ausschließlich bei der Gruppe der unter 25-Jährigen statt. Diese Entwicklung beobachten wir jedes Jahr im Juli und August."

Nicht die Beobachtung des Phänomens an sich ist peinlich, sondern die Tatsache, dass es das Phänomen tatsächlich gibt. Die Ausbildungsverhältnisse enden im Juni, nicht alle Unternehmen übernehmen ihre Lehrlinge, doch eingestellt wird erst wieder ab September. Und währenddessen lernen die jungen Leute wieder die Schönheit der Arbeitsagentur und des Jobcenters kennen. Ja, auch des Jobcenters: Ein Drittel der jungen Leute, die nicht gleich eine Anschlussbeschäftigung finden, landen im Jobcenter. Das ist peinlich.

“Die Ursache dafür ist, die Ausbildung geht zu Ende und ein Teil der jungen Leute wird nicht in ein Arbeitsverhältnis durch den Ausbildungsbetrieb übernommen oder kommt aus einer außerbetrieblichen Ausbildung”, sagt Willems. Und erklärt dann auch noch offenherzig, dass die jungen Leute eigentlich im Jobcenter gar nichts zu suchen haben, denn seit einigen Jahren werden sie spätestens ab Herbst alle von den fachkräftebedürftigen Unternehmen genommen. Dazu braucht es nicht mal den Appell von Willems: “Das ist eine gute Gelegenheit für andere Unternehmen, diese potenziellen Fachkräfte schnell einzustellen. Dazu kommen noch die Schulabgänger, die auf den Ausbildung- oder Studienbeginn warten und sich für die Übergangszeit arbeitslos melden. Der daraus resultierende Anstieg ist eine saisonale Erscheinung und relativiert sich ab September wieder. Der Arbeitsmarkt in dieser Stadt bleibt weiterhin auf einem positiven Wachstumspfad.”

Auch der Chef der sächsischen Arbeitsagentur, Dr. Klaus Schuberth, kennt das Problem: “Von Juni auf Juli ist die Arbeitslosigkeit saisonbedingt gestiegen. Dieser Anstieg ist auf das Schul- und Ausbildungsende sowie auf die verhaltene Einstellungsbereitschaft in den Sommermonaten zurückzuführen. Das ist eine übliche Entwicklung, die häufig nur von kurzer Dauer ist. Nun ist es wichtig, dass die Ausbildungsabsolventen zeitnah eine Anschlussbeschäftigung finden.”

Im Juli waren 6.053 Menschen im Rechtskreis SGB III in der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 366 mehr als im Vormonat und 92 weniger als im Juli 2014. Im Rechtskreis SGB II waren 21.392 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren 61 weniger als im Juni 2015 und 63 weniger als vor einem Jahr.

In den Zahlen stecken tatsächlich gegenläufige Tendenzen.

Bei den jungen Menschen bis 25 Jahren wuchs die Zahl der Arbeitslosen um 210 auf 2.255 (Vorjahr: 2.510). Bei den Lebensälteren in der Altersgruppe ab 50 Jahren fiel die Arbeitslosigkeit um 87 auf 8.166 Personen an (Vorjahr: 8.404).

Und das hat auch Auswirkungen auf die im Jobcenter Betreuten. Denn mittlerweile gibt es einen regelrechten Schereneffekt: Wenn die Leipziger Arbeitslosenzahl sinkt, steigt die Zahl der in Bedarfsgemeinschaften Betreuten, steigt – wie jetzt im Sommer – die Zahl der arbeitslos Gezählten, sinkt hingegen die Zahl der Menschen in Bedarfsgemeinschaften.

Das hat vor allem damit zu tun, auf welche Weise Menschen aus der Arbeitslosigkeit “entlassen” werden. So gab es zwar im Monat Juli einen Zugang bei den Leipziger Arbeitslosen von 6.097 Personen, im Gegenzug verließen aber auch 5.847 Personen die Arbeitslosigkeit. Während der Neuzugang vor allem aus Ausbildung passiert, gingen im Juli offiziell 2.329 Leipziger in die Nichterwerbstätigkeit ab. Die Kategorien, wie die Arbeitsagentur das aufsplittet, sind zwar mehr als verwaschen: 1.336 gingen in eine “Arbeitsunfähigkeit” ab, 855 wird fehlende Verfügbarkeit bzw. fehlende Mitwirkung bescheinigt. Letzteres ein echtes bürokratisches Monster: Menschen, die bei den ganzen Erziehungsmaßnahmen des Jobcenters nicht (mehr) mitwirken, dann gleich als nicht mehr arbeitslos zu zählen, ist schon burschikos.

Und hinter der Gruppe der “Arbeitsunfähigen” stecken mit Sicherheit zum allerwenigsten Menschen, die körperlich so kaputt sind, dass sie für den Arbeitsmarkt nicht mehr verfügbar sind. Die meisten gehen schlicht in den Ruhestand. Oder eben das, was davon übrig ist, wenn man eine Karriere als Jobcenter-Kunde hinter sich hat. Und da das ein kontinuierlicher Prozess ist, weil Menschen nun einmal nicht quartalsweise ihr Ruhestandsalter erreichen, wirkt dieser Abgang in die Rente zwar nicht sichtbar auf die im Juli angestiegene Zahl der als arbeitslos Gezählten, dafür auf die Gruppe der in den Bedarfsgemeinschaften Gezählten.

Denn siehe oben: Die meisten frisch Ausgebildeten landeten eben doch in der Betreuung der Arbeitsagentur, ein Drittel im Jobcenter. Wenig genug, dass die Zahl der Leipziger in Bedarfsgemeinschaften im Juli etwas abschmolz – von 70.877 auf 70.715. Finanzbürgermeister Torsten Bonew wird das mit Wohlwollen sehen, denn genau das ist die Stelle, wo der Sozialetat der Stadt wenigstens ein kleines bisschen Entspannung bekommt.

In Leipzig gab es im Juli 42.003 Bedarfsgemeinschaften. Das sind dann auch 92 weniger als im Vormonat und 683 weniger als im Juli des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 52.360 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Aber erwerbsfähig heißt eben nicht wirklich “dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehend”, weshalb eben nur die oben genannten 27.445 Leipziger wirklich als arbeitslos gezählt werden. Die anderen werden halt irgendwie betreut, beschäftigt, verwaltet. Und da der ganz normale Posten alt gewordener Jobcenter-Kunden auch im Juli in den Ruhestand ging, sank die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Vergleich zum Vormonat um 179. Im Vergleich zum Vorjahr reduzierte sich die Zahl um 772 Personen.

Wichtig noch zur Ergänzung: Für jene jungen Familien, die aus verschiedenen Gründen im Jobcenter gelandet sind, hat sich zumindest im Juli erst einmal nichts getan. Die Zahl der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, in denen vor allem die minderjährigen Kinder gezählt sind, hat sich leicht von 18.338 auf 18.355 erhöht.

Eine kleine Fußnote, die aber wichtig ist: Überproportional stieg auch die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ausländer von 3.087 im Juni auf 3.138 im Juli. Gegenüber dem Juli 2014 ist die Zahl der im Jobcenter arbeitslos gemeldeten Ausländer nun um 570 oder 22,2 Prozent angestiegen. Möglicherweise ein Nebeneffekt der steigenden Flüchtlingszahlen. Aber eigentlich auch eine Chance, wenn Jobcenter und mögliche Arbeitgeber jetzt an einem Strang ziehen und eine echte Arbeitsintegration der betroffenen Migranten bewerkstelligen.

Keine leichte Aufgabe. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte das Projekt eigentlich starten?

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