2009 legte das Amt für Statistik die letzte Bevölkerungsschätzung für das zukünftige Leipzig vor. Es sah kühn aus, was sie da als Hauptvariante für die Leipziger Bevölkerungsentwicklung voraussagte: fast 540.000 Einwohner bis 2020, über 540.000 im Jahr 2030. Erst recht verglichen mit den Prognosen des Bundes und des Landes. Und schon 2011 stellte sich heraus: Die Leipziger Prognose war noch viel zu niedrig angesetzt.

Man hatte nicht nur die neuen Zuwanderungsraten deutlich unterschätzt. Auch die daraus folgenden Geburtenzahlen hatte man demzufolge zu niedrig angenommen. Noch 2011 korrigierte das Amt für Statistik und Wahlen wenigstens die absehbare Geburtenrate nach oben – von knapp 5.400 auf knapp 5.500. Kurz hörte man die Vorwürfe aus dem Sozialdezernat, man habe mit zu niedrigen Zahlen geplant und deshalb zu wenige Kita-Betreuungsplätze geschaffen. Was so auch nur in Teilen stimmt.

Ein kluger Mann wird vielleicht in 5 oder 10 Jahren zugeben, dass Leipzig bei seinen finanziellen Ressourcen gar nicht mehr Kindertagesstätten hätte bauen können. Politik müsste nämlich auch heißen: Eine ehrliche Zuweisung, wer welche Kosten zu stemmen hat. – Das deutsche Finanzzuweisungssystem ist alles andere als transparent – und dient zum größten Teil dazu, parteitaktische Interessen auf dem kalten und knallharten Weg durchzusetzen: übers Geld.

Da steht dann eine Kommune, die mit ihren Eigeneinnahmen mehr als klamm ist, als Buhmann da. Es ändert sich trotzdem nichts.

Im Gegenteil: Die Lage wird sich weiter verschärfen. Denn jetzt hat das Sozialdezernat seit 2011 zwar mit rund 5.500 Geburten im Jahr geplant. Aber faktisch waren es 2012 dann schon 5.681, also fast 200 mehr. Und das sind nach Adam Ries zwei komplette Kindertagesstätten. Die zusätzlich kommen müssten.

Und 2013 wird noch happiger. Aufgrund der Halbjahreszahl von 2.778 prognostizieren Leipzigs Statistiker am Jahresende sogar 5.958 Geburten. Das sind dann gleich mal drei weitere Kitas obendrauf.

Und es steht durchaus zu erwarten, dass die Expertengruppe, die jedes Mal zusammen sitzt, um die Leipziger Prognosen zu erarbeiten, relativ dicht an der tatsächlichen Entwicklung ist. Diesmal hat sie auch die sprunghaft gestiegenen Zuwanderungszahlen der letzten beiden Jahre berücksichtigen können. Im Ergebnis werden die alten Prognosen auch in der Hauptvariante deutlich angehoben.

Aber selbst die pessimistischste Prognose nimmt jetzt für das Jahr 2020 satte 555.000 Einwohner an, die Hauptvariante sogar 570.000. Natürlich gibt es auch eine total optimistische Variante, die von hohen Zuwanderungssalden und lang anhaltendem Geburtenüberschuss ausgeht. Die sieht für 2020 schon fast 590.000 Einwohner in Leipzig und für 2030 dann den Weg zur 640.000.

Das Bevölkerungswachstum hängt natürlich von mehreren Faktoren ab. Der wichtigste für Leipzig seit zehn Jahren ist die Differenz aus Zu- und Abwanderung. 2011 und 2012 lag diese Differenz zugunsten von Leipzig bei rund 10.000. Die meisten Zuwanderer – vor allem junge Menschen, die studieren oder eine Ausbildung beginnen wollen, – kommen aus dem mitteldeutschen Raum. Das beschert den Landkreisen rund um Leipzig seit Jahren sinkende Bevölkerungszahlen. Irgendwann ist dieses Reservoir erschöpft – dann sinkt die Zahl der Zuwanderungen. Das nimmt das Amt für Statistik und Wahlen sogar schon für dieses Jahr an. Wahrscheinlich wird die Differenz zwischen Zu- und Abwanderungen nicht mehr bei 10.000, sondern eher bei 7.000 liegen. In den nächsten Jahren nimmt dieser Zuwanderungssaldo kontinuierlich ab, in der pessimistischen Prognose wird er ab 2029 sogar negativ, es wandern also mehr Menschen ab als zuziehen.

Die anderen beiden Varianten sehen auch nach 2030 einen positiven Wanderungssaldo für Leipzig. Das übrigens auch dann noch mit 2.000 bis 4.000 hoch genug ist, um auch einen negativen Geburten-/Sterbefälle-Saldo zu kompensieren.2013 erstmals wieder Geburtenüberschuss

Aber für 2013 nehmen die Experten etwas an, was Leipzig nun seit zwei Jahrzehnten nicht hatte: einen Geburtenüberschuss. Heißt: Erstmals würden rund 160 Leipziger mehr geboren werden, als in diesem Jahr sterben werden. Bis 2019 sehen sogar alle drei Varianten einen Geburtenüberschuss für Leipzig, danach rutscht er auch in der Hauptvariante wieder ins Negative, erreicht aber selbst im Extremfall nur ein Minus von 600.

2013 hat das Amt für Statistik und Wahlen auch die Berechnungsbasis umgestellt – von der amtlichen Bevölkerungszahl des Landesamtes auf das Einwohnermelderegister. Der Grund, so Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes, ist der Wunsch, auch kleinräumige Ergebnisse auf Stadtteilebene zu bekommen. Das geht mit der amtlichen Gesamtzahl nicht, die erfasst nur die ganze Stadt. Mit der kleinräumigen Prognose wird es jetzt auch möglich, vorsichtig anzugeben, welche Ortsteile in den nächsten Jahren besonders stark wachsen werden, also ein Wachstum über 10 Prozent bekommen.

Das sind nicht mehr die alten Kandidaten – wie Schleußig, Südvorstadt, Connewitz oder Waldstraßenviertel, die schon in den letzten Jahren gewisse Sättigungseffekte erreichten.

Die neuen Bewohner sind also schon längst zum Ausweichen gezwungen. Und sie werden Stadtteilen wie Plagwitz, Lindenau, Schönefeld, Neustadt, aber auch Gohlis-Mitte deutliche Zuwächse verschaffen. Gohlis-Mitte hätte in dieser Erfassung auch “Georg-Schumann-Straße” heißen können, denn jetzt sind es die Hauptverkehrsstraßen, die nicht nur im Fokus der Stadtentwicklungspolitik stehen, sondern die auch deutlich an Attraktivität gewinnen.

Und auch wenn der “Zensus 2011” für Leipzig noch einen Leerstand von 38.000 Wohnungen (für 2011) auswies, heißt das: Jetzt sind die Wohnungsunternehmen und Investoren gefragt, wieder Wohnraum zu schaffen. Auch sozialen Wohnraum, denn wenn sich zuallererst die attraktiven Gründerzeitviertel füllen, dann werden vor allem die sozial Schwächeren in andere Stadtgebiete abgedrängt. Wenn dort nicht genug bezahlbarer Wohnraum bereit steht, bekommt die Stadt ein Problem.

Mehr zum Thema:

Leipzig wächst weiter: Statistik prognostiziert 533.000 Messestädter im Jahr 2027
Leipzig darf hoffen, weiter zu wachsen …

Kassensturz: Veraltete Modelle führen zu falschen Ergebnissen
Es hilft alles nichts: Wer mit den Modellen …

Leipzig wächst: Experten prognostizieren Wachstum auf 541.000 Einwohner
Im Grunde kann man gut planen …

Wohnungsmarktbarometer 2012: Im Westen steigt die Nachfrage – preiswerte Angebote werden knapp
Wer steuern will, braucht Daten …

Und es ist beim Wohnungsbau genauso wie bei Kitas und Schulen – die Akteure müssen rechtzeitig in die Planung einsteigen. Dazu kann die Bevölkerungsprognose helfen.

Wo sie nicht helfen kann, das ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber da war die Stadt bisher auch nie der Hauptakteur – sie kann nur die Türen für Investoren und Ansiedlungen weit öffnen. Das gelang in den letzten Jahren recht gut – die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist deutlich gestiegen. Die Stadt hat das Bevölkerungswachstum verkraftet. Ob es nachhaltig war, das wird erst die Zukunft zeigen.

Aber was auch nicht vergessen werden darf: Mit dem enormen Bevölkerungswachstum steht Leipzig nicht allein. Überall in der Bundesrepublik ist der starke Drang in die Großstadt sichtbar. Und gerade westliche Kommunen haben schon längst ein Wohnraumproblem.

Als “Hauptvariante” der Bevölkerungsentwicklung in Leipzig haben die beteiligten Experten für 2015 die Zahl 550.000 ausgerechnet, für 2020 könnten es 575.000 sein. Im Jahr 2032 wird dann die 598.100 überschritten.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar