Nicht nur die L-IZ grübelt ab und zu, warum die ostdeutsche Wirtschaft nicht zu Potte kommt. Seit 12 Jahren scheint das, was mal so forsch als "Aufholprozess" bezeichnet wurde, komplett zum Erliegen gekommen zu sein. Seitdem sind die Zuwachsraten im Osten auch noch geringer als im Westen. Was natürlich nach aller Arithmetik heißt: Der Osten verliert sogar wieder Boden.
Die Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland dürfte im Jahr 2013 sogar stagnieren, meldet jetzt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Die Zuwachsraten liegen nun seit dem Jahr 2010 unter denen im Westen Deutschlands. Das läge vor allem daran, dass die wichtigen Absatzmärkte der ostdeutschen Wirtschaft nicht in schnell wachsenden Schwellenländern, sondern in Europa liegen würden und die europäische Wirtschaft in der Krise stecken würde, versucht Dr. Axel Lindner sich das Phänomen zu erklären. Allerdings werde die Konjunktur in Deutschland, und damit auch im Osten des Landes, im Verlauf des Jahres 2013 deutlich Fahrt aufnehmen. Und auch die Wanderungsbilanz Ostdeutschlands habe sich vor allem durch den Zuzug aus dem Ausland zuletzt deutlich verbessert.
Das Problem der Wirtschaftsforscher freilich ist ihre mittlerweile extreme Fokussierung auf einen einzigen Wirtschaftsbereich: das verarbeitende Gewerbe. Übrigens nicht die einzige Fokussierung, die den Wirtschaftsstatistikern die Entwicklung oft zum Rätsel macht. Denn nicht nur Schwächen im Verarbeitenden Gewerbe sorgen dafür, dass wirtschaftliche Entwicklungen gebremst werden. Aber wie lange wird es dauern, bis auch die Theoretiker verstehen, dass in einem Staat alles Teil der Wirtschaft ist? Auch der Staat, der so gern als Verschwender diffamiert wird?
In Sachsen trägt das Produzierende Gewerbe zum Bruttoinlandsprodukt von 97 Milliarden Euro ganze 31 Prozent bei. 68 Prozent entfallen auf den Dienstleistungssektor. Dass ein stark ausgebauter Verarbeitungssektor nicht notwendig ist, um starke volkswirtschaftliche Kennzahlen zu erreichen, zeigen explizit die Bundesländer Hamburg und Hessen, deren BIP noch viel stärker auf Dienstleistung beruht als das in Sachsen.
“Im Sommer 2013 ist das konjunkturelle Umfeld für die Wirtschaft Ostdeutschlands schwierig”, versucht nun das IWH die Lage zu erfassen. “Die weltwirtschaftliche Dynamik ist seit über einem Jahr gering, weil sich einige fortgeschrittene Volkswirtschaften immer noch nicht völlig von der Großen Rezession erholt haben und die Wachstumsdynamik in wichtigen Schwellenländern wie China nachlässt. Im Euroraum wird die Rezession nur langsam überwunden. Für Deutschland insgesamt deutet sich zwar für das Sommerhalbjahr eine konjunkturelle Belebung an, Anlageinvestitionen und Exporte werden dieses Jahr aber wohl kaum mehr als stagnieren.”
Dass die ostdeutschen Bundesländer in der Finanzkrise ab 2008 weniger Leistungsverluste aufzuweisen schienen als die westlichen Bundesländer, haben sich die deutschen Wirtschaftstheoretiker gleich in eine neue Theorie gegossen. “Üblicherweise ist die Konjunktur in Ostdeutschland in Abschwungjahren wie 2009 stabiler als in Westdeutschland, in Aufschwungjahren wie 2010 und 2011 ist sie weniger dynamisch”, versucht das IWH, diese Theorie zu erklären. “Denn die westdeutsche Wirtschaft ist wegen ihrer Spezialisierung auf Investitionsgüterproduktion für den Export deutlich zyklischer als die Wirtschaft im Osten.”Wäre das so, Sachsen müsste eigentlich einen ähnlichen Zyklus durchlaufen. Tut es aber nicht. Und der Grund liegt eben nicht in der Spezialisierung, sondern in einem a-zyklischen Verhalten der öffentlichen Hand. Ab 2010 griff der rigide Sparkurs der sächsischen Landesregierung und beeinträchtigte genau jene Wirtschaftsbereiche, die nicht vom Export abhängen – Bauwirtschaft und Dienstleistung. 2012 erlebte die Bauwirtschaft in Sachsen nach Auslaufen des “Konjunkturpakets II” einen regelrechten Einbruch von 4,1 Prozent, obwohl sämtliche Kommunen im Land unter einem heftigen Investitionsstau leiden. Der Freistaat hätte nicht einmal Sonderprogramme auflegen müssen, um das aufzufangen.
Und dass 2012 und 2013 bei Dienstleistungen kein Minus steht, hat lediglich mit dem Ausbau der “Arbeitnehmerüberlassung” und dem Aufwuchs an niedrigschwelligen Dienstleistern im Raum Leipzig zu tun. Der Freistaat selbst hat bei seinen staatlichen Dienstleistungen (Bildung, Sicherheit …) weiter gekürzt und eigentlich die Konjunktur zusätzlich ausgebremst.
Ergebnis: Der Freistaat schaffte im Jahr 2012 eine Performance, die sich in nichts vom gesamten ostdeutschen Ergebnis unterschied. Man hat sich sozusagen sehenden Auges “aus dem Rennen gespart”.
Zur ostdeutschen Vorstellung schreibt das IWH: “Im Jahr 2012 legte die ostdeutsche Produktion allerdings trotz schwacher Konjunktur mit 0,3 % langsamer zu als die Produktion in Gesamtdeutschland (0,7 %); und auch für den Beginn des Jahres 2013 deuten die Indikatoren auf eine schwächere Dynamik hin. Der Grund liegt wohl darin, dass die Unternehmen in Ostdeutschland weniger gut gegen die Rezession in den europäischen Nachbarländern abgeschirmt sind als Unternehmen in Westdeutschland, weil diese in größerem Umfang Absatzmärkte außerhalb der Europäischen Union bedienen. Für ostdeutsche Exporteure ist der deutlich rückläufige europäische Absatzmarkt wichtiger. Zudem ist im Osten die Produktion von Vorleistungsgütern von größerer Bedeutung als im Westen, und deren Nachfrage entwickelte sich seit dem vergangenen Jahr schwach, nicht zuletzt weil Läger europaweit abgebaut werden.”
Womit man wieder bei der Theorie wäre, mit der die Wirtschaftstheoretiker versuchen, das Phänomen Osten zu erklären. Sie erklärt aber eben nur ein Drittel des Gesamtproblems. Und der Rest? Wie lange lassen wir es unseren Politikern noch durchgehen, dass sie den Staat und seine Dienstleistungen, Investitionen und Aufträge nicht als Teil der Wirtschaft begreifen?
Was das IWH dann als Stimmungsbild abfragt, trifft eben immer nur auf ein Drittel der Wirtschaft zu (übrigens auch deutschlandweit: 31 Prozent). Und nicht einmal auf dieses Drittel, denn in der Regel wird die Bauwirtschaft hier einfach mitgerechnet.
Das IWH: “Die aktuellen Stimmungsindikatoren für das Verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland deuten darauf hin, dass sich der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu Jahresbeginn erst einmal fortgesetzt hat. Die Auftragseingänge haben aber im Winter ihren Tiefpunkt wohl überschritten. Unter den Unternehmen in Deutschland nimmt die Zuversicht seit dem Frühjahr wieder zu, und es darf erwartet werden, dass der für die ostdeutsche Vorleistungsgüterproduktion nachteilige Lagerabbau zu einem Ende kommt. Auch gibt es jüngst Anzeichen dafür, dass sich die Konjunktur im restlichen Euroraum langsam stabilisiert. Alles in allem dürfte die Produktion im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe im Jahresverlauf wieder moderat zunehmen.”
Studie: 79.240 Menschen arbeiten in Leipzig für einen Niedriglohn
“Studie” um “Studie” legten in der letzten Zeit …
Konjunkturbericht der IHK zu Leipzig im Frühjahr 2013: Verhaltener Jahresstart, vorsichtige Zuversicht
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Ähnlich sei die Lage am Bau, meint das IWH und holt die nächste Theorie aus der Tasche: “Hier hat der harte Winter die Aktivität vorübergehend stark gehemmt, und die so entstandenen Produktionsrückstände werden im Jahresverlauf wohl aufgeholt werden. Die Flutkatastrophe an der Elbe und ihren Zuflüssen Anfang Juni hat zwar erhebliche Sachschäden, aber offensichtlich nur begrenzte Produktionsausfälle mit sich gebracht. Instandsetzungsmaßnahmen dürften der Bauwirtschaft für die zweite Jahreshälfte 2013 einige Impulse geben. Alles in allem dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion in Ostdeutschland im Jahr 2013 stagnieren, während sie in Gesamtdeutschland um 0,7 % zulegen dürfte.”
Und das liegt eben weder am Winter (der für beide Landesteile gleich hart war) noch an der Flut. Es liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass mindestens ein ostdeutsches Bundesland seit 2010 komplett im Bremsmodus ist. Bei den Löhnen noch viel länger. Und damit käme man zur zweiten Seite der BIP-Betrachtung, die Statistiker auch in Sachsen anmahnen: “die stärkere Betrachtung von Einkommen und Konsum und nicht nur der Produktion”. Bislang gilt in der heutigen Wirtschaftstheorie, dass Löhne die Wirtschaft als “Kostenfaktor” nur belasten. Aber ganze Bereiche leben vom Faktor Kaufkraft, der über den Einzelhandel direkt wieder in die volkswirtschaftliche Gesamtbilanz einfließt.
Politiker schädigen “ihren Standort”, wenn sie der Niedriglohn-Politik Vorschub leisten. Aber wem erzählt man das in Sachsen?
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für Sachsen 2013: www.statistik.sachsen.de/download/300_Voe-Faltblatt/FB_VGR_2013.pdf
Die IWH-Meldung zur Ostdeutschen Wirtschaft: www.iwh-halle.de/d/publik/presse/28-13.pdf
Eine sächsische Diskussion zu den Faktoren des BIP: www.statistik.sachsen.de/download/050_W-Konj-aktuell/Z_I_1_u3_12_zs_Hoffmann_Speich.pdf
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