Manche Sprüche sind richtig gut. Oder so ein Ergebnis der Leipziger Bürgerumfrage 2012: "Rund ein Drittel der Leipzigerinnen und Leipziger geht davon aus, dass der weltweite Klimawandel in den kommenden Jahren keine negativen Folgen für die Stadt haben wird. Vor allem junge Bürgerinnen und Bürger haben diesbezüglich kaum Befürchtungen." Eine Meldung der Stadt. Aber was bedeutet an der Stelle ein Drittel?

Die “Bürgerumfrage 2012” wurde Ende Juni von der Dienstberatung des OBM abgesegnet. Beim Kapitel Klima ging es um eine Abfrage, wie gut die Klimaaktivitäten der Stadt im Volke bekannt sind. Sind sie eigentlich nicht. Am besten informiert fühlen sich noch die Rentner. Mit 25 Prozent. Aber woran dachten sie, als sie das Schlagwort “Klimaschutzaktivitäten der Stadt Leipzig” lasen? – Das steht nicht da.

Manchmal hat man bei den Fragekatalogen, die die Dezernate für die jährliche Bürgerumfrage zusammenstellen, das Gefühl, die Amtswalter kommen aus ihren Sichten als Amtswalter nicht mehr heraus. Sie schreiben ihren Sprachmulch in die Fragen und glauben dann, die arglosen Leipziger könnten etwas mit diesem Bürokratendeutsch anfangen.

Klimaschutzaktivitäten.

Da ist man glatt geneigt, bei Viktor Klemperer nachzuschauen. Aktivität ist ein technischer Begriff, der sich irgendwann im 20. Jahrhundert ins Amtsdeutsch eingeschlichen hat, wenn man schon mit dem Wort eine Art Regung von Leben in amtlichen Stuben suggerieren wollte. Mal von der massiven Nutzung von aktiv, Aktiv, Aktivist im sowjetischen Reich der Bewegung ganz zu schweigen.

Aber der Fragebogenausfüller denkt sich ja was. Und natürlich fällt ihm zu “Aktivitäten” nichts ein. Warum sollte er? – Das Leben ist konkret. Und auch Klimaschutz ist konkret. Selbst mit dem “European Energy Award” können die Fachleute erst etwas anfangen, wenn sie das Kleingedruckte lesen. Man kann eine Stadt nicht von Verwaltungsprogrammen her denken.

“Würden Sie gern mehr Informationen zu den Bemühungen der Stadt Leipzig im Klimaschutz erhalten?”, fragte man nach, vielleicht hoffend, dass alle Befragten freudig “Ja!” rufen, als wär’s ein neuer Pausensnack. Zwei Drittel der Befragten haben tatsächlich “Ja!” angekreuzt. Als würden noch mehr Informationen zu noch mehr unfassbaren “Aktivitäten” die Informationslage verbessern. 53 Prozent würden davon am liebsten per Zeitung, Rundfunk, Fernsehen erfahren.

Nur zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Sendungen gar nicht erst angeschaltet und die entsprechenden Zeitungsseiten überblättert werden, ist hoch. 23 Prozent würden Informationsbroschüren mitnehmen, 14 Prozent auch auf leipzig.de zugreifen. Ist das der Weg? – Wohl eher nicht.

Aber die Ahnung ist richtig: Die Stadt kann ihre “Klimaschutzaktivitäten” dem Volke nicht erklären. Es klafft eine Kluft zwischen Wollen und Können. Das belegen gerade die beiden entscheidenden Tabellen – jene nämlich nach den Befürchtungen zum Klimawandel – wie oben zitiert. Und jene mit der Frage: “Sollte die Stadt Leipzig Ihrer Meinung nach mehr für den Klimaschutz tun?”

Da löst sich das oben verheißene Drittel nämlich schnell wieder in Luft auf. Nur 6 Prozent der Befragten meinten, die Stadt solle weniger für den Klimaschutz tun. Der Wert steigt, wenn man nur die “Klima-Optimisten” fragt, die gar keine Befürchtungen haben. Aber auch dort erreicht der Wert nur 14 Prozent. Bei den “Klima-Pessimisten” sind es an der Stelle nur 2 Prozent.Die meisten Leipziger finden, die jetzigen Aktivitäten seien ausreichend – 59 Prozent. Denn natürlich gibt es richtige “Aktivitäten”, von denen die Leipziger auch etwas mitbekommen – die Umweltzone gehört dazu, die Anschaffung von Elektrofahrzeugen, die Senkung des Energieverbrauchs in städtischen Gebäuden, der Bau von energieeffizienten Schulen und Kitas, die Förderung des Umweltverbundes (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) …. Das Leben ist immer konkret.

Ob das, was passiert, ausreicht, weiß wirklich keiner. Niemand kann wahrsagen. Die Erfolge, die Leipzig erreicht, können schon durch eine andere Landes- oder Bundespolitik völlig konterkariert werden. Man denke nur an die innige Liebe der sächsischen Landesregierung zum Braunkohlekraftwerk Lippendorf. Der Bürger hat das Recht, skeptisch zu sein.

Und mehr zu erwarten: 35 Prozent der Befragten erwarten nämlich, dass die Stadt Leipzig noch mehr für den Klimaschutz tut. Das ist das eigentliche Bild.

Und wie sieht es mit den Befürchtungen wirklich aus? Abgesehen von den 35 Prozent, die erst mal keine negativen Auswirkungen des Klimawandels für die Region Leipzig sehen? – 9 Prozent sind natürlich pessimistisch. Richtig pessimistisch, muss man an der Stelle betonen. Denn die dritte Antwort-Möglichkeit lautete nicht “weiß nicht”. Dann wären die zitierten 35 Prozent Klima-Optimisten als benennenswerter Fakt tatsächlich wichtig. Die dritte Aussage lautete “möglicherweise”. Denn so richtig weiß man ja noch nicht, ob die Szenarien so eintreffen, wie von den Klimaforschern berechnet. Der Mensch hofft ja immer, dass alles nicht so schlimm kommt. Also setzt er sein Kreuz bei “möglicherweise”.

Was aber nicht heißt, dass das ein Ruhekissen für die Politik ist. Denn – so zeigt es ja die Tabelle zu den Erwartungen an die Stadt – ein Drittel der Befragten erwartet von der Stadt noch mehr Aktivitäten. Vorbereitet sein ist wichtig.

Und sie erwarten nicht nur – sie handeln auch: 81 Prozent der Leipziger achten darauf, ihre CO2-Emissionen zu senken. Nur 19 Prozent sagen, das ginge sie nichts an. Und ganz oben steht die Senkung des Stromverbrauchs (86 Prozent), gefolgt von Abfalltrennung und -vermeidung, Senkung des Wärme- und Wasserverbrauchs. Denn eins ist Fakt: Das alles ist teuer und wird immer teurer. Ressourcenverschwendung kann sich nicht mehr jeder leisten.

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Und die, die es sich leisten können, sind am ehesten geneigt, auf Klima und Umwelt zu pfeifen. Das ist eine durchaus spannende Erkenntnis: Je höher das Einkommen der Befragten, umso häufiger geben sie die Antwort, es gäbe keine negativen Klimafolgen. Bei den Leipzigern mit Einkommen über 2.000 Euro im Monat sagt das jeder Zweite. Bei denen mit weniger als 800 Euro nur jeder Dritte.

So deutlich hat es noch keine Leipziger Umfrage gezeigt: Klimapolitik ist auch eine soziale Frage. Unter anderem, weil die Wenigerverdienenden als erste unter den Folgen leiden. Sie merken die Kostensprünge nach jeder Dürre, jeder Flut, jeder Missernte direkt beim Einkauf des täglichen Bedarfs. Sie leiden als Erste unter den steigenden Strompreisen. Sie können sich Tickets für die Straßenbahn nicht mehr leisten. Und sie können auch nicht einfach nach Neuseeland fliegen, wenn die Dunstglocke über Leipzig hängt.

Der umfangreiche Ergebnisbericht “Kommunale Bürgerumfrage 2012” kann im Amt für Statistik und Wahlen gegen eine Gebühr von 15 Euro erworben oder im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter der Rubrik “Veröffentlichungen” eingesehen werden.

Aber wenn wir schon mal angefangen haben, dann machen wir morgen mit den anderen spannenden Fragen der Bürgerumfrage weiter.

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